Künstliche Intelligenz – Anlage­entscheidungen ohne Bauch­gefühl

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Künstliche Intelligenz ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Aber kann diese Methode auch im Finanzsektor gewinnbringend eingesetzt werden, und wie unterscheidet sich die maschinelle Entscheidungsfindung von der des menschlichen Gehirns und von regelbasierten Ansätzen?

Text: Stefan Fröhlich

Im Januar 1848 wurde das erste Goldnugget in Kalifornien entdeckt. Die Presse in New York berichtete erst sieben Monate später darüber. Im heutigen Informationszeitalter herrschen andere Verhältnisse, wichtige Informationen sind bereits in kürzester Zeit weltweit verfügbar. Anleger werden mit Informationen über Unternehmen, Industrietrends, Regionen und Volkswirtschaften überschwemmt. Die entscheidende Frage ist heute, wie wir aus der riesigen Menge an verfügbaren Informationen die wirklich wichtigen Angaben herauslesen und gewinnbringend nutzen können.

Bauchentscheidungen – die unbewusste Macht der Intuition

Anleger berücksichtigen bei der Entscheidungsfindung Unternehmensanalysen und Bewertungsmodelle, bei der finalen Investitionsentscheidung hören sie jedoch in der Regel auf ihre Intuition. Eine Bauchentscheidung ist keine vom Himmel fallende Inspiration, sondern eine rationale, unbewusste Kopfentscheidung. Sie beruht auf der Grundlage weniger, aber relevanter Informationen. Gerd Gigerenzer1, Psychologe und führender Forscher auf dem Gebiet der Entscheidungen und Heuristiken, hat festgestellt, dass Menschen unwichtige Informationen überschätzen, wenn viele Entscheidungsmerkmale zur Verfügung stehen. Seiner Forschung zufolge werden bessere Ergebnisse erzielt, wenn Entscheidungen auf nur wenigen, wirklich relevanten Kriterien beruhen und unwichtige Details vernachlässigt werden, so wie dies unser Bauchgefühl intuitiv tut. Es besteht jedoch die Gefahr, dass bei komplexen Sachverhalten, die nicht mit einfachen Faustregeln vereinfacht werden können, voreilige Schlüsse gezogen werden. 

Regelbasierte Entscheidungen – die rationale Wahl

Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, propagierte im 18. Jahrhundert die Bilanzmethode. Bei dieser systematischen, regelbasierten Entscheidungsfindung werden die wichtigsten Einflussfaktoren durch empirische Analyse ermittelt und nach ihrer Relevanz gewichtet. Ähnlich wie bei unbewussten Bauchentscheidungen werden weniger wichtige Kriterien ausgeblendet. Im Gegensatz dazu ist die Entscheidungsfindung jedoch transparent, die Kriterien und ihre Gewichtung sind bekannt, während sich der Mensch nicht bewusst ist, wie eine auf Intuition beruhende Entscheidung zustande kommt.

Künstliche Intelligenz – das Schweizer Taschenmesser für den Umgang mit Big Data

Andrew Ng2, einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, sagt: «Artificial intelligence is the new electricity». Ob bei der Entsperrung des iPhones mittels Gesichtserkennung, beim Googeln oder unterwegs im Tesla, Machine Learning ist zu einem integralen Bestandteil unserer Welt geworden. Diese maschinellen Verfahren erreichten um das Jahr 2010 den grossen Durchbruch in «big data» Bereichen, d.h. bei Anwendungen mit sehr grossen Datenmengen, die Menschen nicht mehr verarbeiten können. Die Algorithmen lernen selbständig anhand von Daten und sind in der Lage, Muster in komplexen Systemen zu erkennen.

In den letzten Jahren wurde das Thema Künstliche Intelligenz auch im Finanzsektor immer wichtiger. Die Branche hat erkannt, dass sich durch diese Technologie neue Möglichkeiten und Geschäftsfelder eröffnen und dass das Know-how in diesem Bereich ausgebaut werden muss, um auch in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben.

Für Investitionsentscheidungen können Machine Learning Algorithmen mit allen quantifizierbaren Informationen trainiert werden, die auch einem menschlichen Anleger zur Verfügung stehen. Das Verfahren deckt dann ohne menschliches Eingreifen versteckte Zusammenhänge zwischen Unternehmenskennzahlen und zukünftigen Renditen auf. Anhand der Prognosemodelle werden schliesslich Renditeprognosen generiert.

Zurzeit gibt es erst wenige öffentliche Anlagefonds deren Strategie auf Machine Learning Algorithmen beruhen. Dies wird sich in den kommenden Jahren ändern. US-Finanzinstitute haben das Potential der Künstlichen Intelligenz früher erkannt, bei Europäischen Banken herrscht Nachholbedarf.

Mensch versus Maschine

Welche Methode liefert die besseren Investitionsentscheidungen? Alle drei Ansätze haben ihre Berechtigung: Die menschliche Intuition hat sich über Jahrtausende bewährt und erlaubt rasche Entscheidungen auch in ungewohnten Situationen. Regelbasierte Ansätze sind transparent und es lässt sich gut einschätzen, wie sich das Modell in einem Szenario verhalten wird. Mit der künstlichen Intelligenz steht nun eine leistungsstarke, Daten getriebene Entscheidungsmethode zur Verfügung. Diese Machine Learning Algorithmen liefern vielversprechende Renditevorhersagen, weil sie im Vergleich zum Menschen ein perfektes Gedächtnis haben und daher nichts vergessen, die relevanten Kriterien treffsicher herausfiltern und riesige Datenmengen schnell verarbeiten können. Zudem erwirtschaften diese Modelle Renditen, die mit traditionellen Anlagestrategien wenig korreliert sind. Strategien basierend auf der künstlichen Intelligenz eignen sich deshalb als zusätzliche Anlagebausteine.

Die Finanzmärkte sind eines der komplexesten Systeme unserer Welt, vergleichbar mit dem chaotischen Wettergeschehen. Renditeprognosen bleiben schwierig. Ein breit abgestützter Anlageansatz, der die Vorteile der drei Entscheidungsmethoden nutzt, ist deshalb vielversprechend.

 

1Gerd Gigerenzer, Bauchentscheidungen - Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, 2008

2Andrew Ng, Chief Scientist bei Google und Baidu, Professor an der Stanford University, Mitgründer der Coursera Lern-Plattform

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