«Wir müssen uns von starren regu­lato­rischen Limiten lösen»

Die Herausforderungen für die Pensionskassen und institutionelle Anleger sind stark gestiegen. Diese wirken sich kurzfristig aus. Sie werden auch langfristig Folgen haben, etwa wenn es um die Asset Allocation geht. Gefordert sind daher konkrete Antworten auf Seiten der Institutionen und längerfristige Entscheide des Regulators, für die Iwan Deplazes plädiert.

Interview: Andreas Schaffner, Magazin Sphere

Iwan Deplazes, Leiter Asset Management: «Wir liegen seit Jahresbeginn auf Rang drei der absatzstärksten Fondsanbieter Europas mit einem Neugeldzufluss von 7,3 Milliarden Euro.»

Iwan Deplazes, das aktuelle Marktumfeld ist als Privatinvestor gelinde gesagt enttäuschend. Wie nehmen Sie es als professioneller Investor auf?

Iwan Deplazes: Es ist sicher anspruchsvoller geworden auch für uns. Mit einem Minus von 12 Prozent in einem breit diversifizierten Mischportfolio kann man nicht zufrieden sein. Wir alle wissen, dass neben der Inflation auch ein Krieg wütet und die Lieferketten die Märkte belasten. Wir kommen zudem aus einer Welt, in der es mit den Zinsen seit fast 15 Jahren nur noch bergab ging. Da wurden natürlich viele Anleger verwöhnt. Man sprach sogar von neuer Normalität.

Nun sieht die neue Normalität anders aus: Ist es nicht vielmehr so, dass wir mit den positiven Zinssätzen zur alten Normalität zurückkehren?

(lacht) Ja, aber was ist schon normal? 4 Prozent Inflation – da müssen sie schon sehr lange zurückblättern im schweizerischen Wirtschaftsgeschichtsbuch.

Inflation, Zinsschock: Wie gehen Sie damit um?

Zunächst bedeutet dies Verluste auf praktisch allen Anlageklassen. Gleichzeitig, das sieht man insbesondere in den USA, führen steigende Zinsen zu neuen Opportuni­täten – die US-Staatsanleihen handeln wieder mit einem Zins auf Verfall von fast 4 Prozent. So weh diese Korrektur auch tut, das höhere Zinsumfeld führt dazu, dass das Vermögen wieder einen Wert erhält und zinsloses Sparen im inflationären Umfeld einer Wertvernichtung gleichkommt.

Was unternehmen institutionelle Anleger wie Pensionskassen derzeit? Abwarten und Teetrinken?

Nein, das geht nicht. Natürlich spüren diese auch den Zerfall der Bondpreise sowie die sinkenden Aktienpreise, was oft auch Reallokationsaktivitäten mit sich bringt. Gleichzeitig eröffnen aber die Obligationen wieder neue Anlageperspektiven, die die Pensionskassen seit Jahren vermisst haben. Institutionelle Anleger tun gut daran, die Märkte genau zu beobachten und wachsam zu bleiben, damit sie den Zeitpunkt für den Einstieg nicht verpassen.

Die Pensionskassen müssen immer auch ihre Passivseite im Auge behalten.

Auf jeden Fall. Die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mussten im zweiten Quartal 2022 einen starken Rückgang ihrer Reserven mitansehen. Sie sanken gemäss unserem Pensionskassen-Monitor um durchschnittlich 9,3 Prozentpunkte auf 7,8 Prozent. Ein Problem sind deswegen die sinkenden Wertschwankungsreserven, die ja auch die Risikofähigkeit der Kassen mitprägen. Per Ende Juni 2022 lagen die Wertschwankungsreserven wieder deutlich unter der durchschnittlichen Zielgrösse von 18 Prozent. Sie haben sich also von den rekordverdächtigen Höchstständen von Ende 2021 von über 20% stark entfernt.

Pensionskassen-Monitor: Basis für Entscheidungen

Der Swisscanto Pensionskassen-Monitor informiert Sie vierteljährlich über Deckungsgrad und Anlagerendite der Schweizer Pensionskassen im Durchschnitt und Quartalsvergleich. 

Was heisst das für die Anlagepolitik?

Kurzfristig nichts. Die Reserven sind gerade dazu da, solche Marktentwicklungen aufzufangen. Was wir aber sehen, ist, dass die Risikofähigkeit sinkt und die Asset-Allokationen aufgrund der hohen Verluste in Aktien und Obligationen vielerorts in Schieflage geraten sind: Da etwa Aktien und Obligationen zusammen deutlich an Wert verloren haben, sind deren relative Werte im Vergleich zu anderen Anlage­klassen wie Immobilien und Privatmarktanlagen gesunken. Wir sehen nun diverse Pensionskassen, die deswegen gezwungen sind, ihre eher illiquiden Positionen wie beispielsweise Immobilien zu reduzieren. Den Effekt sieht man bereits an den Börsen: Börsenkotierte Immobiliengefässe, als vermeintlich liquideste Variante der Immobilienanlagen, mussten grosse Kurseinbussen verzeichnen.

Nach der AHV-Abstimmung, die eine Erhöhung des Rentenalters für die Frauen ermöglichte, stehen nun Gesetzesrevisionen im Bereich der zweiten Säule an. Hier geht es darum, den demografischen Entwicklungen Rechnung zu tragen und den Umwandlungssatz und damit auch die Renditeversprechen zu senken.

Ja, das ist eine Entwicklung, die wir sehr unterstützen, obschon bereits viele Pensions­kassen eigene Massnahmen in diesen Bereichen ergriffen haben. Gleichzeitig fordern wir auch, dass die Gelder – es geht immerhin um über 1000 Milliarden Franken – professioneller verwaltet werden. Man muss sich lösen von starren regulatorischen Limiten bei der Asset-Allokation, die eine falsche Sicherheit suggerieren. Diesen Schritt verbunden mit der Einführung der Prudent-Investor-Rule haben Länder wie Kanada aber auch die Niederlande bereits erfolgreich umgesetzt und damit die Professionalisierung im Umgang mit den grossen Vermögen vorangetrieben.

Die greifen aber auch das Milizsystem an sich an; dass nämlich die paritätisch aufgestellten Stiftungsräte durch professionellere Anlagegremien ersetzt werden.

Nun, ich bin Urner und glaube fest an das Milizsystem. Aber bei der Bewirtschaftung solch grosser Vermögen kommt es einfach an seine Grenzen. Die Anlagekompetenz sowie die Fähigkeiten im Umgang mit Risiken und Renditechancen müssen im Vordergrund stehen.

Schauen wir die Asset Management Industrie als Ganzes an. Was hat sich hier verändert?

Zunächst eine Zahl: Insgesamt musste die Schweizer Fondsbranche im ersten Halbjahr unter dem Strich 185 Milliarden Franken an Abflüssen verdauen. Das zeigen die neusten Zahlen von Swiss Fund Data. Das ist kein Pappenstiel! Es setzt natürlich die ganze Industrie unter Druck. Erfreulich ist hingegen, dass eine europäische Studie von Refinitiv zeigt, wie sich Schweizer Asset Manager auch im europäischen Wettbewerb behaupten können. Wir liegen beispielsweise seit Jahresbeginn auf Rang drei der absatzstärksten Fondsanbieter Europas mit einem Neugeldzufluss von 7,3 Milliarden Euro. Nur gerade Blackrock und Vanguard – die weltweit grössten Anbieter – konnten im Verlauf dieses schwierigen Jahres noch höhere Geldzuflüsse verzeichnen.

Die Positionierung der Schweiz als Fondsstandort hat nicht gelitten?

Nein. Trotz den hohen Vermögenseinbussen hat der Schweizer Fondsstandort seine starke Wettbewerbsposition in Europa beibehalten können. Das gilt auch bei Nachhaltigkeitsthemen. Die Art und Weise, wie wir uns exponiert haben zum Thema Nachhaltigkeit, ist nicht von kurzfristigen Kapitalmarktentwicklungen abhängig, sondern dahinter steht eine Überzeugung, dass das ein wichtiges Thema für uns ist und uns wie auch die ganze Gesellschaft noch ganz lange beschäftigen wird.

Wie wir an der europäischen Taxonomie sehen, ist der Begriff der Nachhaltigkeit selbst auch im Wandel.

Ja. Sehr stark sogar. Vor sieben Monaten wäre wohl für die meisten Marktteilnehmer klar gewesen, dass Unternehmungen aus der Rüstungsindustrie oder Atomkraftpro­duzenten nicht in ein nachhaltiges Portfolio gehören. Nach dem Ausbruch des Krieges zwischen der Ukraine und Russland, sowie des wohl anstehenden Energie­engpasses haben sich die Befindlichkeiten zu diesen Unternehmen ziemlich verändert. In dieser schnelllebigen Welt ist es jetzt wichtig, dass wir unsere Grundlagenanalysen machen und die Resultate in aller Form transparent und begründet kommunizieren und dann konsequent umsetzen.

Unterstellen Sie Ihre ESG-Strategien diesen neuen EU-Taxonomien?

Ja. So wie die meisten grossen Schweizer Asset Manager verfügen auch wir über eine ausgebaute Produktpalette nach Luxemburger Recht. Deswegen sind wir gezwungen, die Kompatibilität zur europäischen Taxonomie sicherzustellen.

Integration von ESG - Wie geht das?

Erfahren Sie hier, wie das Asset Management der Zürcher Kantonalbank ESG-Kriterien in Anlageentscheidungen integriert. 

Die digitale Transformation der Asset-Management-Industrie ist im vollen Gang. Welche Rolle spielen Sie als führende Kraft aber auch von Seiten der AMAS?

Wir haben als Industrie immer neue Technologien genutzt, um einerseits effizienter zu produzieren, aber andererseits vor allem den Kunden einen Zusatznutzen abzuliefern. Die ganze Industrie investiert seit Jahrzehnten in den technologischen Fortschritt. Dabei fokussiert sie sich auf die drei Bereiche am «point of investment decision», am «point of execution» sowie am «point of sales».

Nun dreht sich ja mittlerweile sehr viel um die Frage, wie die Blockchain-Technologie auch im Asset Management eingesetzt werden kann.

Genau. Die Blockchain-Technologie könnte uns insbesondere beim Prozess der Umsetzung der Investitionsentscheide hilfreich sein. Durch die Technologie erwarten wir künftig beispielsweise eine zeitverzugslosere Ausführung unserer Handelsauf­träge. Aber natürlich wird es viele weitere Anwendungsmöglichkeiten dieser Techno­logie geben, die der Asset-Management-Industrie die Arbeit vereinfachen und der Kundschaft zusätzlichen Nutzen verschafft, beispielsweise im Reporting.

Wie sieht es mit dem Bedürfnis der Kunden aus? Es gibt auch auf Seiten der Privatinvestoren nicht viele, die eine Wallet ihr Eigen nennen und darin Crypto-Werte oder NFTs halten.

Die Bedürfnisse der Kundschaft sind sehr unterschiedlich. Grundsätzlich gilt aber für alle Kundinnen und Kunden, dass sie bei Investitionen ein möglichst attraktives Risiko-Renditeverhältnis eingehen wollen und das natürlich zu fairen Preisen. Welche Technologien die Produzenten solcher Lösungen einsetzen, ist für die meisten Kunden jedoch sekundär. Im Umgang mit Wallets für Kryptowährungen steht die Flexibilität und Sicherheit im Zentrum. Auch da nutzen die Produzenten solcher Lösungen aktuellste Technologien.

Das Interview führte Chefredaktor Andreas Schaffner vergangenen September. Es erschien Anfang November 2022 im Magazin SPHERE.