Die Inflation ist in den führenden Industrieländern derzeit so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Warum?
Durch eine Kombination aussergewöhnlicher Ereignisse und Massnahmen: Restriktionen aufgrund der Pandemie, Lieferengpässe, eine ultraexpansive Geld- und Fiskalpolitik sowie der Krieg in der Ukraine haben die Inflation allesamt befeuert.
Wie ist die Situation in der Eurozone?
Ähnlich. Und das, obwohl die Inflation seit der Finanzkrise im Durchschnitt bei lediglich etwas mehr als 1 Prozent lag. Zuletzt erreichte die Inflation mit 7,4 Prozent den höchsten Wert in der noch jungen Geschichte des Euro. Das von der EZB angestrebte Ziel von 2 Prozent wird damit meilenweit übertroffen.
Was sind die Treiber?
Das sind grundsätzlich dieselben wie diejenigen auf globaler Ebene. Die Besonderheit in Europa ist jedoch, dass aufgrund der hohen Abhängigkeit von russischem Erdöl und Erdgas der Energiebereich eine wesentlich grössere Rolle spielt. Unter Ausklammerung der volatilen und kaum prognostizierbaren Energiepreise lag die Inflation zuletzt mit 4,1 Prozent deutlich tiefer. Aber auch dieser Wert entspricht einem Rekordhoch.
Zahlreiche Notenbanken rund um den Globus haben bereits den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik eingeleitet – mit Ausnahme der EZB. Wie erklären Sie sich das zögerliche Vorgehen?
Die Europäische Zentralbank befindet sich in einem Dilemma. In der Eurozone gibt es neben den Inflations- auch berechtigte Konjunktursorgen. Der Krieg in der Ukraine drückt auf die Stimmung von Firmen und Haushalten, was das Wachstum dämpft. Über der Wirtschaft schwebt zudem das Damoklesschwert eines möglichen Stopps von russischen Öl- und Gaslieferungen beziehungsweise eines europäischen Boykotts derselben. In einem solchen Fall würde die Wirtschaft in der Eurozone in eine Rezession fallen. Einige EZB-Vertreter erachten markante Zinserhöhungen im aktuellen Umfeld deshalb als verfrüht und kontraproduktiv. Darüber hinaus wird argumentiert, dass die Geldpolitik gegen hohe Energiepreise und Lieferengpässe ohnehin nichts ausrichten könne.