Das Ende der Investorenverantwortung?
Nachhaltigkeitsinitiativen von Investorinnen und Investoren stehen unter Druck: Kritik an ESG-Zielen (Environmental, Social, Governance) und rechtliche Vorwürfe führen zum Rückzug vieler Mitglieder. Stattdessen gewinnt die Stimmweitergabe an Bedeutung, wodurch Endinvestoren direkten Einfluss auf Unternehmen und deren Strategien erhalten. Erfahren Sie mehr dazu im Beitrag.
Text: Silke Humbert und Sarah Spirig

Viele Investoreninitiativen mit dem Ziel, Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit aufzurufen, erlebten in den letzten drei Jahren einen Exodus an Mitgliedern. Beispiele sind etwa die «Net Zero Asset Managers Initiative» oder «Climate Action 100+», wo Investorinnen und Investoren gemeinsam auftreten, um Klimaziele von den investierten Unternehmen einzufordern.
Kritik an diesen Initiativen kommt mehrheitlich aus den USA. Zwei Vorwürfe stehen im Raum:
- Erstens die Verletzung der treuhänderischen Pflicht. Kritiker der ESG-Betrachtung (Environmental, Social, Governance) werfen den Asset-Managern vor, nicht im Interesse ihrer Kundinnen und Kunden zu handeln, wenn sie Nachhaltigkeitsziele von Firmen einfordern.
- Zweitens die Verletzung des Kartellrechts. Absprachen zwischen Investorinnen und Investoren würden den freien Wettbewerb untergraben und den Finanzierungsspielraum der Unternehmen einengen.
Muss nun die Idee, dass Asset-Manager im Sinne der Nachhaltigkeit Einfluss auf Unternehmen nehmen, zu Grabe getragen werden?
Investment Stewardship gewinnt an Bedeutung
Das Ausüben von Einfluss auf investierte Unternehmen nennt sich «Investment Stewardship». Dabei geht es um den direkten Dialog mit den Unternehmen (Engagement) sowie das Abstimmen an Generalversammlungen (Proxy Voting). Aus Gesprächen mit Asset-Managern zeichnet sich ab, dass Investment Stewardship trotz ESG-Gegenbewegung an Bedeutung gewinnt. Zwar zeigt sich der Gegenwind nicht nur durch den Ausstieg diverser US-Manager aus kollaborativen Investoreninitiativen, sondern auch daran, dass die Zustimmungsquoten bei ESG-Aktionärsanträgen sinken.
Zeitgleich ist ein Aufbau an Stewardship-Ressourcen bei Asset-Managern und eine höhere Datentransparenz über die Stewardship-Aktivitäten zu sehen. Zusammengefasst kann man sagen, dass Asset-Manager sich immer mehr in der Verantwortung sehen, öffentlich Auskunft über den von ihnen ausgeübten Einfluss zu geben, aber immer weniger in der Verantwortung, ambitionierte Nachhaltigkeitsziele bei den Unternehmen einzufordern. Stattdessen wird die Einflussnahme auf das Unternehmen wieder vermehrt auf das allgemeine Risikomanagement begrenzt.
Zu dieser These passt auch, dass das Instrument der Stimmweitergabe (Pass-Through Voting) immer weiter vorangetrieben wird. Hierdurch geht die Möglichkeit zur Stimmabgabe vom Asset-Manager zum Asset Owner über. Asset-Manager müssen sich somit nicht mehr mit der Frage beschäftigen, welches Abstimmungsverhalten im Interesse der Kundinnen und Kunden ist, sondern überlassen dies den Kunden selbst. Dass das Instrument der Stimmabgabe prinzipiell an Bedeutung gewinnt, ist auch daran zu erkennen, dass Gegenstimmen an der Generalversammlung vermehrt auch als Eskalationsinstrument beim Engagement benutzt werden. Indem gegen das Management abgestimmt wird, wird die Unzufriedenheit in Bezug auf ein spezifisches Thema zum Ausdruck gebracht.
Neuer Trend Demokratisierung
Investment Stewardship, also das Ausüben von Einfluss der Investorinnen und Investoren auf die investierten Unternehmen, ist so alt wie das Investieren selbst und hat seinen festen Platz unter den Anlagestrategien. Durch den Trend zum nachhaltigen Investieren rückte in den letzten Jahren der Umweltfokus vermehrt in den Vordergrund. Doch die Politisierung von Nachhaltigkeit führte dazu, dass sich Asset-Manager, die sich oben genannten Initiativen angeschlossen hatten, plötzlich im politisch-juristischen Kreuzfeuer wiederfanden und mit wirtschaftlichen Einbussen rechnen mussten. Nun rücken sie von Klimaforderungen ab und versuchen ihrer Investorenverantwortung als Treuhänder mittels erhöhter Transparenz gerecht zu werden. Statt dem Ende der Investorenverantwortung kommt es aus Sicht der Experten der Zürcher Kantonalbank zu einer Demokratisierung durch die Stimmweitergabe. Nicht der Asset-Manager als Treuhänder übt das Stimmrecht für viele einzelne Investoren aus, sondern diese erhalten zukünftig selbst die Möglichkeit abzustimmen. Welchen Einfluss wird dies auf die Nachhaltigkeit der Unternehmen haben? Die Hebelwirkung grosser passiver Asset-Manager entfällt. Je nach deren Stimmverhalten ist das positiv oder negativ für die Nachhaltigkeit. Die Repräsentanz der vielen Endinvestoren wird auf jeden Fall erhöht. Wie diese abstimmen werden, bleibt abzuwarten.