Das Warten auf Belebung am hiesigen IPO-Markt

Für Börsengänge, sogenannte Initial Public Offerings (IPO), ist das Marktumfeld weiterhin herausfordernd. Lediglich zwei Unternehmen entschieden sich dieses Jahr für den Schritt an die Börse. Folgt nach einem Jahr der Flaute eine baldige Belebung? Andreas Neumann, Leiter Equity Capital Markets bei der Zürcher Kantonalbank, sieht zurzeit wenig Anzeichen dafür.

Text: Melanie Gerteis

Andreas Neumann, warum gibt es punkto Börsengänge diese Zurückhaltung?

Die Börsen sind weiterhin volatil, es herrschen somit keine optimalen Voraussetzungen für Börsengänge. Zwar hat sich der Volatilitätsindex VIX bis anfangs Dezember 2022 deutlich auf rund 22 Punkte zurückgebildet. Und parallel dazu haben sich die Aktienmärkte erholt. Dennoch benötigen IPOs über eine längere Zeit – in der Regel sind es drei bis vier Wochen zwischen offizieller Ankündigung und erstem Handelstag – ein stabiles Marktumfeld. Entsprechend zurückhaltend sind die Unternehmen, nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit.

Wie wirkt sich diese Zurückhaltung auf jene Unternehmen aus – und ganz generell?

Im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld sind die Unternehmen mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Um einen Börsengang durchzuführen, muss sich zuerst das Marktumfeld weiter stabilisieren. Die Management-Ressourcen der Unternehmen werden bis zum optimalen Zeitfenster gegenwärtig tendenziell für andere Themen eingesetzt, so etwa für alternative Finanzierungsformen oder für Vorbereitungen hinsichtlich der zunehmenden Bedeutung von ESG-Erwartungen seitens der Analysten und Investoren.

Was erwarten Sie für 2023?

Unternehmen werden frühestens im zweiten Quartal 2023 beziehungsweise realistischerweise eher im zweiten Halbjahr 2023 den Gang an die Börse in Betracht ziehen. Zum Jahresbeginn erwarte ich noch keine IPOs.

Dennoch: Entsprechende Kandidaten befinden sich bereits in der Pipeline. Gewisse Unternehmen mussten ihre bereits weit fortgeschrittenen Pläne aufgrund des unsicheren Marktumfelds während des laufenden Jahres sistieren. Im 2022 betrug das Volumen der IPO-Aktivitäten in der Schweiz lediglich 192 Millionen Franken verglichen mit 2,15 Milliarden Franken im 2021. Eine Reaktivierung der sistierten IPO-Pläne ist gegen Mitte 2023 denkbar, sofern sich die geopolitische Lage beruhigter zeigt und sich die Aktienmärkte stabilisieren – und natürlich auch die Volatilität auf tiefem Niveau verharrt.

Doch nicht nur bestehende Börsenanwärter könnten den Schritt an die Börse erwägen. Die Liste der potenziellen IPO-Kandidaten könnte weiter ansteigen, denn nach der aktuellen Flaute besteht Nachholbedarf.

Welche Unternehmen dürften den Anfang wagen?

Im Vorteil sind Unternehmen mit etablierten Geschäftsmodellen, die bereits profitabel und dividendenfähig sind.

KMU sind im Nachteil?

Korrekt, die Realisierungschancen für kleinere Unternehmen sind zurzeit limitiert, denn institutionelle Investorinnen und Investoren favorisieren im jetzigen Marktumfeld hoch liquide Large Caps, scheuen aktuell das Risiko und setzen lieber auf bewährte Werte.

Bei einem besseren Marktumfeld wendet sich das Blatt wieder und die Zuversicht kehrt rasch zurück, wie es die Vergangenheit jeweils zeigte.

Qualifizierende KMU können sich bis dahin optimal auf den Börsengang vorbereiten und sich sozusagen IPO-ready machen. Dafür gibt es seit gut einem Jahr auch ein entsprechendes Netzwerk, die Sparks IPO Academy. Diese unterstützt IPO-Kandidaten auf ihrem geplanten Weg, ermöglicht ihnen Zugang zu Anwaltskanzleien, Investor-Relations-Beraterinnen und -Beratern, Revisionsunternehmen und Banken. In zahlreichen Meetings hilft die Academy generell mit wertvollen Hinweisen.

Die Zürcher Kantonalbank ist ebenfalls Teil dieses Netzwerks und unterstützt die entsprechenden Anstrengungen der kleineren und mittleren Unternehmen, unter anderem bei den relevanten Überlegungen zur Etablierung der sogenannten Equity Story. Dort geht es darum, dass die USPs eines Emittenten identifiziert und daraus abgeleitet die Gründe für ein Investment in die entsprechende Aktie formuliert werden.

 

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Sind somit künftig mehr Börsengänge von KMU zu erwarten?

Nicht unbedingt. In der Schweiz ist die Aktienkultur für junge Wachstumsunternehmen noch nicht so ausgeprägt wie etwa in den USA oder in Skandinavien. Wenn sich vermögende Privatpersonen in diesem Segment engagieren, dann wählen sie häufig einen Small-Cap-Fonds und investieren nicht in einzelne Jungunternehmen.

Zudem ist es für Schweizer KMU anspruchsvoll, Nachfrage in der Grössenordnung von 50 bis 100 Millionen Franken zu generieren, da gewisse institutionelle Investoren einen höheren Freefloat – also Aktien im Streubesitz – voraussetzen, damit auch die Handelsliquidität an der Börse ausreichend hoch ist. In anderen Märkten, etwa in den USA, ist dies einfacher. Auch deshalb wählen vereinzelte Schweizer Unternehmen die dortigen Börsen und nicht die SIX Swiss Exchange.

Ist die Wahl eines ausländischen Börsenplatzes nachteilig für den Schweizer Finanzplatz?

Generell ist es sicherlich so, dass in- und ausländische institutionelle Investoren wie Vermögensverwalter und Pensionskassen darauf angewiesen sind, auch in kotierte Schweizer Unternehmen zu investieren. In unserer globalisierten Welt befinden sich Börsen grundsätzlich in einem stetigen Wettbewerb. Jeder Börsenplatz hat seine spezifischen Vor- und Nachteile, derer sich die Schweizer IPO-Kandidaten bewusst sein sollten.

So zählt die Schweiz etwa zu den wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Welt und belegt hinsichtlich Innovationskraft sowie politischer Stabilität einen Spitzenplatz. Der hiesige Finanzplatz überzeugt durch einen transparenten und fairen Handel sowie einen effizienten Zugang zu Kapital. Dank einer marktorientierten Regulierung, kundenorientierten Dienstleistungen sowie einem Netzwerk an starken Partnern ist die Schweizer Börse ideal positioniert für IPO-Kandidaten.

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