ESG-Analyse gibt Einblicke und zeigt Nachholbedarf

Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 Netto-Null zu erreichen. Hierbei kommt den Schweizer Unternehmen und Investoren eine wichtige Rolle zu. Wie es um die Nachhaltigkeitsbestrebungen der hiesigen kotierten Aktiengesellschaften steht, zeigt eine aktuelle ESG-Analyse der Zürcher Kantonalbank. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick.

Text: Melanie Gerteis / Bild: Flavio Pinton

Omar Brem
«Zahlreiche Unternehmen werden in naher Zukunft konkrete Emissionsreduktionsziele oder Netto-Null-Ziele veröffentlichen – der Druck der Investoren steigt.» Omar Brem, Leiter Research bei der Zürcher Kantonalbank.

Über die Hälfte der Unternehmen ohne (publizierte) Netto-Null-Ziele

Dem Klimawandel zum Trotz: Lediglich 65 der untersuchten Unternehmen (45,8 Prozent) haben sich Netto-Null-Ziele gesetzt. Davon erzielen 29 Firmen bereits signifikante Fortschritte, während die restlichen 36 Firmen keine Initiativen zur Erreichung der Ziele veröffentlichen. 33 Unternehmen (23,2 Prozent) haben gar keine Ziele veröffentlicht – weder zur Emissionsreduktion noch zum Erreichen von Netto-Null.

Nachfolgend der aktuelle Stand der Netto-Null-Initiativen der 142 in der Schweiz kotierten Aktiengesellschaften:

Status der Netto-Null-Initiativen der Unternehmen

Omar Brem, Leiter Research bei der Zürcher Kantonalbank, geht davon aus, dass zahlreiche Unternehmen in naher Zukunft konkrete Emissionsreduktionsziele oder Netto-Null-Ziele veröffentlichen werden – der Druck der Investoren steige, sagt er. Insbesondere bei börsenkotierten Schweizer Unternehmen im Bereich der Small und Mid-Caps besteht diesbezüglich Nachholbedarf. Denn sie haben noch keine umfassende Datenerfassung der eigenen Tätigkeit hinsichtlich Nachhaltigkeitsaspekten. Dies hat Einfluss auf die Berichterstattung über sie sowie ihre Bewertung im Vergleich zu grosskapitalisierten Unternehmen.

Grosse ESG-Ratingunterschiede – nur vier Unternehmen mit Höchstnote

Lediglich vier Unternehmen aus dem gesamten ESG-Research-Universum erhalten die höchste Ratingkategorie von fünf Sternen und entsprechen ESG-Leadern. Die Hälfte der Unternehmen (72 Firmen) stuft das Research-Team der Zürcher Kantonalbank mit vier Sternen (ESG-konform) ein, 49 Unternehmen mit drei Sternen (überwiegend ESG-konform) und insgesamt 17 Unternehmen mit zwei oder weniger Sternen (Nachholbedarf bei ESG-Themen).

Mit einem Durchschnittswert von 3,4 Sternen stehen die Schweizer Unternehmen im internationalen Vergleich trotzdem gut da. Sie überzeugen vor allem durch eine gute Corporate Governance und ein transparentes Reporting.

ESG-Ratingverteilung der analysierten Unternehmen

Unternehmen (Anzahl und prozentuale Verteilung). (Quelle: Zürcher Kantonalbank)

ESG-Vorreiter: Finanzbranche, Gesundheitswesen und Industrie

Generell zeigt die ESG-Analyse, dass Unternehmen im Bereich Umwelt im Durchschnitt tendenziell die tiefsten und im Bereich soziale Aspekte tendenziell die höchsten Bewertungen erzielen. Dass ein bedeutender Teil (23,2 Prozent) der analysierten Unternehmen weder Reduktionsziele publiziert noch Initiativen zur Emissionsreduktion ausweist, erklärt unter anderem die relativ tiefe Bewertung im Bereich Umwelt.

Bei den sozialen Aspekten überzeugen viele Unternehmen im Bereich der Produktqualität und -ethik sowie bei der sozialen Verantwortung und dem gesellschaftlichen Mehrwert.

Nach Sektoren betrachtet präsentiert sich die ESG-Ratingverteilung wie folgt:

  • Die Finanzbranche, das Gesundheitswesen und die Industrie schneiden bei der ESG-Bewertung am besten ab.
  • Im Finanzsektor überzeugen die Bereiche S (soziale Faktoren) und G (Unternehmensführungskriterien), wohingegen der Bereich Umwelt aufgrund von teilweise kritisch beurteilten Finanzierungstätigkeiten vor allem bei den Banken unterdurchschnittlich abschneidet. Innerhalb des Finanzsektors belegen Versicherungen bei der ESG-Bewertung den Spitzenplatz.
  • Im Gesundheitswesen führen unter anderem die gesellschaftlich wichtigen Produkte zu einer sehr guten Bewertung im Bereich S, also den sozialen Aspekten, hingegen besteht Optimierungspotenzial im Bereich der Unternehmensführung.
  • Der Immobilien-Sektor schneidet gegenüber den anderen Sektoren unterdurchschnittlich ab. Grund dafür sind die schwachen Beurteilungen im Umweltbereich. Der schweizerische Gebäudepark ist für rund 25 Prozent der nationalen CO2-Emissionen verantwortlich. Ältere und mittlerweile sanierungsbedürftige Liegenschaften wurden damals nicht emissionssparend gebaut. Gleichzeitig basiert die Wärmeerzeugung nach wie vor auf fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas. Bei neuen Bauvorhaben oder Sanierungen setzen Bauherren gemäss ihrer Energiestrategie auf nachhaltige Materialien, die Verbesserung der Energieeffizienz und den Einsatz von erneuerbaren Energien.
  • Im Industriesektor leisten viele Schweizer Industrieunternehmen mit innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten einen Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz und somit zur Emissionsreduktion. Verglichen mit anderen Sektoren wirken sich diese Initiativen positiv auf die Bewertung im Umweltbereich aus. Einzelne Spezialchemieunternehmen zählen mittlerweile zu den besten weltweit, wenn es um Fragen des ökologischen Fussabdrucks geht.
  • Obwohl der Fokus bei produzierenden Technologie- und Industrieunternehmen in erster Linie auf CO2- und Schadstoffemissionen liegt, erhält der Wasserverbrauch immer mehr Aufmerksamkeit. Bei technologieorientierten Industrieunternehmen repräsentieren Scope-3-Emissionen einen substanziellen Teil der Gesamtumweltbelastung. Die Verwendung von Recyclingmaterialien gewinnt zunehmend an Bedeutung und kann den CO2-Fussabdruck verkaufter Produkte substanziell reduzieren.
     

ESG-Ratingverteilung nach Sektor

(Quelle: Zürcher Kantonalbank)

Unternehmen mit dem grössten CO2-Fussabdruck

Die Reduktion der Treibhausgasemissionen hat nicht nur in der Schweiz, sondern auch für die Vereinten Nationen einen hohen Stellenwert. Es liegt nahe, dass aufgrund der material- und energieintensiven Produktion im Industriesektor oft erhebliche CO2-Emissionen anfallen. Von den 142 analysierten Unternehmen weisen lediglich 62 (44 Prozent) quantifizierte Emissionen aus. Dabei liegt der Durchschnitt bei direkten und indirekten Emissionen (Scope 1 und 2) bei 2,34 Mio. Tonnen CO2. Scope-3-Emissionen, die etwa auch die ganze Lieferkette betreffen, weisen nur 52 Unternehmen (37 Prozent) aus.

CO2-Fussabdruck je Unternehmen (2021)

Holcim (verkürzte Darstellung, Scope 1 und 2 total 126 Mio. Tonnen CO2/GHG im Jahr 2021) wird mit dem Verkauf des Indiengeschäfts im Jahr 2022 die CO2-Emissionen um ca. 26% reduzieren.

Berechnung der Treibhausgas­emissionen: Scope 1, 2 und 3

Bei der Berechnung der Treibhausgasemissionen halten sich die meisten Unternehmen in der DACH-Region entweder an das Schema DIN ISO 12062-1 oder an den Corporate Standard des Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol25), das die CO2-Emissionen in drei Geltungsbereiche (Scope 1 bis 3) unterteilt:

  • Scope 1: Direkte Emissionen aus Quellen, die im Besitz oder Geltungsbereich des Unternehmens sind (z.B. Betrieb des eigenen Heizkessels oder Fuhrparks).
  • Scope 2: Emissionen von bezogener Energie (z.B. der eigene Stromverbrauch, Wärme, Kühlung etc.). Erzeugt das Unternehmen die genutzte elektrische Energie selbst, dann wird dieser Strom nicht als Scope 2 bilanziert, sondern der eingesetzte Brennstoff wird unter Scope 1 (direkte Emissionen) bilanziert.
  • Scope 3: Indirekte Emissionen aus Aktivitäten, die nicht direkt vom Unternehmen verursacht werden (z.B. aus Berufsverkehr, Geschäftsreisen, Aufträgen oder dem Abfallmanagement).

Emissionskategorien nach dem GHG Protocol

Internationale Standards

Die Finanzindustrie steht immer noch am Anfang bei der Integration von Nachhaltigkeit. Es haben sich im Markt noch keine klaren Standards durchgesetzt. Einen Anfangspunkt bilden folgende Grundlagen:

  • 70 Prozent der analysierten Unternehmen erfüllen den Global-Reporting-Initiative-Standard (GRI-Standard).
  • 43 Prozent der abgedeckten Firmen haben den UN Global Compact unterzeichnet.

Omar Brem gibt zu bedenken: «Die Transparenz und Datenverfügbarkeit seitens der Unternehmen müssen weiter verbessert werden». Nur so kann eine bessere Informationsbasis für Analysen sichergestellt werden. Zudem seien die politischen Entscheide und Schwerpunktthemen global, also auch in der Schweiz, einem ständigen Wandel unterworfen.

Methodik der neuen ESG-Analyse

Im Research der Zürcher Kantonalbank wurde ein neuer ESG-Ansatz entwickelt, der auf umfassenden Datenauswertungen und der Expertenmeinung der Research-Analysten der Zürcher Kantonalbank basiert.

Vorerst bietet die Bank das ESG-Research für den Schweizer Aktienmarkt an. Jene 142 in der Schweiz kotierten Aktiengesellschaften decken 97 Prozent der Marktkapitalisierung des Swiss Performance Index ab. Im Verlauf von 2023 plant die Zürcher Kantonalbank das ESG-Research auf Immobilienfonds und Immobilienanlagestiftungen sowie Obligationen-Emittenten auszuweiten.

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