Kundenbrief von 1870

Personelle Turbulenzen, der Deutsch-Französische Krieg, der erste Verlust - die Zürcher Kantonalbank hatte einen schweren Start.

Text: Simona Maria Stalder

Für die ZeitReise dokumentierten die Historikerin und Projektleiterin Raphaela Ziegler und ihre Mitarbeitenden Gerda Leipold und Matthias Wiesmann 150 Anekdoten aus der Geschichte der Bank. In einer Serie stellen sie ihre Lieblinge vor. Zum Auftakt blenden wir zurück ins Eröffnungsjahr 1870 - eines der turbulentesten Jahre überhaupt.

Personelle Turbulenzen, der Deutsch-Französische Krieg, der erste Verlust – die Zürcher Kantonalbank hatte einen schweren Start. Trotzdem gehört die Geschichte zum Gründungsjahr der Bank zu Matthias Wiesmanns Favoriten: «Gewisse Probleme, mit denen die Bank zu kämpfen hatte, sind typisch für ein Jungunternehmen. Erschwerend kam hinzu, dass es eine 'politische' Gründung war. Das macht die Geschichte so spannend.»

Mit Samthandschuhen angefasst: Historiker Matthias Wiesmann mit dem Eröffnungsschreiben, welches die erste Kundenansprache der Bank dokumentiert.
Mit Samthandschuhen angefasst: Historiker Matthias Wiesmann mit dem Eröffnungsschreiben, welches die erste Kundenansprache der Bank dokumentiert. (Bild: Reto Schlatter)

Archivalien aus 150 Jahren Bankgeschichte hat das HistorikerInnen-Team durchforstet und darüber hinaus versucht, Lücken im Archiv zu schliessen: «Eine Detektivarbeit, bei der auch Glück und Zufall ihre Hand im Spiel hatten.» Ganz überraschend präsentierte nämlich diesen Januar ein deutscher Briefmarkensammler einer Kundenberaterin in der Filiale Winterthur ein Original des ersten Werbemailings der Zürcher Kantonalbank: Ein Brief, der potenzielle Kunden über die Geschäftseröffnung informierte, unterzeichnet von Bankpräsident, Direktor und Kassier.

Geistesgegenwärtig scannte die Kundenberaterin den Brief und schickte ihn ans Historische Unternehmensarchiv mit der Frage, ob man ihn fürs Jubiläum brauchen könne. Matthias Wiesmann traute seinen Augen kaum: «Der Brief war der erste Beleg einer aktiven Kunden- ansprache - und erst noch datiert mit dem 15. Februar 1870, dem Tag der Eröffnung der Zürcher Kantonalbank.»

Just zwei Tage vor dem 150. Geburtstag der Bank traf das Dokument am Hauptsitz an der Bahnhofstrasse ein - gerade noch rechtzeitig, um in der Hauptausgabe der Tagesschau des SRF die Hauptrolle in einem Beitrag zum Bankjubiläum zu spielen. Der Brief wird 2021 auch im ZeitReise-Pavillon im ErlebnisGarten auf der Zürcher Landiwiese zu sehen sein.

Das harte Gründungsjahr

Aller Anfang ist schwer. Das gilt besonders für die Vorbereitungen zur Eröffnung der Zürcher Kantonalbank: Unter dem Vorsitz von Johann Jakob Keller fand am 18. November 1869 die erste Sitzung des Bankrats im Rathaus in Zürich statt. Das Bankratsprotokoll vermerkte: «Herr Kantonsrat Keller, als erstgewähltes Mitglied, will sich eine provisorische Leitung der Präsidialgeschäfte für einmal gefallen lassen, um überhaupt vorwärts zu kommen.»

Brief des ersten «Werbemailings»
Brief des ersten «Werbemailings» (Bild: Zürcher Kantonalbank)

Keiner will Bankpräsident werden

Bei der nächsten Bankratssitzung wurde Heinrich Hochstrasser, Kaufmann aus Zürich, mit acht von neun Stimmen zum Präsidenten des Bankrats gewählt. Er lehnte die Wahl ab. Bei einer erneuten Abstimmung fiel die Wahl auf Bankrat Heinrich Studer, Kantonsrat aus Wipkingen. Mit gerade mal fünf gegen vier Stimmen gewählt, fühlte er sich zu wenig unterstützt und verlangte eine Wahlwiederholung. Nun fiel die Wahl eindeutiger aus.

Die Turbulenzen gingen jedoch weiter, denn nun wollte Dr. Friedrich Anton Lange überraschend aus dem Bankrat austreten. «Das könnte ein schlechtes Licht auf die Bank werfen», waren die anderen Bankräte überzeugt, und fürchteten einen Reputationsschaden. Dennoch traten Dr. Lange sowie die Herren Spyri und Hochstrasser noch 1870 aus dem Bankrat aus.

Mitarbeiter springen ab

Auch die Suche nach dem Direktor der Handelsabteilung war schwierig. Die Stelle trat schliesslich einer an, den der Bankrat zunächst abgelehnt hatte, da er schwerhörig sei. Er blieb nur kurze Zeit. Man sah ein, dass die Stelle zu wenig attraktiv war: Die zu zahlende Kaution sei zu hoch und die Kandidaten befürchteten, vom Bankrat, vom Kantonsrat und von der Politik abhängig zu sein. Erst im Juni 1871 fand sich ein Direktor, der die Handelsabteilung bis 1885 erfolgreich leitete.

Auch zu den Mitarbeitern berichten die Bankratsprotokolle Unerfreuliches: So musste der Hauswart noch vor Dienstantritt entlassen werden, weil Zweifel an seiner Integrität aufkamen. Der erste Kassier wurde schon im November 1870 abgeworben.

Fein säuberlich festgehalten: Das Bankratsprotokollbuch aus den Gründungsjahren.
Fein säuberlich festgehalten: Das Bankratsprotokollbuch aus den Gründungsjahren. (Bild: Reto Schlatter)

Die Eröffnung verzögert sich

Ob dieser Turbulenzen verzögerte sich die für Anfang Januar 1870 geplante Eröffnung der Zürcher Kantonalbank bis zum 15. Februar. Wenige Monate später, im Juli 1870, brach der Deutsch- Französische Krieg aus und stellte die junge Bank vor neue Herausforderungen: Zusätzliche Räume zur sicheren Verwahrung von Wertgegenständen mussten bereitgestellt werden, es fehlte an Bargeld und es konnten nicht alle Darlehensanfragen befriedigt werden.

Mit dem zweiten Jahr kommt der Erfolg

Auch finanziell hatte die Bank einen schlechten Start: Investitionen in den Bankbetrieb führten zum ersten von insgesamt drei Jahresverlusten (nach alter Rechnungslegung) in der Geschichte der Zürcher Kantonalbank. Die Bankleitung verzichtete jedoch darauf, Unterstützung beim Kanton zu beantragen. Sie war überzeugt, den Verlust im folgenden Jahr ausgleichen zu können, was gelang. Die grössten Anfangsschwierigkeiten waren damit überwunden - und der Weg frei für eine 150 Jahre währende Erfolgsgeschichte, in der Kanton und Kantonalbank zu ihrer heutigen Stärke fanden.

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