Nachhaltigkeit von Unternehmen fundiert bewertet

Das Research der Zürcher Kantonalbank bietet ihrer Kundschaft ab Ende November 2022 ein ESG-Offering an. Was dabei im Fokus steht, erklärt Omar Brem, Leiter Research, im Interview.

Text: Melanie Gerteis / Bild: Simon Baumann

Omar Brem
Omar Brem, Leiter Research bei der Zürcher Kantonalbank (Bild: Simon Baumann)

Nachhaltige Produkte verzeichnen seit Jahren eine konstant hohe Nachfrage. Allein in der Schweiz wurden 2021 gemäss Swiss Sustainable Finance knapp CHF 800 Milliarden nachhaltig angelegt – dies entspricht 53 Prozent des Schweizer Fondsmarkts. Im nachhaltigen Fondsuniversum gibt es viele Abstufungen, wie strikt das Thema Nachhaltigkeit umgesetzt wird. Auch Greenwashing-Vorwürfe werden weltweit in regelmässigen Abständen adressiert.

Das Research nimmt die Unternehmen deshalb ganz genau unter die Lupe und analysiert und bewertet diese im Rahmen eines neuen Angebots entlang von zwölf vordefinierten ESG-Themenbereichen. Mehr dazu im Interview mit Omar Brem, Leiter Research bei der Zürcher Kantonalbank

Omar Brem, es existieren bereits verschiedene Nachhaltigkeitsratings und ESG-Labels für Fonds. Welchen Mehrwert bietet das neue ESG-Angebot der Zürcher Kantonalbank?

Die meisten im Markt verfügbaren ESG-Analysen beziehen sich auf eine absolute Bewertung der Daten. Das bedeutet, dass die ESG-Qualität von Unternehmen anhand von Check-Listen und dem Erreichen von Punkten ermittelt wird. Erfüllt eine Unternehmung nicht die internationalen Standards oder weist sie nicht die von den internationalen Datenanbietern geforderten Kennzahlen aus, erhalten diese Unternehmungen ein relativ tiefes Rating oder häufig sogar keine Bewertung.

Zudem haben viele kleinere, börsenkotierte Schweizer Unternehmen im Bereich Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsthemen noch nicht die erforderlichen Ressourcen für die umfassende Datenerfassung der eigenen Tätigkeit – also hinsichtlich Emissionen, weiteren Umweltfaktoren oder verschiedener sozialer Aspekte. Dies beeinflusst deren Rating negativ, obwohl die Unternehmen – auch im Vergleich zu grösseren Firmen – häufig relativ gut aufgestellt sind. Eben diese Lücke schliessen wir mit unserem ESG-Angebot.

Konkret heisst das?

Wie auch in unseren Unternehmensanalysen befassen wir uns dafür fundamental und qualitativ mit den Unternehmen und tauschen uns direkt mit ihnen aus. Ein besonderer Fokus liegt auf den sogenannten White-Spots – also fehlenden Nachhaltigkeitsdaten. So verschaffen wir uns ein eigenes, umfassendes Bild. Dies ermöglicht es uns, auch diejenigen Unternehmen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsbestrebungen einzuschätzen, die von den bereits bestehenden Nachhaltigkeitsratinganbietern nicht berücksichtigt werden. Wir schaffen damit nicht nur Mehrwert für unsere institutionelle Kundschaft und bieten ihnen mit unserem ESG-Rating eine fundierte Entscheidungsgrundlage an, sondern helfen damit auch den analysierten Unternehmen, im Markt besser verstanden zu werden.

Das Research-Team analysiert die Unternehmen entlang von zwölf ESG-Kategorien – je vier Themen im Bereich Environmental, also Umwelt, Social, also Soziales, und Governance; damit ist die gute Unternehmensführung gemeint. Weshalb werden in der Analyse genau diese Bereiche vertieft?

Im Nachhaltigkeitsbereich gilt es verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Diese sind teilweise bereits in der Vergangenheit in unsere Unternehmensanalysen eingeflossen, doch wir haben sie nicht explizit offengelegt. Unser Ziel war es, ein Framework zu definieren, das möglichst einfach und transparent aufgebaut und breit über alle Sektoren einsetzbar ist. Die in der Grafik aufgeführten Kategorien bilden eine sinnvolle Basis, um auf die relevanten Ausprägungen der Nachhaltigkeit einzugehen und ein möglichst umfassendes Bild zu vermitteln.

Den Startpunkt bilden die Bereiche E, S und G mit den bereits erwähnten zwölf ESG-Kategorien. Abgeleitet davon haben wir 74 relevante Sub-Kategorien in unserem Framework definiert, um Unternehmen einheitlich und transparent zu bewerten. Wir können dadurch auch relevante Ausprägungen der Firmen, wie etwa die Zusammensetzung des Aktionariats, im Bereich der Governance berücksichtigen. Unserer Meinung nach kann ein Unternehmen von einem langjährig orientierten Ankeraktionär profitieren, wie dies etwa bei Kühne & Nagel oder Schindler der Fall ist. Von internationalen Rating-Agenturen wird dies jedoch regelmässig im Sinne eines «tick-the-box»-Ansatzes als negativ gewertet. In solchen Fällen bietet die qualitative Analyse Mehrwert.

Zwölf Themenschwerpunkte der Nachhaltigkeitsanalyse

ESG Kategorien
Zahlreiche Nachhaltigkeitsaspekte werden analysiert und konsolidiert in den definierten zwölf ESG-Kategorien ausgewiesen. Durch die fundierte Analyse und die Schliessung von vorhandenen White-Spots, also der qualitativen Bewertung von nicht ausreichend vorhandenen Nachhaltigkeitsdaten, bietet das Research ihrer Kundschaft Mehrwert. (Grafik: Zürcher Kantonalbank)

Wie funktioniert der Prozess genau?

Unser finales ESG-Rating berücksichtigt sowohl quantitative als auch qualitative Faktoren und ist folglich breit abgestützt.

Beim quantitativen Ansatz stützen wir uns auf die Datenbasis und das Sustainability Rating des Asset Management der Zürcher Kantonalbank ab und können so auf einer starken Basis aufbauen. Dabei werden Daten verschiedener Datenanbieter berücksichtigt, etwa von MSCI, ISS oder RepRisk.

Beim qualitativen Ansatz verwenden wir den bereits beschriebenen Ansatz anhand unseres Frameworks und bewerten beziehungsweise beantworten 95 Fragen in den 74 Sub-Kategorien. Dabei berücksichtigen wir nicht nur die aktuelle Ist-Situation, sondern gehen auch auf Trends und zukunftsgerichtete Massnahmen ein. So kann ein bedeutender Richtungswechsel früh antizipiert werden. Ein Beispiel wäre hier eine umfassende Neubesetzung des Verwaltungsrats und des Management-Teams, wie wir es bei Aryzta in der Vergangenheit gesehen haben. Diese Veränderung könnte früh in der Analyse berücksichtigt werden.

Die Bewertung aus der qualitativen Analyse wird mit der quantitativen Analyse kombiniert und ergibt schlussendlich unser ESG-Rating. Dieses reicht von null Sternen, gleichzusetzen mit nicht ESG-konform, bis hin zu maximal fünf Sternen, was einem ESG-Leader entspricht.

Welches sind die grössten Herausforderungen bei Nachhaltigkeitsanalysen – und wie begegnen Sie diesen?

Kleine und mittelgrosse börsenkotierte Schweizer Unternehmen werden wegen ihrer begrenzten Ressourcen für die Datenerfassung, Auswertung und Berichterstattung teilweise zu Unrecht mit schlechteren Nachhaltigkeitsratings abgestraft. Investorinnen und Investoren müssen dann beurteilen, ob die Unternehmung im Bereich Nachhaltigkeit tatsächlich schlecht einzustufen ist oder ob die Bewertung aufgrund der unzureichenden Datenbasis erfolgte.

Wir schauen deshalb genauer hin und nehmen eine detaillierte Analyse vor. Dabei kommt uns die fundierte Erfahrung unserer Research-Experten und die langjährige Beziehung mit den Unternehmen zugute. Der qualitative Ansatz stützt sich auf den direkten Austausch mit den Unternehmensverantwortlichen und stellt ein klares Alleinstellungsmerkmal dar, das Mehrwert für unsere Kundschaft generiert.

Was ist mit heiklen oder kritischen Themen?

Unsere Analysten sind sich ihrer verantwortungsvollen Rolle bewusst, auch kritische Themen direkt bei den Unternehmensverantwortlichen zu adressieren. Es geht etwa um Themen wie mangelnde Transparenz bei der Offenlegung oder um exzessive Vergütungen im Verhältnis zu Mitbewerbern beziehungsweise der operativen Leistung eines Unternehmens.

Solche Themen anzusprechen, ist eine Herausforderung. Gibt es weitere?

Die Vergleichbarkeit einer Unternehmung innerhalb eines Sektors sowie im Kontext des Gesamtuniversums des Swiss Performance Index stellt einen Balanceakt dar. Wir berücksichtigen daher die Unternehmen sowohl relativ zu ihrer Vergleichsgruppe im Sektor als auch relativ zu anderen Sektoren.

Innerhalb des Branchenvergleichs wollen wir die Unternehmen zu möglichst ähnlichen Mitbewerbern beurteilen und positive als auch negative Aspekte hervorheben. Danach stellen wir dies noch in den Kontext unseres gesamten Research-Universums, und beurteilen, wie attraktiv etwa die unterschiedlichen Branchen im Vergleich sind.

Die aktuelle geopolitische und wirtschaftliche Situation stellt Unternehmen vor Herausforderungen – dies insbesondere auch hinsichtlich der Erreichung der Klimaziele. Wie verlässlich sind die Daten, auf die das Research-Team ihre Analysen stützt?

Bei der Ist-Situation stützen wir uns einerseits auf Daten und Einschätzungen des Asset Management der Zürcher Kantonalbank ab, die nicht nur zahlreiche qualifizierte Provider wie ISS, MSCI oder Refinitiv berücksichtigen, sondern auch Einschätzungen zum sozialen und ökologischen Beitrag sowie zu Kontroversen beinhalten.

Andererseits fliessen auch öffentliche Informationen, etwa solche aus den jeweiligen Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichterstattungen der Unternehmen, in die Analyse mit ein. Zuletzt ist auch hierbei der Dialog mit den Unternehmen wichtig, um deren Nachhaltigkeitsziele im Detail zu verstehen.

Positiv zu erwähnen ist sicherlich die Tatsache, dass fast drei Viertel aller von uns analysierten Unternehmen die globalen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, kurz GRI-Standard, einhalten.

Bei den festgelegten Zielen zur Emissionsreduktion berücksichtigen wir die Einhaltung von Science Based Targets und die von den Unternehmen kommunizierten Meilensteine zur Zielerreichung. Gemäss unserer Analyse haben rund 50 Prozent der analysierten börsenkotierten Schweizer Unternehmen aktuell noch keine Ziele zur Emissionsreduktion beziehungsweise zum Erreichen von Netto-Null bekannt gegeben.

Wie gehen Sie mit sogenannten Red Flags um?

Mit der Fachstelle Leistungsauftrag der Zürcher Kantonalbank haben wir eine Liste mit kritischen Themenfeldern – etwa Herstellung und Handel von kontroversen Waffen – definiert, die sich auf die Kriterien der gesamten Bank abstützt. Falls eine Unternehmung ein Kriterium erfüllt, vertiefen wir die Analyse und prüfen einen möglichen Ausschluss, was zu der Einstufung nicht ESG-konform führen würde.

Diese Einstufung kann jedoch auch das Resultat einer individuellen Analyse sein, etwa wenn eine Unternehmung in einem Bereich sehr schlecht abschneidet oder gänzlich den Dialog mit uns verweigert.

Über das Sell-Side-Research

Insgesamt analysiert das Sell-Side-Research der Zürcher Kantonalbank vorerst die Nachhaltigkeit von über 140 börsenkotierten Unternehmen und in einem zweiten Schritt ebenfalls jene von über 40 Immobilienfonds und Immobilienanlagestiftungen sowie über 180 Bond-Emittenten. Anhand von 95 Fragen in 74 Sub-Kategorien beurteilen die Analysten die ESG-Qualität der Unternehmen. Die Ergebnisse werden anschliessend geclustert und in zwölf Themenbereiche zusammengefasst. Für jedes Unternehmen resultiert schlussendlich ein ESG-Rating mit null bis fünf Sternen.

Wesentliche Stärken des ESG-Angebots sind die qualitative Bewertung und die zukunftsorientierte Trendeinschätzung. Wie nehmen Sie diese Einschätzungen vor?

Im Grundsatz wird der Trend in jeder Kategorie mit positiv (+), neutral (=) oder negativ (–) eingeschätzt. Falls bei einer Unternehmung signifikante Veränderungen in Aussicht gestellt werden, können wir diese bereits antizipieren und in unsere Analyse einfliessen lassen.

Bitte auch hier ein Beispiel.

Beispiel Lonza: Die Einschätzung der Unternehmung im Bereich Umwelt fiel aufgrund des Quecksilber-Skandals in der Vergangenheit negativ aus. Die Unternehmensvertreter konnten jedoch glaubwürdig und nachvollziehbar aufzeigen, wie der Sanierungsprozess der mit Quecksilber belasteten Parzelle in Raron und Visp gestaltet ist. So kann der Analyst die schwache Ist-Einschätzung mit einem positiven Trend kombinieren, da er die Massnahmen als effektiv, bedeutend und zielführend einschätzt.

Die quantitative und qualitative Analyse mündet schlussendlich in einem holistischen ESG-Rating für die einzelnen Unternehmen. Was sagt dieses Rating konkret aus?

Die Einschätzung der Sterne soll eine Indikation geben, als wie nachhaltig beziehungsweise ESG-konform wir eine Unternehmung einschätzen. Dies fängt bei der Erfüllung von Standards und «Best Practice»-Ansätzen an und geht bis hin zur strategischen Ausrichtung des operativen Geschäfts im Sinne der Nachhaltigkeit. Unsere Einschätzungen reichen von null Sternen, also nicht nachhaltig, bis fünf Sterne für ESG-Leaders. Bei drei Sternen liegt eine überwiegende ESG-Konformität vor – wobei diese Firmen bei gewissen Themengebieten noch Optimierungspotenzial aufweisen oder bei einzelnen Nachhaltigkeitsthemen erst am Anfang stehen. Bei Firmen mit weniger als drei Sternen sehen wir in verschiedenen Aspekten Nachholbedarf.

Welche zusätzlichen Insights bieten Sie der Kundschaft mit dem neuen ESG-Angebot?

Da wir überzeugt sind, dass ESG-Faktoren mittel- bis langfristig einen Einfluss auf die Wertentwicklung einer Unternehmung haben, wird das finale ESG-Rating auch in der Unternehmensbewertung berücksichtigt. Der Kapitalkostensatz wird mit Auf- oder Abschlägen adjustiert und beeinflusst damit auch den berechneten fairen Unternehmenswert. Mit diesem letzten Schritt stellen wir sicher, dass unsere ESG-Analysen schlussendlich auch strukturiert in die Unternehmensbewertung einfliessen und ein möglichst umfassendes Bild der Unternehmung aufgezeigt werden kann.

Inwiefern trägt das ESG-Angebot dazu bei, dass institutionelle Kunden ihre Nachhaltigkeitsziele gezielter erreichen?

Dieses ESG-Angebot bietet unseren Kunden eine sinnvolle Basis, um Nachhaltigkeitsaspekte in ihren Investment-Prozess zu integrieren. Dabei kann jede Investorin und jeder Investor selbst entscheiden, ab wann ein Titel als nachhaltig eingestuft wird beziehungsweise wie stark die Auswahl von Titeln aufgrund von Nachhaltigkeitsaspekten beeinflusst wird. Darüber hinaus können wir auch die Engagement-Bestrebungen von Kunden mit unseren Analysen unterstützen. So bilden unsere qualitativen Kommentare und Einschätzungen in allen relevanten Kategorien eine gute Übersicht von relevanten Themen oder kontroversen Aspekten, die im Austausch mit den Unternehmensvertretern diskutiert werden können.

Gibt es bereits Pläne, das ESG-Angebot zukünftig weiterzuentwickeln oder auszubauen?

Wir entwickeln unseren Analyseansatz stetig weiter. Zudem müssen wir sicherstellen, dass politische Entscheide und veränderte Schwerpunktthemen in der Schweiz, der EU, aber auch global fortlaufend berücksichtigt werden. Was wir als Nächstes angehen werden, ist die Ausweitung unserer Nachhaltigkeitsanalyse über weitere Asset-Klassen. Konkret werden wir im kommenden Jahr auch Obligationen-Emittenten sowie Immobilien-Fonds hinsichtlich Nachhaltigkeit strukturiert einschätzen.
 

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