1983, ich war damals neun Jahre alt, bin ich mit meiner Familie von Mellingen im Kanton Aargau nach Wädenswil im Kanton Zürich gezogen. Für mich war es kein Gewinn: Meine neue Lehrerin war eine schon ältere, bösartige Frau, die einen beim geringsten Fehler an den Haaren riss oder eine Kopfnuss verteilte, beides gern aus dem Hinterhalt. Und die meisten meiner neuen Klassenkameraden überboten sich darin, so furchtlos und männlich zu sein wie Colt Sievers, der Stuntman und Detektiv der damals populären Serie «Ein Colt für alle Fälle».
Ich war der kleinste, dünnste und bleichste der Jungs und konnte schon deshalb nicht mithalten. Erst recht nicht, als die anderen zu masturbieren begannen und aufgeregt davon berichteten, ich aber noch nicht so weit war. Trotzdem wollte ich dazugehören, doch ich erzählte so übertrieben von meinem ersten Orgasmus, dass ich aufflog.
Mein Schulweg führte vom Hangenmoos-Quartier über den «Am Gulmenbach» genannten Fussweg zu einem ziemlich tiefen Tobel, in dem besagter Bach fliesst und über das eine Brücke führt. Jeden Tag überquerte ich sie; zweimal, wenn ich nur morgens Schule hatte, und viermal, wenn auch am Nachmittag Unterricht war.
Meine Kameraden erfanden damals dauernd sogenannte Mutproben, und eines Tages kam einer von ihnen auf die Idee, es wäre eine besonders harte Prüfung, die Brücke über das Gulmentobel von aussen zu überqueren, also am einen Ende über das Geländer zu klettern und auf dem kleinen Vorsprung, auf dem man aussen mit dem halben Fuss abstehen konnte, auf die andere Seite zu gelangen – etwa zwanzig Meter über dem steinigen Bachbett. Es war völlig leichtsinnig und enorm gefährlich, aber genau deshalb für ein paar der Jungs so reizvoll, dass sie es tatsächlich machten. Danach waren sie natürlich die unanfechtbaren Könige der Coolness, wobei das Wort «cool» damals noch gar nicht geläufig war. Ich glaube, wir sagten «gent», gesprochen «tschent», wenn wir von etwas beeindruckt waren.