Er hatte von Cordons bleus geträumt. Riesigen Fleischleibern, die wie Ufos am Himmel oben kreisten. «Diabolo», «Hawaii», «Rezent», «Tschau Sepp» und «Vegi». Geschmolzener Käse tropfte in gigantischen Batzen auf die Erde, wo die Menschen schreiend auseinanderstoben. Eine Gruppe Unglücklicher, zu denen auch Humm gehörte, reagierte nicht schnell genug. Sie ertranken jämmerlich in lauwarmem Alpkäse. Dann wachte er schweissgebadet auf und hörte sein Handy «It’s lonely at the top» quengeln. Es war Landauer vom «Ritterhof».
«Morgen, Humm. Hab ich dich geweckt?»
«Nein.»
Es war bekannt, dass Landauer jeden Morgen um vier in der Früh aufstand, um auf dem Bauernmarkt all die regionalen Spezialitäten einzukaufen, für die seine Küche berühmt war.
«Wie geht’s denn so, was machen die Geschäfte?», fragte Landauer jovial.
«Kann nicht klagen», krächzte Humm und schluckte einen zähen Pfropfen Schleim herunter. Wieder musste er an den Alpkäse denken.
Landauer lachte.
«Ich will dich auch gar nicht lange aufhalten. Doch ich habe eine Information, die dich interessieren könnte.»
«Du hast angefangen mit Wurzelgemüse zu experimentieren?»
«Es ist ein Restaurant-Kritiker in der Region unterwegs.»
«Was?»
«Wie man hört, kommt er dieser Tage nach Embrach.»
Humm hatte das «Rössli» in Embrach vor zwei Jahren übernommen. Davor war es eine Pizzeria gewesen, davor ein Thai-Restaurant, davor auch eine Pizzeria. Humm, der davor ein Dreisternehotel in den Bergen zur allgemeinen Zufriedenheit ausser seiner eigenen geleitet hatte, sah hier die Chance, einen lang gehegten Traum zu verwirklichen: Gastronom in einem Gourmet-Tempel zu sein. Kleine Karte, verwegene Menüs, horrende Preise. Die Bewohner der beschaulichen Kleinstadt waren vermögend und besassen Geschmack. Und am Hügel thronte wie ein Versprechen das ehrwürdige Schloss Teufel, für das sich einmal sogar Thomas Gottschalk interessiert haben soll. Doch Humm hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der in diesem Fall der Gast war. Oder anders gesagt: die Dorfgemeinschaft. Die wollte von seinen Saucenemissionen und molekularen Geschmacksexplosionen nämlich nichts wissen. Auch der Dresscode kam nicht gut an, genau wie die Information an der Eingangstüre «Keine Vereine». Da auf dem Land praktisch jeder in einem Verein war, hätte er genauso gut «Keine Menschen» schreiben können. Endgültig verdorben hatte er es sich mit den Leuten aber durch seine Weigerung, das Cordon bleu in die Speisekarte aufzunehmen. Erbittert hatte er dagegen angekämpft, und als er endlich fiel, war es schon zu spät. Die Leute blieben weg, das «Rössli» mit seinem neuen Wirt war bereits zu einem Unort geworden. Oder wie es in der lokalen Sprache hiess: «Dorthin geht man nicht.»