Zeitlos stilvoll

Secondhandkleidung entspricht dem heutigen Zeitgeist: Sie verspricht individuellen Stil, ohne die Umwelt zu belasten. Zürcher Unternehmerinnen haben dies erkannt.

Text: Rahel Perrot | aus dem Magazin «ZH» 3/2022

Das Bild zeigt den Verkaufsraum der Zürcher Vintage-Boutique The New New.
Secondhand liegt im Trend. Im Bild: die Vintage-Boutique The New New in Zürich. (Foto: Philip Frowein)

#preloved – rund 13 Millionen Einträge finden sich dazu auf dem sozialen Netzwerk Instagram. Was einmal als altbacken und muffig galt, wird heute wieder mit Stolz getragen und mit der Welt geteilt: Kleidung aus zweiter Hand. Die grossen Player im Bekleidungs- und Versandhandel wie Zalando und H&M lancierten ihrerseits bereits erste Angebote für Gebrauchtkleider. In der Schweiz sind diese zwar noch nicht verfügbar, aber auch hierzulande liegt Secondhand klar im Trend: Als erstes Schweizer Festival setzte das Zürich Openair bei den Marktständen in diesem Jahr gänzlich darauf. Laut Bundesamt für Statistik nimmt die Anzahl der Läden für Gebrauchtgüter stetig zu. Dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgend, soll das, was produziert wird, so lange wie möglich genutzt, repariert, weiterverarbeitet oder rezykliert werden – zugunsten von Mensch und Umwelt. Den möglichen Effekt zeigen Zahlen von Greenpeace: Würden in der Schweiz alle Kleider drei Jahre länger getragen, liessen sich damit jährlich die Treibhausgasemissionen einer 7,4 Mrd. Kilometer langen Autofahrt einsparen.

Kuratierte Secondhandmode, die Spass macht

«Wir wollen Kleidung, die Spass macht, in Umlauf halten», sagt Michèle Roten. Zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Lucy Prader führt sie in Zürich den Secondhandladen «The New New». Der Name ist Programm: «Alt ist das neue Neu», sagt Journalistin Roten. «Secondhand gehört schon seit unserer Jugend zu unserem Lebensstil. Wir sind passionierte Jägerinnen.» Bereits vor über zehn Jahren hat Roten in New Yorker Secondhandläden das Konzept des Direktankaufs von gebrauchter Ware entdeckt und wollte dieses hierzulande selbst ausprobieren. «Alles fügte sich ideal zusammen, und so konnten Lucy und ich 2013 im Kreis 6 einen Laden eröffnen», erinnert sich Roten. Mittlerweile gibt es in Bern einen Ableger, vergangenen November folgte im Kreis 5 der zweite Zürcher Laden. «Mit der verstärkten gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsthemen kommen nun auch Kundinnen und Kunden zu uns, die vorher nicht Secondhand gekauft haben», sagt Roten. Ihre Kundschaft sei bunt gemischt, doch sie verbinde die Freude an Mode und dass sie bei ihnen von Basics bis zu ausgefallenen Stücken alles finde. «Wir kaufen nur ab, wovon wir überzeugt sind», betont Roten. «Schliesslich tragen wir das Risiko, es nicht los­zuwerden. Unser Fokus liegt auf legerer Alltagskleidung. Auf allem, was stil- und modebewusste urbane Menschen schön finden.»

Secondhand gehört seit der Jugend zu unserem Lebensstil.

Michèle Roten, The New New

Teuer und günstig vereint im Mietregalsystem

Überfüllt, chaotisch, muffig? Von wegen! Auch der Winterthurer «Lieblingsmarkt» kommt so ganz anders daher, als es das einstige Image von Secondhandläden vermuten lässt. In dem hellen Geschäft mit den weissen Regalen finden sich auch Taschen von Luxusherstellern wie Louis Vuitton oder Chanel. Die beiden Freundinnen Martina Kunz und Petra Egger führen den Laden in der Altstadt seit 2018. «Bei uns kann man ein Regal mieten und so seine nicht mehr getragenen Kleider, Taschen und Schuhe verkaufen», erklärt Martina Kunz das Prinzip. Die beiden Frauen kennen sich vom gemeinsamen Betriebswirtschaftsstudium. Mode habe sie schon immer interessiert, vor allem Secondhand. «Wir lieben es, auf Streifzug zu gehen und nicht zu wissen, mit welchen Schätzen wir am Schluss nach Hause kommen.» Mit dem «Lieblingsmarkt» möchten sie zeigen, dass sich alt und neu sowie teuer und günstig nicht ausschliessen. Seit dem Lockdown 2020 präsentieren sie jeden Tag auf Instagram ein von ihnen zusammengestelltes Outfit mit Produkten aus den Mietregalen. «Der Kundschaft gefällt’s. Wir wollen daher künftig vermehrt auf diesen Kanal setzen und unser Onlineangebot ausbauen.»

Vermittler zwischen Käufer und Verkäufer

Komplett auf Onlineverkäufe setzt der digitale Secondhandmarktplatz «Kleiderberg». Die Zürcherinnen Claudia Bill und Sandra Diestelhorst-Tessaro starteten 2015 einen Webshop für gebrauchte Baby- und Kinderkleider. Die damals verfügbaren Onlineangebote überzeugten sie nicht. «Bei uns zu Hause türmten sich die Kleiderberge. Wir wollten eine voll automatisierte digitale Version eines Marktplatzes für Secondhandkleider, die es den Käuferinnen ermöglicht, von verschiedenen Händlern in nur einem Bezahlvorgang zu kaufen», erläutert Bill das Prinzip. Eine kostenlose Registrierung genügt – und schon kann Kleidung gekauft oder verkauft werden. Die einfache Handhabung kam an, die Corona-Pandemie tat ihr Übriges: «Wie auch andere digitale Plattformen wurden wir während der Pandemie überrannt», berichtet Bill. Mittlerweile zählt «Kleiderberg» 4’200 registrierte Verkäuferinnen und Verkäufer, die nun auch Damen- und Herrenkleidung anbieten. Die Site verzeichnet jeden Monat über 40’000 Besucherinnen und Besucher. Die aktivste Gruppe sei die der 20- bis 25-jährigen Frauen. Und auch Instagram spiele eine wichtige Rolle beim Absatz. «Was die Verkäuferinnen dort veröffentlichen, ist in der Regel nach einer Stunde verkauft.» Die beiden Frauen möchten, dass Secondhand erste Wahl werde, dies aber undogmatisch verstehen: «Auch wir kaufen ab und an mal etwas Neues. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern jeden Tag ein bisschen besser.»

Zahlen und Fakten

6,3 kg

So viele Altkleider werden in der Schweiz pro Person und Jahr weggegeben. *

1/4

der Befragten verkauft ihre nicht mehr getragene Kleidung. **

15%

derjenigen Kleider, die wir nicht mehr anziehen, behalten wir trotzdem im Schrank, im Keller oder im Estrich. **

7,3%

werfen ihre nicht mehr getragene Kleidung in den Müll. **

 

Erste Wahl Neuware

Auf die Frage, wie sie sich ein Outfit für einen bestimmten Anlass beschaffen, antwortete eine Mehrheit (60 %): «durch den Kauf von Neuware». Gebraucht kaufen oder sich ein Outfit ausleihen würden jeweils 17 % der Befragten. **

* gem. Fashion Revolution Switzerland

** gem. der Studie «Swiss Consumption System» der ZHAW School of Management and Law

Kategorien

ZH Ausgewählte Themen