Droht eine globale Immobilien­krise?

Der starke Anstieg der globalen Immobilienpreise seit Ausbruch der Pandemie und die steigenden Zinsen wecken die Angst vor einem erneuten Platzen einer Immobilienblase und einer Wirtschaftskrise wie 2008. Erfahren Sie mehr im Beitrag der Ökonomen Christian Brändli, Martin Weder und Sascha Jucker von der Zürcher Kantonalbank.

Text: Christian Brändli Martin Weder und Sascha Jucker

Stadtansicht von New York City
Stadtansicht von New York City, USA (Bild: Pixabay / Irina Kesch)

Die expansive Geldpolitik, die weltweit als Reaktion auf die Pandemie eingeführt wurde, hat zu einem ausserordentlichen Anstieg der Immobilienpreise geführt. Die realen Preise haben global seit Anfang 2020 um rund 15 Prozent zugelegt und liegen deutlich über ihrem langfristigen Trend. Mit der Wiederkehr der Inflation droht dieser Ära ein jähes Ende.

Die Zentralbanken verabschieden sich reihum von der Tiefzinspolitik. Besonders anfällig auf die Straffung der Geldpolitik ist bekanntlich der Häusermarkt. Nun kommen die Preise rund um den Globus unter Druck. Droht deshalb eine globale Immobilienkrise?

Im Folgenden wird ein Blick auf die angelsächsischen Wirtschaftsräume geworfen, die aufgrund der Preis- und Zinsentwicklung ein erhöhtes Risiko einer Immobilienkrise aufweisen.

USA: Keine neue Subprime-Krise

Die USA erlebten in der Mitte des vorletzten Jahrzehnts die Mutter aller Immobilienblasen. Nach einer mehrjährigen Korrekturphase haben die US-Immobilienpreise erst Ende 2020 wieder ihren ehemaligen Höchststand erreicht. Mit dem Ende der ultraexpansiven Geldpolitik der US-Notenbank und dem scharfen Anstieg der Hypothekenzinsen steht der US-Immobilienmarkt nun wieder vor einer Abkühlung.

Im Gegensatz zu Mitte der 2000er-Jahre ist er heute aber in besserer Verfassung. Das ist den schmerzlichen Erfahrungen der Haushalte von damals geschuldet, auf die sie mit einer signifikanten Entschuldung reagiert haben.

Die bessere Ausgangslage ist auch auf die neuen Kreditvergabevorschriften zurückzuführen, die aus der damaligen Krise resultierten. Die Kreditgeber sind bei der Kreditvergabe sehr viel strenger geworden, was sich in einer besseren Kreditqualität widerspiegelt.

Darüber hinaus beläuft sich die Hypothekarverschuldung im Verhältnis zu den Haushaltseinkommen auf moderate 66 Prozent. Anfang 2008 war dieser Wert auf fast 100 Prozent gestiegen.

Gut aufgestellt sind die USA auch mit Blick auf die Ausgestaltung der vergebenen Hypotheken. Typischerweise werden diese für 15 bis 30 Jahre abgeschlossen. 2004 und 2005 war rund ein Drittel der vergebenen Hypotheken mit variablen Zinssätzen versehen.

Entsprechend sollte heute die Belastung der US-Haushaltsbudgets durch höhere Hypothekenkosten nur sehr langsam zunehmen. Auch die laufende Belastung der Haushalte durch die Hypothekenzahlungen ist nach wie vor sehr niedrig.

Im 1. Quartal 2022 wendeten die US-Haushalte weniger als 4 Prozent ihres verfügbaren Einkommens zur Bedienung ihrer Hypothekarschulden auf. All dies bietet ein grosses Polster, wenn die Zinsen weiter steigen und die Immobilienpreise fallen.

Stadtansicht von Quebec, Kanada
Stadtansicht von Quebec, Kanada (Bild: Pixabay / Joe Breuer)

Kanada: Extreme Überbewertung, solide Banken

Kanadas letzte Immobilienkrise ereignete sich in der Rezession Anfang der 90er-Jahre. Seither kennen die kanadischen Hauspreise nur noch eine Richtung. In den letzten 20 Jahren belief sich der Preisanstieg real auf 230 Prozent oder durchschnittlich rund 12 Prozent pro Jahr.

Im internationalen Vergleich steht Kanada damit an der Spitze und hat einen der am stärksten überhitzten Häusermärkte. Entsprechend hoch verschuldet sind die kanadischen Haushalte. Im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen liegt die Hypothekarverschuldung bei über 130 Prozent und der Schuldendienst für Immobilienkredite bei 10 Prozent – mehr als doppelt so hoch wie in den USA.

Um das wirtschaftliche Risiko der hohen Haushaltverschuldung einzudämmen, haben die politischen Entscheidungsträger eine Reihe von makroprudenziellen Massnahmen implementiert.

Die lockere Geldpolitik hat aber einige dieser Massnahmen unterlaufen, einen neuen Preisschub ausgelöst und die Verschuldung der Haushalte wieder erhöht. Bei steigenden Zinsen werden dies die Haushalte rasch zu spüren bekommen, weil seit Anfang 2021 über 50 Prozent der Neukredite mit variablem Zinssatz vergeben werden.

Der Bestand ausstehender variabler Hypotheken hat sich in der Folge von unter 20 Prozent auf über 30 Prozent erhöht.

Bereits während des Zinserhöhungszyklus von 2017 bis 2019 waren die Auswirkungen auf die Haushalte deutlich spürbar. Die Kosten für deren Schuldendienst kletterte rasch wieder auf das Niveau von 2007 und führten letztlich zu einer merklichen Abkühlung der Immobiliennachfrage.

In der Folge stabilisierten sich die Häuserpreise auf hohem Niveau und bewegten sich bis zur Pandemie mehrheitlich seitwärts. Einen ähnlichen Verlauf dürfte auch der aktuelle Zinserhöhungszyklus nehmen, allerdings mit wirtschaftlich einschneidenderen Folgen.

Einerseits befinden sich die Haushalte finanziell in einer weniger guten Verfassung als vor dem letzten Zyklus. Andererseits muss die kanadische Notenbank den Leitzins angesichts der überschiessenden Inflation wohl deutlich stärker anheben.

Die Experten der Zürcher Kantonalbank halten es deshalb für sehr wahrscheinlich, dass die kanadischen Hauspreise stark unter Druck kommen und sinken. Zusammen mit der steigenden Zinslast verringert dies den Spielraum für die Konsumenten erheblich und könnte die kanadische Wirtschaft bei einem starken Preisrückgang sogar in eine Rezession stürzen.

Es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass die Finanzstabilität in Gefahr gerät. Gemäss den Stresstests des Internationalen Währungsfonds sind die kanadischen Banken und das Finanzsystem gut für eine Krise gewappnet und sollten selbst einem Rückgang der Immobilienpreise um 40 Prozent und einem kumulativen Rückgang des kanadischen BIP um 2 Prozent über einen Zeitraum von zwei Jahren standhalten.

Häuser in Liverpool, Grossbritannien
Landhaus in Liverpool, Grossbritannien (Bild: Pixabay / David Mark)

UK: Keine Übertreibungen am Immobilienmarkt

In Grossbritannien präsentiert sich die Lage auf dem Immobilien- und Hypothekarmarkt weniger dramatisch als in den anderen angelsächsischen Ländern.

Seit Beginn der Pandemie hat das Preiswachstum auf dem Immobilienmarkt zwar deutlich zugenommen und im vergangenen Jahr zweistellige Werte erreicht. Die Häuserpreise liegen derzeit auf einem Rekordhoch und mehr als 40 Prozent über den Höchstwerten, die unmittelbar vor der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 erreicht wurden.

Ein wesentlicher Teil der Preisdynamik konzentriert sich jedoch auf den Grossraum London und ist fundamental erklärbar. So haben neben der mehrjährigen Tiefzinspolitik der Bank of England auch die geringe Bautätigkeit bei gleichzeitig hohem Bevölkerungswachstum sowie verschiedene staatliche Massnahmen zum starken Preisanstieg beigetragen.

Zu Letzteren gehören das im Jahr 2013 eingeführte «Help to buy»-Programm, das Erstkäufern den Erwerb von Immobilien mittels staatlich subventionierter Darlehen erleichtert, sowie die während der Pandemie vorübergehend ausgesetzte Grundsteuer.

Mit der nun eingeleiteten Zinswende der Bank of England droht sich der heiss gelaufene Immobilienmarkt deutlich abzukühlen.

Die Experten der Zürcher Kantonalbank erwarten, dass der Leitzins von derzeit 1,25 Prozent bis Anfang 2023 auf 3 Prozent steigen wird. Dies treibt die Hypothekarzinsen nach oben und setzt die hohen Bewertungen unter Druck. Dementsprechend ist in den kommenden Monaten mit einem Rückgang der Immobilienpreise von 5 bis 10 Prozent zu rechnen.

Eine veritable Immobilienkrise ist jedoch nicht zu erwarten. So haben Aufsichtsbehörden, Banken und Haushalte ihre Lehren aus der Finanzkrise von 2008/2009 gezogen.

Damals sanken die Immobilienpreise um knapp 20 Prozent, und in Schieflage geratene Banken wie Northern Rock und Royal Bank of Scotland wurden verstaatlicht.

Heute sind die Banken dank verschärfter Regulierungen deutlich besser kapitalisiert und vorsichtiger bei der Vergabe von Hypotheken als damals.

So wächst das Hypothekarvolumen derzeit mit etwas über 4 Prozent, während vor der Finanzkrise teilweise Wachstumsraten von über 15 Prozent erreicht wurden.

Gleichzeitig sind die britischen Haushalte deutlich weniger anfällig für steigende Zinsen. Dies liegt zum einen daran, dass der Anteil an variablen und kurzfristigen Hypotheken in den vergangenen 20 Jahren markant von rund 80 Prozent auf unter 10 Prozent abgenommen hat.

Zum anderen hat die Kombination aus aussergewöhnlich niedrigen Hypothekarzinsen und tieferem Belehnungsgrad dazu geführt, dass die verfügbaren Haushaltseinkommen deutlich weniger stark belastet werden als vor der Finanzkrise.

Häuser am Lake Mulwala, Australien
Häuser am Lake Mulwala, Australien (Bild: Pixabay / Alistair McLellan)

Australien und Neuseeland: Immobilienblase und zinssensitive Haushaltsverschuldung

Am anderen Ende der Welt zeichnet sich eine deutliche Korrektur am Immobilienmarkt ab.

Seit Anfang 2020 sind die Häuserpreise in Australien und Neuseeland regelrecht in die Höhe geschossen und befinden sich aktuell 29 Prozent bzw. 35 Prozent über dem Niveau von damals.

Neben dem stärkeren Bedürfnis nach den eigenen vier Wänden während der Pandemie und dem tiefen Zinsniveau haben staatliche Subventionen zusätzliche Anreize geschaffen, eine Wohnimmobilie zu erwerben.

Die Haushaltsverschuldung war im internationalen Vergleich bereits vor der Pandemie sehr hoch, ist in beiden Ländern seither aber nochmals angestiegen, womit eine höhere Zinslast Immobilienbesitzer schneller in die Bredouille bringen wird.

Anders als in den USA und weiten Teilen Europas werden Hypothekarverträge in Australien und Neuseeland auch heute noch mehrheitlich mit variablen oder kurz laufenden Zinssätzen abgeschlossen, womit die finanzielle Belastung für Haushalte bereits jetzt ansteigt.

Die höhere Inflation und die steigenden Zinsen sind im pazifischen Raum derweil nicht die einzigen Vermächtnisse der Pandemie. Australien und Neuseeland hatten sich im Zuge der Zero-Covid-Politik zwei Jahre lang vom Rest der Welt isoliert.

Die geschlossenen Grenzen haben dabei die Immigration ausgebremst, die zuvor für zwei Drittel des Bevölkerungswachstums verantwortlich war. Mit dem vorübergehenden Wegfall dieses Nachfragetreibers steigt das Risiko, dass sich kurzfristig ein Überangebot an Wohnimmobilien aufbaut.

In Kombination mit der hohen Haushaltsverschuldung, dem zinssensitiven Schuldendienst sowie einem fulminanten Preisanstieg ist die Wahrscheinlichkeit einer Korrektur am Immobilienmarkt und einer konjunkturellen Baisse höher als anderswo.

Die australische Zentralbank geht in ihren eigenen Berechnungen davon aus, dass eine Leitzinserhöhung um 2 Prozentpunkte einen Preiszerfall am Immobilienmarkt von 15 Prozent mit sich bringt.

Sollte sich die Prognose der Experten der Zürcher Kantonalbank einer kumulierten Leitzinserhöhung um über 3 Prozentpunkte bewahrheiten, wird die Korrektur noch grösser ausfallen.

In Neuseeland ist angesichts des Straffungspfades der Zentralbank und der ausgeprägteren Überbewertung der Immobilienpreise mit einem noch herberen Rückschlag für den Wohnhäusermarkt zu rechnen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Währungshüter in beiden Ländern spätestens Anfang 2023 ihre Geldpolitik nicht mehr weiter straffen werden.

Fazit: Ein Abschwung, aber keine Krise

Um die einleitende Frage zu beantworten: Nein, es ist nicht davon auszugehen, dass es zu einem Platzen einer globalen Immobilienblase wie 2008 kommt.

Der Hauptgrund ist die wesentlich bessere Verfassung des US-Immobilienmarktes, der US-Haushalte und des weltweiten Bankensystems.

Die globale Regulierungswelle im Nachgang der Finanzkrise hat zu einer Verbesserung der Bankenkapitalisierung geführt, wodurch sich das Risiko verringert hat, dass eine Korrektur am Immobilienmarkt sich auf Finanzmärkte, Banken und Realwirtschaft überträgt.

Die grössten Gefahren auf dem Immobilienmarkt lauern in Kanada, Australien und Neuseeland.

Zwar sind auch in diesen Ländern die Geschäftsbanken besser aufgestellt als vor 15 Jahren. Die Kombination aus Preisübertreibungen während der Pandemie, rekordhohen Inflationsraten, einer ausgeprägten und zinssensitiven Haushaltsverschuldung sowie dem kurzfristigen geldpolitischen Ausblick wird in diesen Ländern voraussichtlich zu zweistelligen Bewertungskorrekturen am Immobilienmarkt führen.

Zusammen mit der globalen konjunkturellen Abkühlung und den Vermögensverlusten an den Aktien- und Obligationenmärkten besteht dort ein erhöhtes Rezessionsrisiko.

Es ist deshalb denkbar, dass die betroffenen Zentralbanken spätestens Ende dieses Jahres den Zinserhöhungszyklus beenden werden, sofern sich bis dann an der Inflationsfront eine Beruhigung abzeichnet.