Eine Frage des guten Rufs

Standortattraktivität ist kein Selbstläufer – nirgends.

Text: Rolando Seger

Ein Luftbild der Solar Thermal Power Station in Nevada, USA
Luftbild der Solar Thermal Power Station in Nevada, USA (Symbolbild: Getty Images)

Niemand würde auf die Idee kommen, mitten in der Wüste einen Hochseehafen zu bauen. Die Gegebenheiten eines Standorts und dessen Umfeld sind entscheidend, wo sich Unternehmen ansiedeln, um erfolgreich zu wirtschaften. Standortfaktoren werden an einer Vielzahl Kriterien gemessen: natürliche Ressourcen, Angebot an Betriebsflächen, geografische Lage, Verkehrsinfrastruktur, Steuern, rechtliche Bedingungen, politische Stabilität oder Reputation. Eine wichtige Rolle spielt auch das Vorhandensein qualifizierter Arbeitskräfte. Während einige Standortfaktoren unabänderbar sind, lassen sich andere langfristig strategisch entwickeln.

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verfügen über rund 5.5% der weltweiten Ölreserven. Es war also naheliegend, dass sich die VAE auf die Förderung von Erdöl konzentrierten. Die ganze Region profitierte wirtschaftlich vom Erdölreichtum und es bildeten sich verschiedene Cluster von wirtschaftlichen Tätigkeiten rund um die Ölverarbeitung. Die Spezialisierung von Wirtschaftszweigen bedeutet einen Standortvorteil. Firmen vernetzen sich lokal, errichten Infrastrukturen, akkumulieren Wissen und entwickeln Fähigkeiten. Attraktive Cluster ziehen neue Firmen und Arbeitskräfte an, begünstigen Prozesse, verkürzen Wege und fördern den Wettbewerb. Gemäss Studien neigen sich die Erdölvorräte der VAE bis in 90 Jahren ihrem Ende zu. Um die einseitige ökonomische Abhängigkeit zu reduzieren, zielt die Politik der VAE darauf ab, ihre Wirtschaft breiter zu diversifizieren. Beispielsweise mit dem Ausbau der Tourismusangebote und der Förderung technologischer und wissenschaftlicher Infrastruktur.

Die Schweiz verfügt kaum über natürliche Ressourcen. Als relativ kleine Volkswirtschaft mit hohen Lohnkosten ist sie preislich in der Massenproduktion einfacher Güter nicht konkurrenzfähig. Der Rohstoff unseres Wohlstands beruht auf qualitativ hochstehenden Dienstleistungen, Forschung, Entwicklung sowie anspruchsvollen Technologien. Um den Status quo zu halten bzw. diesen Wohlstand zu mehren, muss die Schweiz Rahmenbedingungen schaffen, die Innovationen und Wirtschaftswachstum fördern. Die Schweizer Wirtschaft ist primär auf forschungs- und wissensintensive Branchen wie Pharma spezialisiert. Das Attribut "Made in Switzerland" wird mit hervorragender Qualität in Verbindung gebracht und geniesst weltweit einen ausgezeichneten Ruf.

Das Vorhandensein natürlicher Rohstoffe garantiert noch längst keinen wirtschaftlichen Erfolg. Länder mit einem Überfluss an natürlichen Ressourcen schöpfen ihr Potenzial oft nicht aus. Gründe dafür sind ineffiziente Strukturen, korrupte Regierungen, fehlende Bildung und Ungerechtigkeit. So profitieren wenige, während die breite Bevölkerung trotz vermeintlichen Reichtums arm bleibt. Letztlich muss sich jede Volkswirtschaft fragen, wie sie ihre natürlichen Ressourcen am besten nutzt und Fähigkeiten entwickelt, um die Standortattraktivität und somit langfristig das Wachstum zu fördern.