Finanzmärkte reflektieren aussergewöhnliche Zeiten
Christoph Schenk, Anlagechef der Zürcher Kantonalbank, gibt eine Einschätzung zum aktuellen Marktgeschehen.
Text: Christoph Schenk / Bild: Andreas Guntli
Der starke Anstieg der Inflation hat sowohl die Notenbanken als auch die Marktteilnehmer überrascht. Während sich der gesellschaftliche Alltag nach der Corona-Pandemie weitgehend normalisiert hat, sind ihre wirtschaftlichen Folgen aus dem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bis heute nicht ganz ausgemerzt.
Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine erhöhte sich der Inflationsdruck aufgrund der drohenden Engpässe in der europäischen Energieversorgung und im internationalen Lebensmittelhandel zusätzlich. Vor diesem Hintergrund mussten die Notenbanken mit schnellen Zinserhöhungen von einer graduellen auf eine straffe Geldpolitik umstellen. Damit soll die Wirtschaft so weit abgekühlt werden, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen keinen zusätzlichen Inflationsdruck erzeugt. Seit Jahresbeginn sorgt dieser Umstand an den Finanzmärkten für erhöhte Nervosität und Kursverluste.
Seltene Konstellation
Die Konstellation aus hoher Inflation, steigenden Zinsen und abnehmender Wirtschaftsdynamik ist historisch gesehen selten und führt bei nahezu allen Anlageklassen zu Bewertungskorrekturen, selbst bei den ansonsten weniger schwankungsanfälligen Obligationen oder indirekten Immobilienanlagen. Einen derartigen Fall gab es letztmals in den 1970er-Jahren. In der Folge wurde der sonst so verlässliche Diversifikationseffekt sogar in einem gemischten Portfolio weitgehend ausgesetzt. Davon sind alle Anlagestrategien unserer Mandate betroffen. Wir erachten dieses Phänomen als temporär. Unserer Meinung nach sind die Ängste hinsichtlich der Entwicklung von Inflation, Zinsen, Energieversorgung und Wirtschaft bereits in den gegenwärtigen Kursabschlägen am Aktien- und Kapitalmarkt reflektiert.
Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wurden in den letzten beiden Jahren von zwei bedeutenden Ereignissen auf die Probe gestellt: einer globalen Pandemie und dem seit Februar andauernden Ukraine-Krieg. Der kurzfristige Ausblick für Wirtschaft und Finanzmärkte ist deshalb nicht allein durch ökonomische Faktoren bestimmt. Die Energieversorgung in Europa wird uns noch eine Weile beschäftigen. Ebenso werden die Energiepreise volatil bleiben. Kurzfristig sind Alternativen zu russischem Gas jedoch bereitgestellt, und mittel- bis langfristig eröffnet der technologische Fortschritt Chancen.
Kurzfristig schmerzhaft
Der Eingriff der Notenbanken ist kurzfristig zwar schmerzhaft, aber doch notwendig, um der schwindenden Kaufkraft entgegenzuwirken und den langfristigen Wohlstand zu sichern. Die Inflation wird bald ihren Höhepunkt erreicht haben, und die Zentralbanken werden eine Zinspause einlegen.
Darum sind wir überzeugt, dass sich das Wirtschaftswachstum und somit auch das Anlagevermögen wieder erholen werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, sich nicht den Ängsten hinzugeben, sondern gerade in diesen stürmischen Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren. Bleiben Sie investiert, folgen Sie konsequent Ihrer Anlagestrategie, und lassen Sie die Zeit für sich arbeiten.