SNB-Zinserhöhung: Die Folgen für die Schweizer Wirtschaft

Wie stark fällt die konjunkturelle Bremsung aufgrund der Zinswende aus? Wie sind die Auswirkungen auf die Inflation? David Marmet, Chefökonom Schweiz der Zürcher Kantonalbank, ordnet ein.

Text: David Marmet / Video Andreas Guntli

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Chefökonom Schweiz David Marmet erwartet im September den nächsten SNB-Zinsschritt.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat uns am 16. Juni 2022 alle überrascht. Sie gab bekannt, den Leitzins und den Zins auf Sichtguthaben um einen halben Prozentpunkt anzuheben. Überrascht hat zum einen die Anhebung um satte 50 Basispunkte, muss man doch bis ins Jahr 2000 zurückgehen, als die SNB letztmals einen solch starken Schritt nach oben tätigte. Zum anderen erstaunt die Tatsache, dass die SNB noch vor der Europäischen Zentralbank (EZB) aktiv wurde. In der Vergangenheit war die SNB meistens im Schlepptau der EZB unterwegs.

Zwar verharren wir auch nach diesem Schritt noch immer im Regime der Negativzinsen, dessen Ende ist inzwischen aber greifbar nahe. Die Zürcher Kantonalbank rechnet mit einer weiteren Zinserhöhung von 50 Basispunkten im September 2022. Darüber hinaus erachtet sie es aus heutiger Sicht für wahrscheinlich, dass der Leitzins auch im Dezember, März und Juni jeweils um 25 Basispunkte angehoben wird.

Vorerst steigende Inflation

Gegen Ende Jahr rechnen die Experten der Zürcher Kantonalbank mit Inflationsraten von knapp 4 Prozent. Für das Gesamtjahr resultiert dadurch ein Wert von 3,1 Prozent. Für nächstes Jahr prognostiziert die Bank mit 2,2 Prozent eine Inflationsrate, die weiterhin über dem Ziel der SNB liegen wird. Die Inflation ist also gekommen, um zu bleiben.

Ein wichtiger Grund dafür ist der hohe Anteil von knapp 25 Prozent an administrierten Preisen im Schweizer Landesindex der Konsumentenpreise. Administrierte Preise werden typischerweise selten angepasst, dafür aber erratisch. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Strompreise für Privathaushalte.

Wechselkurs (noch) keine Inflationsbremse

Sollte sich der Franken übermässig aufwerten, wäre die SNB weiterhin bereit, Devisen zu kaufen. Würde sich der Franken hingegen abschwächen, würde sie umgekehrt auch Devisenverkäufe erwägen, so ihre Formulierung. Bei der Abschwächung fehlt das Wort «übermässig». Entsprechend scheint eine Frankenaufwertung wünschenswert.

Wie verschiedene Studien für die Schweiz zeigen, ist indes der sogenannte Pass-through-Wechselkurseffekt auf die Konsumentenpreise schwach. Das heisst, dass eine Aufwertung des Schweizer Frankens markant ausfallen müsste, um den Index der Konsumentenpreise spürbar zu bremsen. So gibt es die grobe Faustregel, dass eine zehnprozentige Aufwertung die Inflation um 1 Prozent dämpfen würde.

Angesichts der bevorstehenden konjunkturellen Abschwächung (siehe nächster Abschnitt) ist eine so starke Aufwertung indes nicht wünschenswert. Entsprechend dürfte die jüngste Zinserhöhung und die damit verbundene Erwartung einer Frankenaufwertung die Konsumentenpreise vorerst kaum merklich bremsen.

Konjunkturelle Bremsung nicht zu vermeiden

Die Schweizer Wirtschaft ist im Vergleich zum nahen Ausland gut durch die Pandemie gekommen und das aktuelle Wirtschaftswachstum gestaltet sich weiterhin günstig. Die konjunkturellen Frühindikatoren signalisieren trotz Ukraine-Krieg und Lieferengpässen alles andere als einen Wirtschaftseinbruch.

Die Schweizer Wirtschaft wird sich im zweiten Halbjahr unter anderem aufgrund des forschen Vorgehens seitens der Notenbanken abschwächen, aber mit einem statistischen Überhang von aktuell mehr als 2 Prozent wird das Wachstum auf dem Papier trotzdem sehr stattlich ausfallen. Der von der Zürcher Kantonalbank prognostizierte Zinsanstieg wird sich insbesondere beim Exportsektor bemerkbar machen. Die Auslandnachfrage wird schwächer ausfallen.

Lohn-Preis-Spirale kommt nicht in Schwung

Entgegen den meisten Konsensus-Ökonomen rechnet die Bank 2023 mit einer leicht steigenden Arbeitslosenrate. So läuft der pandemiebedingte Aufschub struktureller Anpassungen aus. Die Konkursraten werden zumindest wieder das Vorkrisenniveau erreichen, nachdem sie während zweier Jahre unterdurchschnittlich waren.

Der Industriesektor wird davon überdurchschnittlich betroffen sein. Also der Sektor, der zurzeit auch am meisten Mühe bekundet, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Die Zahl der offenen Stellen, die sich derzeit auf einem Rekordhoch befindet, wird mit der erwähnten konjunkturellen Abkühlung wieder abnehmen. Leicht steigende Arbeitslosenzahlen und dannzumal sinkende Inflationsraten sprechen nicht für eine Lohn-Preis-Spirale in der Schweiz.

Lesen Sie den vollständigen Beitrag von David Marmet, Chefökonom Schweiz.

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