Vorsichtiges Lockern ist angesagt
In Ländern mit stark restriktiver geldpolitischer Ausrichtung dürfte es zeitnah zu weiteren Zinssenkungen kommen - wenn auch mit grösster Vorsicht. Dies trifft vor allem auf Länder in Lateinamerika und Osteuropa zu. Die Abwertung der eigenen Währung schränkt den geldpolitischen Handlungsspielraum der Zentralbanken jedoch ein. Vor dem Hintergrund der Währungsschwäche beliess Peru die Leitzinsen im März sogar unverändert, überraschte damit viele Finanzmarktteilnehmende und unterbrach eine Serie von sechs Zinssenkungen.
Für die peruanische Zentralbank ist die Stabilität des Wechselkurses im Gegensatz zu anderen Zentralbanken in der Region ein ausdrückliches Ziel, sodass der dünne Puffer beim Realzinsdifferenzial ein wichtiger Grund für die Entscheidung war. Auch die Staatsverschuldung in Peru ist immer noch zu einem beträchtlichen Teil in US-Dollar ausgewiesen. Zusätzlich wirkt in der immer noch weitgehend dollarisierten Volkswirtschaft eine schwächere Währung aufgrund negativer Bilanzeffekte für die Haushalte zusätzlich einschränkend. Die Reaktionsfunktion der peruanischen Zentralbank ist entsprechend empfindlich gegenüber Wechselkursschwankungen.
Auch die chilenische Notenbank verlangsamte das Tempo der Zinssenkungen an ihrer letzten Sitzung und äusserte sich deutlich vorsichtiger als noch im Januar. Neben dem Faktor, dass die Zinssenkungserwartungen in den USA zurückgeschraubt wurden, waren die Währungshüter insbesondere über die Abwertung des Pesos besorgt, da dies den Druck auf importierte Kosten erhöht und zu den unerwartet hohen Inflationszahlen zu Jahresbeginn beigetragen habe. Auch Ungarn drosselte zuletzt das Tempo der Zinssenkungen wegen der akzentuierten Forint-Schwäche.
Inflationsabbau gerät ins Stocken
Die Normalisierung der Lieferketten, tiefere Rohstoffpreise und umfangreiche Basiseffekte haben im letzten Jahr zu einem starken Rückgang der Inflationsraten geführt. Während in Ländern mit langsamem Wirtschaftswachstum das Momentum noch eine Weile anhalten dürfte, schwächt sich die Dynamik beim Inflationsabbau in anderen Volkswirtschaften bereits etwas ab.
Länder, in denen das Wachstum ansprechend bleibt und die Arbeitsmärkte angespannt sind, könnten deshalb bei der weiteren Inflationsbekämpfung, insbesondere im Dienstleistungsbereich, Rückschläge erleiden. Die jüngsten Daten zeigen, dass die Arbeitslosenquoten in vielen Ländern nach wie vor auf einem mehrjährigen Tiefstand liegen. Das Nominallohnwachstum bleibt insbesondere in Teilen Osteuropas und Lateinamerikas hoch, sodass der Lohndruck den weiteren Inflationsabbau gefährdet.
Der jüngste Anstieg des Ölpreises wirkt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls negativ aus. Zunehmende geopolitische Risiken im Nahen Osten belasten derzeit die Ölmärkte. Gleichzeitig hat sich die Ölnachfrage dank der robusten Nachfrage in den USA, der zyklischen Erholung in China und Anzeichen für eine Stabilisierung der globalen Industrietätigkeit als widerstandsfähig erwiesen.
Angesichts der hohen Empfindlichkeit der Schwellenländer gegenüber diesem Faktor könnten insbesondere bei den Nettoenergieimporteuren wieder Inflationsängste aufkommen. Eine erhöhte Nahrungsmittelinflation aufgrund ungünstiger Wetterbedingungen, ausgelöst durch das Wetterphänomen El Niño, bleibt ebenfalls ein latentes Risiko. Doch auch die mittlere monatliche Wachstumsrate der Kerninflation - also das Preiswachstum ohne die volatilen Nahrungsmittel- und Energiepreise - beschleunigte sich im neuen Jahr wieder und notiert immer noch über dem Durchschnitt von vor der Pandemie.
Die Verlangsamung im Inflationsabbau macht sich zumindest in einigen Ländern bemerkbar. In Brasilien beispielsweise dürfte die klebrige Dienstleistungsinflation und die zuletzt starken Arbeitsmarktdaten die Banco Central do Brasil schon bald zu einer vorsichtigeren Haltung veranlassen und zu kleineren Leitzinssenkungen bewegen. Doch auch in Mexiko schlägt das Sitzungsprotokoll nach der ersten Leitzinssenkung einen äusserst restriktiven Ton an. Das starke Lohnwachstum und die hohe Inflation im Dienstleistungssektor deuten darauf hin, dass der weitere Lockerungszyklus sehr graduell und schrittweise erfolgen könnte.
Fazit: Weitere Zinssenkungen erwartet
Die ersten Monate des Jahres 2024 waren geprägt von einer hohen Unsicherheit bezüglich des Zinspfades in den Industrieländern. Mit dem latenten Risiko, dass das US-Fed die erste Zinssenkung weiter nach hinten schiebt und sich das Ausmass der Senkungen im laufenden Jahr ausdünnt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralbanken in den Schwellenländern den Fuss etwas vom Gaspedal nehmen. Dennoch bleibt das Bild von weiteren Leitzinssenkungen über die nächsten Monate intakt.
Die Experten der Zürcher Kantonalbank erwarten weitere geldpolitische Lockerungen, vor allem in Lateinamerika und Osteuropa. Da das Risiko von Währungsverlusten gegeben ist, will ein überstürztes Vorgehen aber vielerorts nicht riskiert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass Zinssenkungen nur in dem Masse vorangetrieben werden, wie dies mit weitgehender Währungsstabilität vereinbar ist.
Bleiben die Währungen noch länger unter Druck, dürfte es vermehrt zu Devisenmarktinterventionen kommen. Trotz allem dürften in der zweiten Jahreshälfte auch einige asiatische Zentralbanken in den Lockerungsmodus wechseln, sodass der Zinssenkungszyklus im 2. Halbjahr nochmals an Breite gewinnen und aufgrund des hohen Zinsniveaus noch über mehrere Monate anhalten dürfte. Die jüngsten Entwicklungen deuten jedoch klar auf graduellere, weniger dezidierte und verzögerte Zinssenkungen hin, sodass sich das Tempo und Ausmass der Lockerungen deutlich verlangsamen wird.