SNB: Erstmals Nullzinspolitik in der Schweiz
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) senkt ihren Leitzins um 25 Basispunkte auf nunmehr 0%. Sie betritt damit Neuland, denn eine explizite Nullzinspolitik gab es in der Schweiz noch nie.
Text: David Marmet

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) senkt ihren Leitzins um 25 Basispunkte auf nunmehr 0%. Sie betritt damit Neuland, denn eine explizite Nullzinspolitik gab es in der Schweiz noch nie. In den Jahren 2008 bis 2014, unter dem damaligen Libor-Regime, lag die Untergrenze des Zielbandes zwar auch bei null, aber es gab in der Zeit auch eine positive Obergrenze. 2019 hat der SNB-Leitzins das Zielband für den 3-Monats-Libor als wichtigstes geldpolitisches Instrument abgelöst. Die SNB schreibt in ihrer heutigen Medienmitteilung zur geldpolitischen Lagebeurteilung, dass die Sichtguthaben der Banken bei der Notenbank bis zu einer bestimmten Limite zum SNB-Leitzins verzinst werden, oberhalb davon zu –0,25%. Die SNB ist bei Bedarf weiterhin bereit, am Devisenmarkt aktiv zu sein.
Das grosse Ganze sprach für Nullzinspolitik
Im Mai ist der Konsumentenpreisindex in der Schweiz erstmals seit vier Jahren wieder unter das Niveau des Vorjahres gefallen. Die Inflation belief sich auf –0,1%. Sie fiel damit klar tiefer aus als dies die SNB bei der letzten geldpolitischen Lagebeurteilung vom März angenommen hatte. Entsprechend waren einige Marktteilnehmer im Vorfeld des heutigen Zinsentscheids von einer noch stärkeren Zinssenkung ausgegangen. Zumal das Experiment «Nullzins» mit einigen Unsicherheiten behaftet ist. Wird der Geldmarkt bei diesem Zinsniveau mit genügend Liquidität versorgt werden können? Wäre es angesichts dieser Unsicherheit nicht sinnvoller, gleich in das nunmehr bekannte Regime der Negativzinsen zu wechseln? Die SNB hat sich mit ihrem heutigen Zinsentscheid nicht von technischen Bedingungen leiten lassen, sondern das grosse Ganze im Auge behalten.
Ansatz des Risikomanagements in Zeiten erhöhter Unsicherheit
Zum Blick auf das grosse Ganze gehört der von SNB-Präsidenten Martin Schlegel des Öftern erwähnte Ansatz des Risikomanagements. Gemäss diesem entscheidet sich die SNB für jene Option, welche für verschiedene Inflations- und Konjunkturszenarien das beste Ergebnis liefert. Unter den Varianten «Keine Zinsänderung», «Kleine Senkung» und «Grosse Senkung» wurde heute also der Mittelweg gewählt. Das hängt damit zusammen, dass die Risiken bezüglich Inflation, Konjunktur und Wechselkurs nicht allzu einseitig verteilt sind. So zeigt die bedingte Inflationsprognose der SNB, dass die Teuerung in den nächsten Quartalen knapp über null liegt, danach aber wieder ansteigt. Die SNB prognostiziert für 2025 eine Inflationsrate von 0,2% und für nächstes Jahr 0,5%. Wir teilen diese Einschätzung im Grossen und Ganzen, gehen wir doch von einer Teuerung von 0,3% bzw. 0,6% aus. Der heutige Zinsentscheid ist zudem konsequent, als dass die SNB stets betont, bei der Sicherstellung der Preisstabilität die mittlere Frist im Blick zu haben. Das bedeutet, dass vorübergehend auch eine Inflation um oder unter 0% akzeptiert werden kann.
Kein Konjunktureinbruch am Horizont
Die Konjunkturaussichten für die Schweiz sind verhalten, aber nicht allzu trübe. So hat sich die Konsumentenstimmung jüngst aufgehellt und der Dienstleistungssektor zeigt sich von seiner robusten Seite. Hingegen leidet die Industrie unter der erratischen US-Handelspolitik. Die Unsicherheit im Zusammenhang mit dieser Handelspolitik bleibt indes gross und die makroökonomischen Auswirkungen für die Schweiz sind nur schwer abschätzbar. Sollte zum Beispiel der Pharmasektor ebenfalls mit Zöllen belegt werden, wird die Schweizer Wirtschaft das schmerzlicher zu spüren bekommen als andere Volkswirtschaften (Negativszenario). Umgekehrt ist auch eine rasche Entspannung in der internationalen Handelspolitik denkbar (Positivszenario). Der von der SNB angedachte konjunkturelle Pfad kann also auf beide Seiten ausschlagen. Folgerichtig wählte die SNB heute den Mittelweg. Auch der Schweizer Franken wird in seiner Rolle als sicherer Hafen entsprechend den Szenarien stärker aufwerten (Negativszenario) bzw. schwächer tendieren (Positivszenario).
Stehen Negativzinsen dennoch vor der Tür?
Wie könnte es weitergehen? Zur Sicherung der Preisstabilität ist der Wechselkurs einer der wichtigsten Faktoren. Dabei kommt dem EUR/CHF-Kurs eine zentrale Rolle zu, da nur rund 45% aller Schweizer Warenexporte in den Euroraum gehen, die Schweiz aber knapp zwei Drittel ihrer Waren von dort bezieht. Die importierte Inflation bzw. Deflation wird neben den Energiepreisen schwergewichtig durch den EUR/CHF-Kurs bestimmt. Dieser oszilliert seit dem Spätsommer 2024 um 0,94. Wir gehen neu davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) vorerst eine Zinspause einlegen wird. Die importierte Deflation dürfte somit allmählich auslaufen. Der weitere Zinssenkungsbedarf der SNB wird dadurch kleiner. Die Ausführungen des SNB-Direktoriums an der heutigen Pressekonferenz waren entsprechend ausgewogen, also nicht allzu taubenhaft. Dennoch bleibt die geopolitische Lage fragil und die Auswirkungen auf die Ökonomie sind unsicher. Für uns heisst das zusammengefasst, dass die SNB in diesem Jahr keine weitere Zinsänderung vornehmen dürfte. Wir rechnen auch für Ende 2025 mit einem Leitzins von 0%.