US-Politik geht ans Limit

Die Schulden der US-Bundesregierung haben im Januar 2023 die gesetzliche Obergrenze von USD 31,4 Billionen erreicht. Laufen die USA nun tatsächlich Gefahr, ihre Schulden nicht mehr bezahlen zu können? Lesen Sie die Einschätzung von Christian Brändli, Senior Economist North America.

Text: Christian Brändli (aktualisiert am 30.05.2023) / Bild: Andreas Guntli

Ein Symbolbild: Cents auf einer Dollar Note
«Letztlich werden die amerikanischen Politikerinnen und Politiker einen Zahlungsausfall des US-Staates nicht riskieren wollen», sagt Christian Brändli. (Bild: Kenny Eliason / unsplash)

Spätestens nachdem US-Finanzministerin Janet Yellen den Kongress am 1. Mai darüber informiert hat, dass die US-Regierung Anfang Juni nicht mehr in der Lage sein wird, allen finanziellen Verpflichtungen rechtzeitig nachzukommen, ist die Schuldenobergrenze («Debt Ceiling») wieder im Fokus der Finanzmärkte. Dieser als «Tag X» bezeichnete Tag, an dem alle Kassen des Finanzministeriums erschöpft sind, scheint nun in den ersten beiden Juniwochen einzutreffen.

Ausgelöst wurde die plötzliche Dringlichkeit des Themas durch die niedriger als erwartet ausgefallenen Steuereinnahmen. Diese Mittel fehlen nun, um die Anfang Juni anstehenden Zahlungen der Regierung zu erfüllen. Üblicherweise würde das Finanzministerium neue Staatsanleihen emittieren und sich dadurch die nötigen Finanzmittel beschaffen. Das Erreichen der Schuldenobergrenze verunmöglicht dies jedoch.

Die Schuldenobergrenze ist eine gesetzliche Begrenzung der Kreditaufnahmebefugnis der US-Bundesregierung. Derzeit darf die Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand nicht über die gesetzliche Grenze von USD 31,4 Billionen ansteigen (123 Prozent des BIP 2022). Da die US-Regierung in den meisten Jahren ein Haushaltsdefizit aufweist, muss diese Obergrenze in regelmässigen Abständen angehoben werden, um eine zusätzliche Kreditaufnahme zu ermöglichen.

Möglichkeiten bei Erreichung des Schuldenlimits

Wenn die Schuldenobergrenze erreicht ist, hat der Kongress zwei Möglichkeiten: Entweder hebt er den geltenden Schuldendeckel um einen konkreten Dollarbetrag an. Somit steigt die Kreditaufnahmebefugnis des Finanzministeriums um diesen Wert. Oder der Kongress setzt die Schuldenobergrenze vorübergehend aus. Dadurch kann das Finanzministerium für einen bestimmten Zeitraum die benötigen Kredite in unbegrenzter Höhe aufnehmen. Seit 1960 wurde die Schuldenobergrenze bereits 78 Mal erhöht.

Was passiert, wenn die Schuldenobergrenze nicht angehoben wird?

Kann die Schuldenobergrenze nicht rechtzeitig angehoben werden, droht dem US-Staat die Zahlungsunfähigkeit (Default). Die genauen Auswirkungen dessen sind schwer abzuschätzen, da dies noch nie vorgekommen ist. Gefährlich nahe kamen die USA dem Tag X im August 2011. Damals war die politische Konstellation ähnlich wie heute: Ein von den Republikanern kontrolliertes Repräsentantenhaus stand einem von den Demokraten kontrollierter Senat und dem Weissen Haus gegenüber. Die Konfrontationen gipfelten darin, dass die Politiker die Schuldenobergrenze erst an dem Tag anhoben, als dem Finanzministerium das Geld auszugehen drohte. Die damaligen Turbulenzen führten dazu, dass Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit der USA von AAA um eine Stufe auf AA+ senkte. Dies beeinträchtige die Nachfrage nach US-Staatsanliehen allerdings nicht nachhaltig.

Ob eine weitere Herabstufung erneut so gelassen aufgenommen würde, darf angezweifelt werden. Der US-Aktienmarkt tauchte zu diesem Zeitpunkt um fast 20 Prozent und die Kreditspreads weiteten sich aus, insbesondere bei Unternehmensanleihen geringer Bonität. Die Renditen langlaufender Staatsanleihen gingen paradoxerweise zurück (risk-off), während die Renditen kurzlaufender Anleihen, die in Verzug zu geraten drohten, anstiegen. Heute ist ein ähnliches Verhalten der Investoren zu beobachten, die kurzlaufende US-Staatsanleihen mit Verfall während des erwarteten Defaults meiden.

Die Folgen eines Zahlungsausfalls

Ein anhaltender politischer Dissens oder noch schlimmer, eine Nichtanhebung der Schuldenobergrenze könnten schwerwiegende Folgen haben. Gemäss Simulationen des Council of Economic Advisors (CEA), der das Weisse Haus in wirtschaftspolitischen Fragen berät, ist bei einem Default mit einem Stimmungsschock wie bei der Finanzkrise 2008 sowie einer Kürzung der staatlichen Ausgaben von 20 bis 30 Prozent zu rechnen. Der Staat kann in einem solchen Fall nämlich nur noch so viel ausgeben, wie er einnimmt. Unterstellt wurde ausserdem, dass das Fed nur verzögert auf die Krise reagieren würde, da es nach wie vor mit der Inflationsbekämpfung beschäftigt ist.

Ohne rechtzeitige Einigung würde dies die Beschäftigung und das Wachstum zunächst nur geringfügig beeinträchtigen. Der Stress an den Finanzmärkten wäre allerdings vorprogrammiert. Schwerwiegender wären die Folgen eines Zahlungsausfalls. Selbst im Falle eines nur kurzen Zahlungsverzugs, bei dem das Finanzministerium eine Priorisierung der Zahlungen vornehmen müsste, geht die CEA-Simulation von einem Verlust von 500'000 Arbeitsplätzen aus. Bei einer schweren Schuldenkrise mit länger anhaltenden Zahlungsausfällen wäre sogar ein Beschäftigungsrückgang von über 8 Millionen zu befürchten. Die Folgen für die Finanzmärkte, die Rolle des Dollars und die Weltwirtschaft sind in einem solchen Fall schwer abzuschätzen, aber höchstwahrscheinlich sehr negativ.

Welche Notfallpläne bestehen?

Einer der meistgenannten Notfallmassnahmen ist eine Priorisierung der Zahlungen, so dass zuerst die Schuldner bedient würden, um einen Zahlungsausfall zu vermeiden. Angesichts des hohen Haushaltsdefizits wäre es allerdings nur eine Frage der Zeit, bis sich die unbezahlten Rechnungen auftürmen. Darüber hinaus würde die Wirtschaft zunehmend unter den ausbleibenden Geldflüssen leiden.

Eine zweite Möglichkeit wäre die Berufung auf den 14. Verfassungszusatz, wonach die Gültigkeit der öffentlichen Schulden der Vereinigten Staaten nicht in Frage gestellt werden darf. Die US-Regierung würde sich demnach verfassungswidrig verhalten, wenn sie keine Zinszahlungen mehr leistet, selbst wenn die Schuldenobergrenze nicht angehoben wird. Der Verfassungszusatz wurde bisher noch nie geltend gemacht und würde ein wochenlanges Verfahren vor dem Obersten Gericht nach sich ziehen. In dieser Zeit dürften die Märkte stark unter Druck kommen.

Andere Massnahmen wären der Verkauf von Vermögenswerten wie Gold und die Ausgabe von speziellen Schuldscheinen oder gar die Prägung einer Billionen-Dollar-Münze, die auf der Befugnis der Regierung zur Ausgabe von Gedenkmünzen beruht. Diese Münze würde auf dem Konto der Regierung bei der Notenbank hinterlegt, was das Fed faktisch zur Staatsfinanzierung zwingen würde. Auch das wäre verfassungsrechtlich zweifelhaft und es ist deshalb fraglich, ob das Fed eine solche Münze überhaupt akzeptieren würde. Schliesslich könnte der US-Präsident die Schuldenobergrenze unter Berufung auf einen nationalen Notstand einfach ignorieren und es den Gerichten überlassen, das Problem zu lösen.

Alle diese Notfallmassnahmen haben eines gemeinsam: Sie sind vor allem theoretischer Natur und schaffen letztlich das Grundproblem nicht aus der Welt. An den Finanzmärkten käme es währenddessen wohl zu grösseren Turbulenzen, was sich über kurz oder lang auch negativ auf die Konjunktur auswirken würde.

Einigung im Schuldenstreit verringert Unsicherheit

US-Präsident Biden und der Sprecher des Repräsentantenhauses McCarthy erzielten über das lange Pfingstwochenende eine Einigung im Streit um die Schuldenobergrenze. Mit dem sogenannten «Fiscal Responsibility Act» sollen die Schuldenobergrenze bis zum 1. Januar 2025 ausgesetzt und die diskretionären Staatsausgaben für die nächsten zwei Jahre begrenzt werden. Nach ersten Schätzungen werden die Ausgabekürzungen nur zu bescheidenen negativen Wachstumseffekten führen. Erstens gelten die Ausgabelimiten nur für zwei Jahre, so dass der grösste Teil der prognostizierten Einsparungen von politischen Entscheidungen abhängt, die nach den nächsten Wahlen getroffen werden. Zweitens werden die nötigen Einsparungen im nächsten Jahr abgeschwächt, indem ungenutzte Coronahilfsgelder und weitere Finanzmittel, welche für die Steuerbehörde IRS gedacht waren, umgelenkt werden. Darüber hinaus werden weitere im Gesetzentwurf enthaltene Massnahmen wahrscheinlich nur begrenzte makroökonomische Auswirkungen entfalten, wie das Ende der seit März 2020 geltenden Rückzahlungspause für Studentendarlehen, die Erhöhung der Arbeitsanforderung für Bezüger von Lebensmittelmarken oder die Beschleunigung von Umweltprüfungsverfahren.

Mit dem Deal zwischen Biden und McCarthy dürfte die grösste Hürde im Schuldenstreit genommen sein, obwohl das Gesetz noch das Repräsentantenhaus und den Senat passieren muss. Die Abstimmung im Repräsentantenhaus ist für Mittwoch, den 31. Mai, vorgesehen. Der Senat könnte danach darüber bis Freitag, den 2. Juni, abstimmen. Sollte es noch zu verfahrenstechnischen Verzögerungen kommen, könnte sich die Abstimmung im Senat auf das kommende Wochenende verschieben. Aber auch das würde noch ausreichen, um die USA vor einem Zahlungsausfall zu bewahren. Finanzministerin Yellen hatte am vergangenen Freitag darüber informiert, dass die Schuldenobergrenze bis spätestens zum Montag, den 5. Juni, angehoben werden muss, weil das Finanzministerium dann nicht in der Lage sein wird, alle Rechnungen zu begleichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der US-Kongress diese Deadline, jetzt nach der Einigung zwischen Biden und McCarthy, untätig verstreichen lässt, schätzen wir als sehr gering ein. Auch wenn die anstehenden Abstimmungen im Kongress noch ein kleines Risiko darstellen, so dürfte der vorliegende Deal den grössten Teil der Unsicherheit in Bezug auf die Schuldenobergrenze für die Finanzmärkte beseitigen.