US-Zwischenwahlen: Republikaner haben Nase vorn

Klassisch republikanische Themen wie Wirtschaft, Inflation und Einwanderung gewannen bei den Wählern zuletzt wieder stärker an Bedeutung und überschatten die Abtreibungsfrage als demokratisches Schlüsselthema. Christian Brändli, Senior Economist North America, erläutert Auswirkungen des erwarteten Wahlausgangs auf US-Politik und Finanzmärkte.

Text: Christian Brändli

«Das Momentum spricht für die Republikaner», sagt Christian Brändli, Senior Economist North America

Am 8. November 2022 werden in den USA die sogenannten «Midterms» abgehalten, die Zwischenwahlen, die jeweils in der Mitte der vierjährigen Amtszeit des US-Präsidenten stattfinden. Die Stimmberechtigten sind aufgerufen, das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatoren neu zu wählen.

Dabei muss die Partei, die in Washington an der Macht ist, in der Regel Verluste hinnehmen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Mobilisierung. Die Wähler der Partei, die nicht an der Macht ist, sind meist motivierter. Bei unabhängigen Wählern sorgt oft auch eine gewisse Ernüchterung über nicht erfüllte Wahlversprechen für eine Gegenreaktion.

Bis zum Sommer 2022 sah es danach aus, dass sich das historische Muster wieder bewahrheiten würde. Die Demokraten lagen in den Umfragen klar zurück. Es schien eine ausgemachte Sache, dass die Republikaner nach den Midterms die Kontrolle über den Kongress und damit die Legislative übernehmen werden. Doch dann sorgte die umstrittene Aufhebung des nationalen Abtreibungsrechts durch den Obersten Gerichtshof («Supreme Court») im Juni für einen Umschwung. Ausserdem verschafften die legislativen Erfolge der Administration Biden (z.B. der «Inflation Reduction Act») und die schlechte Presse des ehemaligen republikanischen Präsidenten Donald Trump den Demokraten zusätzlichen Rückenwind. Im Oktober aber begann der Wind abermals zu drehen. Seit einigen Wochen weisen nun die Republikaner bei der Wählerbefragungen wieder einen leichten Vorsprung auf.

Republikaner profitieren von schlechter Wirtschaft

Der Nachrichtenfluss verlagerte sich in den vergangenen Wochen wieder auf eine Reihe von Themen, die für die Republikaner günstiger sind, wie z. B. Einwanderung und erneute Konjunktur- und Inflationssorgen. Der Pessimismus über die wirtschaftliche Entwicklung ist gross. Die Hälfte der Amerikaner glaubt, dass sich das Land bereits in einer Rezession befindet und dass die Wirtschaft nächstes Jahr noch schlechter dastehen wird als heute. Ausserdem haben die Stimmbürger generell wenig Vertrauen in die wirtschaftliche Führung von Präsident Biden.

Mögliche Szenarien für den Wahlausgang

Das wahrscheinlichste Szenario ist ein geeinter Kongress unter republikanischer Führung. Das statistische Model von FiveThirtyEight, einem angesehenen Newsportal für Wahlvorhersagen, gibt die Wahrscheinlichkeit für einen Wahlsieg der Republikaner mit 53 Prozent an. Mit 31 Prozent ist das zweitwahrscheinlichste Szenario ein geteilter Kongress, bei dem die Republikaner die Kontrolle über das Repräsentantenhaus erlangen, die Demokraten aber ihre Mehrheit im Senat verteidigen. Das dritte Szenario ist die Beibehaltung der demokratischen Mehrheit in beiden Kongresskammern. Diese Wahrscheinlichkeit liegt lediglich noch bei 15 Prozent. Ein viertes Szenario, bei dem die Demokraten die Kontrolle über das Repräsentantenhaus behalten, aber den Senat verlieren, ist sehr unwahrscheinlich.

Ausgang der Senatswahl offen

Im Repräsentantenhaus werden die Republikaner zum ersten Mal seit 2018 wieder die Kontrolle übernehmen. Dank den wieder besseren Umfragewerten können die Republikaner hier mit netto 15 bis 20 Sitzgewinnen rechnen. An den Wettmärkten wird eine republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus mit 90 Prozent als sehr wahrscheinlich erachtet. Das Rennen um die Mehrheit im Senat ist hingegen offener. Auch hier spricht das Momentum aber für die Republikaner, denn mittlerweile wird einer republikanischen Mehrheit im Senat eine Wahrscheinlichkeit von über 70 Prozent eingeräumt. Letzten Endes werden drei oder vier Einzelrennen über die Kontrolle des Senats entscheiden. Ausschlaggebend werden der Wahlausgang in Arizona, Nevada, Georgia und Pennsylvania sein. Beide Parteien haben hier keine todsicheren Kandidaten.

Moderate Auswirkungen auf die US-Politik

Die Zwischenwahlen beeinflussen insbesondere die US-Finanzpolitik. Dies liegt daran, dass bei Zwischenwahlen oftmals die Kontrolle über das Repräsentantenhaus wechselt, welchem das Budgetrecht obliegt. Mit der erwarteten Mehrheit im Repräsentantenhaus werden die Republikaner künftig also der Finanzpolitik ihren Stempel aufdrücken können.

Der Gestaltungsspielraum der Republikaner in der Gesetzgebung ist jedoch eingeschränkt. Einerseits sind für Entscheidungen im Senat in den meisten Politikfeldern 60 Stimmen erforderlich, was seit den späten 1970er Jahren keine der beiden Parteien mehr erreicht hat. Damit eine Gesetzesvorlage den Senat passieren kann, ist deshalb eine überparteiliche Unterstützung notwendig. Bei finanzpolitischen Beschlüssen reicht im Rahmen eines Sonderverfahrens eine einfache Mehrheit in beiden Kongresskammern. In diesem Fall würde aber wohl Präsident Biden nicht genehme Vorstösse der Republikaner mittels Präsidentenveto blockieren. Grössere Haushaltsgesetze werden es nach den Zwischenwahlen also so oder so schwer haben. Eine republikanische Mehrheit in beiden Kammern hätte aber zumindest den Vorteil, dass eine Erhöhung der Schuldenobergrenze, fortlaufende Beschlüsse zur Finanzierung der Regierung und möglicherweise sogar einige begrenzte fiskalische Interventionen leichter zu verabschieden wären.

Die bislang uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine wurde zuletzt ebenfalls zu einem verstärkt diskutierten Thema. Teile der Republikaner haben angedeutet, dass sie diese kritisch sehen und angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen im eigenen Land weitere Milliardenausgaben für einen fremden Krieg vor den heimischen Wählern kaum rechtfertigen können. Gleichwohl aber werden die Verteidigungsausgaben angesichts der unsicheren Weltlage in den nächsten Jahren unabhängig vom Wahlausgang steigen und ein weites Spektrum von sowohl konventionellen Rüstungsausgaben als auch Ausgaben für Cyber-Sicherheit und Versorgungssicherheit umfassen.

Auswirkungen auf die Finanzmärkte eher gering

Die US-Zwischenwahlen sind für die Finanzmärkte nach einem turbulenten Jahr nur ein weiterer Faktor. In der Vergangenheit hatte die Volatilität an den Aktienmärkten im Vorfeld der Wahlen tendenziell zugenommen. Nach den Wahlen erholten sie sich wieder, in der Regel unabhängig davon, welche Partei die Mehrheit im Kongress erlangte.

Die Haupttreiber für die Aktienmärkte werden weiterhin die US-Notenbank und ihre restriktive Geldpolitik zur Kontrolle der Inflation sein. Ausserdem sind grössere politische Veränderungen aufgrund der in Washington zu erwartenden Blockade wenig wahrscheinlich. Das bringt für die Finanzmärkte zumindest den Vorteil einer besseren Vorhersehbarkeit der US-Politik.

Die Regierung von Joe Biden wird bei geteilten Machtverhältnissen kaum weitere Ausgabeprojekte im Sozialbereich oder Steuererhöhungen realisieren können. Das würde die Märkte insofern positiv stimmen, dass keine weiteren Steuererhöhungen drohen, welche die Unternehmensgewinne belasten, und keine massive Ausweitung der Staatsausgaben erfolgt, welche die bereits hohe Inflation weiter anheizen würde.

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