Wilder Westen bei der CO2-Kompensation

Die Absichten sind da und gut gemeint: Viele Unternehmen wollen bis 2050 klimaneutral werden. Doch die Reduktion der CO2-Emissionen alleine wird dies nicht richten. Deshalb braucht es die CO2-Zertifikate, welche auch freiwillig erworben werden können. Wie sich dieser Markt aktuell präsentiert, lesen Sie im Beitrag von Silke Humbert, Nachhaltig­keits­spezialistin.

Text: Silke Humbert

Symbolbild CO2-Kompensation
«3000 Unternehmen haben sich ein Netto-Null-Ziel gesetzt. Das entspricht einem Drittel der globalen Marktkapitalisierung», sagt Silke Humbert, Nachhaltigkeitsspezialistin. (Bild: Getty)

British Petrol (BP) wollte alles richtig machen. Das Ölunternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein, und hat hierzu konkrete Schritte dargelegt. Trotzdem gab es im Juli 2022 einen Aufschrei: BP hat mexikanischen Dorfbewohnern im Rahmen von CO2-Zertifikaten Geld für den Schutz des umliegenden Waldes gezahlt. Der Mechanismus sieht vor, dass BP die eigenen Treibhausgasemissionen mit dem Kohlendioxid, das durch den mexikanischen Wald gebunden wird, verrechnen kann.

Das Problem dabei: Jeder Dorfbewohner hat jährlich etwa so viel Geld erhalten, wie er in einer Woche verdient. Aktuell wird für Waldschutzprojekte jedoch drei- bis viermal mehr gezahlt.

Der Zertifikatsmarkt für freiwillige CO2-Kompensationen wuchs mit einem jährlichen Wachstum von 30 Prozent in den letzten fünf Jahren rasant. Prinzipiell gibt es zwei Arten von CO2-Zertifikaten: solche, die auf die Vermeidung von Treibhausgasemissionen abzielen, zum Beispiel durch Projekte mit grünen Technologien oder Waldschutzprojekte. Und jene, die auf die Eliminierung von Treibhausgasemissionen abzielen, zum Beispiel Aufforstungsprojekte oder Kohlenstoffabscheidung («Carbon Capture»). Die meisten ausgegebenen Zertifikate fördern erneuerbare Energien oder Waldschutzprojekte. Es gibt mehrere grosse Plattformen, über die die freiwilligen Zertifikate gehandelt werden können. Jede davon definiert bislang ihre eigenen Standards.

Silke Humbert

Theoretisch ist die Idee hinter den Kompensationen bestechend.

Silke Humbert, Nachhaltigkeitsspezialistin bei der Zürcher Kantonalbank

Der Wilde Westen lässt grüssen

Während die von einzelnen Regionen wie zum Beispiel der EU ins Leben gerufenen verpflichtenden Emissionsmärkte, an denen sektorbezogene Obergrenzen für die CO2-Emissionen festgelegt werden, eher gut geführten Amtsstuben entsprechen, haftet den freiwilligen Zertifikatsmärkten, an denen Unternehmen freiwillig ihre Emissionen kompensieren, um selbstgesteckte Ziele zu erreichen, ein Hauch Wilder Westen an. Kritiker monieren, dass die Zertifikate oftmals ihren Zweck nicht erfüllen: Wenn sich zum Beispiel ein Projekt mit grünen Technologien ökonomisch rechnet, ist die finanzielle Förderung durch CO2-Zertifikate unnötig und es wird keine zusätzliche Senkung der Treibhausgasintensität erreicht. Zusätzlich ist noch nicht eindeutig ausgeschlossen, dass Zertifikate mehrfach angerechnet werden.

Fehlende Transparenz und ungenügende Standards im noch jungen Markt führten auch zu besagten niedrigen Zahlungen von BP. Das Unternehmen hat mittlerweile zugesichert, die nächsten jährlichen Zahlungen an die aktuellen Marktpreise anzupassen.

Keine Netto-Null ohne CO2-Kompensationszertifikate

Die Liste der Unternehmen, die bis 2050 klimaneutral sein wollen, ist lang und umfasst mittlerweile über 3'000 Namen – das entspricht einem Drittel der globalen Marktkapitalisierung. Auch bei noch so ambitionierten Reduktionsplänen innerhalb des eigenen Unternehmens: die eigenen Emissionen komplett auf null zu reduzieren ist für viele Unternehmen praktisch nicht möglich. Insbesondere Unternehmen mit einem grossen CO2-Fussabdruck wie Ölunternehmen stehen vor grossen Herausforderungen. Entsprechende CO2-Kompensationen werden daher weiterhin eine Rolle spielen.

Theoretisch ist die Idee hinter den Kompensationen bestechend: Die klimabewussten Firmen im globalen Norden verfügen über die finanziellen Mittel, die dem globalen Süden mit seinen Möglichkeiten zur CO2-Bindung – zum Beispiel durch die Regenwälder – fehlen. Und in der Tat zeigt sich diese Logik auch an der Herkunft der Zertifikate. Etwa die Hälfte wird in Asien herausgegeben, danach folgen Lateinamerika und Afrika. Die Käufer stammen hingegen mehrheitlich aus den nördlichen Ländern der westlichen Welt. Zu hoffen ist nun auf die Weiterentwicklung des freiwilligen Zertifikatmarktes. Aber auch der Wilde Westen war schliesslich kein Dauerzustand.

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