Der Home-Office-Booster

Wer seltener fährt, kann dafür an Bürotagen länger pendeln. Dieser Grundgedanke mag in der neuen Normalität mit mehr Home-Office viele dazu bewegen, weiter weg vom Arbeitsplatz zu wohnen. Wir zeigen, welche Regionen davon profitieren.

Text: Isabella Kübler, Analytics Immobilien

Home Office
Home-Office wird immer häufiger zur Normalität (Bild: Westend61 via Getty Images)

Home-Office bewegt den Immobilienmarkt

Die Pandemie hat viele Bereiche unseres Alltags zeitweise stillgelegt, dennoch haben zahlreiche Bewohner des Kantons Zürich die Umzugskisten gepackt. Gemäss dem neusten Umzugsreport des Immobilienportals Homegate ist knapp jeder zehnte Befragte in den letzten zwei Jahren umgezogen. Dabei zeigt sich, dass Corona das Umzugsverhalten verändert hat. Zwar sind Änderungen im Beziehungsstatus noch immer der häufigste Umzugsgrund, direkt danach folgen aber der Wunsch nach mehr Platz und die Unzufriedenheit mit der Lage. Im Lockdown ist die eigene Wohnsituation wichtiger geworden, und für die Tage im Home-Office braucht es nun zu Hause mehr Raum, um ungestört arbeiten zu können. Berufliche Gründe, die beim Umzugsreport von 2018 noch auf dem zweiten Rang lagen, wurden hingegen weniger oft genannt. Die Notwendigkeit, wegen des Jobs umzuziehen, war in den letzten anderthalb Jahren weniger verbreitet, da diejenigen, die aus dem Home-Office arbeiten können, weniger auf die Nähe zum Arbeitsplatz angewiesen sind.

Mittlerweile wurde die Home-Office-Pflicht aufgehoben, die Normalisierungsphase hat begonnen. Nun stellt sich die Frage, wie stark sich Home-Office in der neuen Normalität etablieren wird. Werden die Umzüge aus beruflichen Gründen in Zukunft überhaupt noch eine Rolle spielen? Wahrscheinlich schon, da eine theoretische Ortsungebundenheit mit fünf Tagen Arbeit aus der Distanz ein eher seltenes Phänomen sein dürfte. Plausibler sind hingegen Szenarien mit einem, zwei oder maximal drei Tagen Home-Office. Wir sind der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen diese neue Flexibilität in der Arbeitswelt auf den Immobilienmarkt erwarten lässt und welche Regionen davon potenziell profitieren.
 

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Pendelbereitschaft steigt mit teilweisem Home-Office

Einer der wichtigsten Lagefaktoren bei einer Wohnimmobilie war immer die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen. Wo gut bezahlte Jobs in kurzer Zeit erreicht werden, sind die Preise und Mieten für Wohnimmobilien hoch. In abgelegenen Ortschaften, die nur wenige Arbeitsplätze bieten und verkehrstechnisch nicht gut angebunden sind, sind diese hingegen tief. Home-Office könnte aber die Wohnraumnachfrage in diesen heute noch preisgünstigen Gebieten stärken. Die Möglichkeit, die Arbeit teilweise von zu Hause ausführen zu können, dürfte Arbeitnehmende dazu verleiten, längere Pendelzeiten in Kauf zu nehmen. Wer seltener fährt, kann dafür an seinen Präsenztagen länger pendeln und erreicht somit mehr potenzielle Arbeitsplätze.

Um zu ermitteln, welche Gebiete in der neuen Normalität am meisten profitieren würden, haben wir untersucht, wie sich die Erreichbarkeit von Büroarbeitsplätzen durch mehr Home-Office an jeder ÖV-Haltestelle in der Schweiz verändern würde. Dafür haben wir einen Vergleich zwischen dem vor der Pandemie weitverbreiteten Arbeitsalltag im Büro und drei möglichen Szenarien mit einem, zwei oder drei Tagen Home-Office gemacht. Für den typischen Vollzeit-Büroangestellten nehmen wir Pendelzeiten von 30 Minuten pro Weg an, was sich in der Woche zu 5 Stunden summiert. Kann ein Tag von zu Hause gearbeitet werden, sind bei gleicher Wochensumme nun 38 Minuten pro Weg möglich. Bei zwei Home-Office-Tagen sind es 50 Minuten und bei drei Home-Office-Tagen sogar 75 Minuten pro Weg. Die folgenden Karten zeigen, wie viele Büroarbeitsplätze von jeder Zug-, Bus- oder Tramhaltestelle erreicht werden und welche von einer Ausweitung der Pendelzeit am meisten profitieren.
 

Status quo: Bürokonzentration in den Städten

Status quo: Bürokonzentration in den Städten
(Quellen: Bundesamt für Statistik, Zürcher Kantonalbank)

Drei Szenarien für die neue Normalität

3 Szenarien für die neue Normalität
(Quellen: Bundesamt für Statistik, Zürcher Kantonalbank)

Keine Stadtflucht zu erwarten

Die meisten Büroarbeitsplätze befinden sich in den grossen Schweizer Städten. Von der Mehrheit der Haltestellen in Zürich, Bern oder Genf genügen 30 Minuten Fahrzeit, um über 75’000 Büroarbeitsplätze zu erreichen (siehe Karte «Status quo: Bürokonzentration in den Städten»). Ausgehend von diesem hohen Niveau bringen längere Fahrzeiten in den grossen Zentren nur eine geringe Zunahme.

Die grössten Städte dürften daher von Home-Office nur wenig profitieren und gehören deshalb nicht zu den Gewinnern (siehe Karte «Drei Szenarien für die neue Normalität»). Eine umfassende Flucht aufs Land ist dennoch nicht zu erwarten, das Stadtleben wird auch in Zukunft attraktiv bleiben. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits gibt es viele Berufe im Bereich der persönlichen Dienstleistungen und der Industrie, bei denen Home-Office nicht möglich ist und die Nähe zum Arbeitsort wichtig bleibt. Andererseits bieten grosse Zentren mehr als nur viele Arbeitsplätze. Man denke z.B. an das umfangreiche Versorgungs-, Kultur- und Freizeitangebot.

Tatsächlich gibt es auch kleinere Städte, die von Home-Office profitieren können, wie das Beispiel Winterthur zeigt (siehe Karte «Profiteure von einem Tag Home-Office in Winterthur»). In Abhängigkeit vom Wohnort kann eine nur um 8 Minuten längere Fahrt die Auswahl an potenziellen Büroarbeitsplätzen deutlich erweitern. Wer hier in der Nähe einer Bushaltestelle mit schneller Verbindung zum Hauptbahnhof oder direkt bei einem der kleineren Bahnhöfe wohnt, profitiert besonders von einem Tag Home-Office. Die Nachfrage nach Wohnungen in den Städten lässt in der neuen Normalität also keinen Einbruch erwarten.

Profiteure von einem Tag Home-Office in Winterthur

Profi teure von 1 Tag Home-Offi ce in Winterthur
(Quellen: Bundesamt für Statistik, Zürcher Kantonalbank)

Agglomerationsgemeinden profitieren besonders

Die grössten Profiteure im neuen Arbeitsalltag mit einem oder zwei Tagen Home-Office sind die Agglomerationsgemeinden (siehe Karte «Drei Szenarien für die neue Normalität»). Im Kanton Zürich gewinnen ferner vor allem die Seegemeinden an erreichbaren Arbeitsplätzen. Bei 50 Minuten weitet sich der Kreis der Gewinner weiter von den Zentren auf Ortschaften mit schnellen S-Bahn-Anbindungen aus. Die Zugverbindungen sind hier so gut ausgebaut, dass man nicht direkt beim Bahnhof wohnen muss, um verschiedene Grosszentren in 50 Minuten erreichen zu können. Beispiele für solche Nutzniesser sind im Kanton Zürich die Gemeinden Uster, Bülach oder Wädenswil.

Ist man bereit, etwas länger zu pendeln, geraten Agglomerationsgemeinden bei der Suche nach einem neuen Wohnort verstärkt in den Fokus. Die tieferen Preise im Vergleich zu den Städten könnten die Nachfrage weiter ankurbeln. Grosse Neubauprojekte wie z.B. das Projekt Glasi in Bülach oder der Stockenhof in Regensdorf dürften bei der Etablierung von ein bis zwei Tagen Home-Office auf umso mehr Interesse stossen.

Löst Home-Office das Leerstandsproblem in ländlichen Gemeinden?

Die Zunahme von erreichbaren Büroarbeitsplätzen in ländlichen, abgelegenen Gemeinden nach 38 und nach 50 Minuten Fahrzeit fällt sehr gering aus. Um in diesen Gebieten die Anzahl an potenziellen Büroarbeitsplätzen deutlich zu erweitern, muss der Arbeitnehmende bereit sein, zwischen 50 und 75 Minuten zu pendeln. Mindestens drei Tage Home-Office scheinen unumgänglich, wenn man in einer dieser Gemeinden wohnen und in einem grösseren Zentrum arbeiten möchte. Ob sich ein solches Szenario in Zukunft tatsächlich durchsetzen wird, ist fraglich, da die meisten Unternehmen eine Arbeitswoche mit mehr Tagen zu Hause als im Büro wahrscheinlich nicht gutheissen würden. Ausserdem ist nicht jeder bereit, die gesamte gesparte Zeit ins Pendeln zu investieren. Für Pendelzeiten bis zu 75 Minuten pro Weg braucht es viel Durchhaltevermögen.

Unsere Analyse legt nahe, dass Home-Office keinen Ansturm auf ländliche Regionen verursachen wird. Gebiete mit hohem Leerwohnungsstand, wie z.B. das Toggenburg um die Gemeinde Nesslau oder der Oberaargau mit der vielgenannten Gemeinde Huttwil, werden auch in der neuen Normalität mit Leerstandsproblemen konfrontiert bleiben. Noch schwerer haben es stark abgelegene Gemeinden in den Bergkantonen. Das malerische Engadin um die Gemeinde St. Moritz zum Beispiel ist als Feriendestination sehr beliebt. Als dauerhafter Wohnort ist diese Region für viele aber nicht geeignet, da die Auswahl an erreichbaren Arbeitsplätzen zu gering ist. Auch bei langen Pendelzeiten können nur kleinere, regionale Zentren erreicht werden, die nicht mit dem Angebot der Grossstädte mithalten können.
 

Neue Perspektiven

Die Arbeitswelt wird nach der Pandemie nicht mehr dieselbe sein. Home-Office ist nun salonfähig, und in der neuen Normalität werden viele ihre Arbeit teilweise von zu Hause aus erledigen. Diese neue Flexibilität ermöglicht es, längere Pendelwege auf sich zu nehmen und den Radius bei der Wohnungssuche zu erweitern. Im Eigenheimsegment kennen wir das Ausweichen auf preisgünstigere Regionen schon seit Jahren. Das Problem der Mietwohnungsleerstände in Landgemeinden wird sich damit aber nicht beheben lassen, denn Mieter finden vielfach schon näher zu den Arbeitsplätzen eine ausreichende Auswahl an erschwinglichen Wohnungen. Insgesamt werden vor allem Agglomerationsgemeinden attraktiver. Da Unternehmen Home-Office in unterschiedlichem Masse ermöglichen, bleibt man dank der hier verträglichen Pendelzeiten auch bei einer unerwarteten Änderung der Arbeitssituation anpassungsfähig. Bei einem Umzug in eine ländlichen Gemeinde muss man unter Umständen viel Durchhaltevermögen beim Pendeln aufbringen und sich der geringen Auswahl an möglichen Arbeitsplätzen bewusst sein.
 

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