Der Gucci-Effekt beim Wohneigentum

In Krisenzeiten wollen sich Menschen etwas gönnen. Dies erhöht die Anforderungen an die eigene Wohnung, Aussenräume sind wichtiger denn je. Die Folge ist eine steigende Zahlungsbereitschaft für die Wohnqualität.

Text: Ursina Kubli, Leiterin Analytics Immobilien

Der Eigenheimmarkt überrascht gleichermassen wie die langen Warteschlangen an der Zürcher Bahnhofstrasse vor den Läden von Gucci, Versace und Co. Man könnte meinen, der Wunsch nach dem Eigenheim habe im Zuge von COVID-19 angesichts stei­gender Arbeitslosenzahlen und Unsicherheit nachgelassen. Doch ganz im Gegenteil. Die Eigenheimpreise setzten in der Schweiz und besonders im Kanton Zürich zu einer regelrechten Rallye an.

Dabei funktionierte gerade im Hochpreissegment die Vermarktung sehr gut. In der Schweiz wurden im letzten Halbjahr so viele Einfamilienhäuser über 3 Millionen und so viel Stockwerkeigentum über 2 Millionen Franken inseriert wie schon seit über 3 Jahren nicht mehr. Die hohen Preise konnten die Verkäufer in der Regel problemlos durchsetzen. Das zeigen unsere Berechnungen des Transaktionsabschlages, der Differenz zwischen Angebots- und Transaktionspreisen, bei Einfamilienhäusern. Wie der Name sagt, geben die Verkäufer in der Regel beim Preis etwas nach. Seit Corona ist dieser Preisabschlag praktisch verschwunden. Mit den Fundamentaldaten lässt sich dieses Preiswachstum nicht vollständig erklären. Die tiefen Hypothekarzinsen locken schon lange, der Mietwohnung den Rücken zu kehren und stattdessen in die eigenen vier Wände zu investieren.

 

Der Gucci-Effekt beim Wohneigentum

Auch die Knappheit von Wohneigentum aufgrund des forcierten Mietwohnungsbaus ist kein neues Phänomen. Wir erklären uns den grossen Ansturm auf die zum Verkauf stehenden Eigentums­objekte unter anderem durch einen psychologischen Effekt. Die Warteschlangen vor den teuersten Boutiquen in der Bahnhof­strasse zeigen es deutlich: Menschen wollen sich in Krisen etwas gönnen. Dabei bekommt das Wohnen durch COVID-19 einen ganz besonderen Stellenwert. Wer in gewöhnlichen Zeiten Wert auf Flexibilität legt, sucht heute vermehrt das Eigenheim als Symbol von Sicherheit und Stabilität. Damit gerät Wohneigentum wo­möglich in den Fokus eines neuen Kundensegments: Kunden, die sich ein Eigenheim leisten können, bisher aber bewusst auf die eigenen vier Wände verzichtet haben. Der sogenannte Cocooning-Effekt – auswärts weniger und die freien Mittel stattdes­sen in Dinge zu investieren, die den Wohlfühlfaktor zu Hause steigern – dürfte weiterhin für steigende Eigenheimpreise sorgen.

Mietwohnungsmarkt unbeeindruckt von COVID-19

Bei Mietwohnungen zeichnet sich ebenfalls eine höhere Zahlungsbereitschaft ab. Die Angebotsmieten haben sich in den vergangenen Monaten leicht verteuert. Sie trotzen dem kontinuierlichen Anstieg der Mietwohnungsleerstände. Insbesondere in den Städten Genf und Zürich liessen sich trotz Corona deutlich höhere Mieten durchsetzen. Im Gegensatz zu anderen internationalen Städten kennt die Schweiz offenbar keine Stadtflucht. Aus New York ist beispielsweise zu lesen, dass immer mehr Bewohner die Stadt verlassen und Vermieter zu kräftigen Mietpreiszugeständnissen zwingen. Ausnahmsweise sind wir froh, dass Zürich, Genf und Basel doch nicht ganz mit anderen internationalen Grossstädten mithalten können.

Die Netto-Zuwanderung als wichtigster Nachfrageindikator für den Mietwohnungsmarkt blieb vom Coronavirus bislang schweizweit ebenfalls unbeeindruckt. Nicht, dass die Zuwande­rung nicht reagiert hätte. Vielmehr hat auch die Auswanderung rapide nachgelassen. Offenbar haben sich viele Personen ent­schieden, länger in der Schweiz wohnhaft zu bleiben. Eine hoffentlich erfolgreiche Bewältigung der zweiten Welle dürfte einem Kollaps der Netto-Zuwanderung auch in Zukunft entgegenwir­ken. Viele Branchen wie zum Beispiel das Gesundheitswesen sind nach wie vor auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen.

Auch seitens des Angebots erwarten wir keine Verwerfungen. Es wird weiterhin rege gebaut, wenn auch nicht mehr ganz so dyna­misch wie in den Vorjahren. Interessanterweise wird derzeit wie­der mehr dort geplant, wo auch die Nachfrage gross ist, nament­lich in den Städten. So wurden beispielsweise im dritten Quartal in der Stadt Zürich das Wohnbauprojekt Brunaupark mit knapp 500 Wohnungen und ein Projekt der Baugenossenschaft Waidmatt mit rund 280 gemeinnützigen Wohnungen bewilligt. In Genf wird die Arealentwicklung «Quai Vernets» mit rund 500 Wohnungen entstehen. Lenken Investoren ihr Kapital vermehrt in zentrale Lagen, dürfte sich die viel beachtete Leerstandsproblematik in der Peripherie etwas entspannen. Der Mietwohnungsmarkt wird trotz Corona nicht so rasch in Schieflage geraten.

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