Das Umzugsverhalten und der Eigenheimmarkt

Rentner und Betagte meiden Umzüge, was dem Eigenheimmarkt zusätzliches Angebot entzieht. Die junge Erwerbsbevölkerung passt hingegen die Wohnsituation der neuen Lebensform an. Die städtische Bevölkerung könnte in der Konsequenz älter werden.

Text: Robert Kuert, Analytics Immobilien

Es ist der 16. März 2020. Der Bundesrat ruft dazu auf, alle unnöti­gen Kontakte zu vermeiden. Insbesondere ältere Menschen sollen zu Hause bleiben. Für Alters- und Pflegeheime wird im Kanton Zürich sogar ein Besuchs- und Ausgangsverbot verhängt. Obwohl die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung massiv eingeschränkt wird, sind Umzüge weiterhin erlaubt. Risikogruppen halten sich dennoch stark zurück, während Jüngere sich in Sachen Umzug keineswegs verschnupft zeigen. Umzugsmeldungen der Post und der Zürcher Kantonalbank veranschaulichen neue Trends.

Der Kanton Zürich war vom Lockdown weniger betroffen als die Schweiz insgesamt

In der Schweiz sind im April und Mai die Umzüge deutlich einge­brochen, wohingegen sie im Kanton Zürich stabiler blieben. Der Rückgang in der Schweiz war stark getrieben durch die Entwicklungen in den Grenzkantonen, wo während der ersten COVID-19-Welle die Fallzahlen am schnellsten stiegen. Entsprechend gingen die einschränkenden Massnahmen dieser Kantone weiter. Baustellenschliessungen führten hier zu verzögerten Erst­bezügen von Neubauwohnungen. Nach den Lockerungsschritten im Juni und Juli stellte sich bei der Umzugstätigkeit allgemein eine Erholung ein. Der vergleichsweise kleine Nachholeffekt im Kanton Zürich entpuppt sich als grösser, wenn die verschiedenen Altersgruppen beleuchtet werden. So reagierten Jung und Alt sehr unterschiedlich auf die Krise. 

Anzahl Umzüge

Rentner und Betagte meiden den Umzug

Ein Blick auf das Umzugsverhalten nach Altersgruppen zeigt einen sehr unterschiedlichen Umgang mit der Krise. Die untenstehenden Grafik verdeutlicht den Rückgang der Umzüge bei den besonders gefährdeten Altersgruppen. Rentner zwischen 65 und 80 zogen im Vergleich zum langjährigen Mittel 10 bis 20 Prozent weniger um. Diese teilweise noch frisch Pensionierten fanden sich plötzlich als Risikogruppe in einer schwer vorhersehbaren Situation. Der Umzug an einen neuen Wohnort, seien die Vorzüge noch so gross, wurde von vielen hinterfragt. Die über 80-Jährigen hielten sich als Hochrisikogruppe verständlicherweise noch stärker zurück: Im Vergleich zum langjährigen Mittel sank hier die Zahl der Umzüge um 20 bis 30 Prozent.

Rentner und Betagte meiden den Umzug

Weniger Einzüge in Alters- und Pflegeheime

Mit zunehmendem Alter nimmt der Unterstützungsbedarf zu. Der Umzug in ein Alters- oder Pflegeheim bringt Betroffenen und Angehörigen häufig Erleichterung. Nicht so während der ausserordentlichen Lage. Insgesamt sank die Anzahl der Umzüge in solche Institutionen um 8 Prozent gegenüber dem langjährigen Mittelwert. Der Übertritt wurde offenbar von vielen als zu grosses Risiko angesehen. Schliesslich war immer wieder von grassierenden COVID-Fällen in solchen Einrichtungen zu lesen. Das Betreuungs­personal wurde plötzlich zur Gefahr. Hinzu kam das Besuchs­verbot für Familienangehörige, was Ältere in ihrer Selbstbestim­mung beschnitt. Wir nehmen an, dass im Kanton Zürich dadurch rund 60 Umzüge ins Altersheim auf unbestimmte Zeit aufgescho­ben wurden. Insgesamt sind schätzungsweise 280 Rentner und Betagte weniger umgezogen.

Mehr als 10 Prozent weniger Eigenheime auf dem Markt

Die ausbleibenden Umzüge von Rentnern und Betagten bleiben nicht ohne Konsequenz für den Immobilienmarkt: Kurzfristig kommen dadurch weniger Eigenheime auf den Markt. Denn gerade 65- bis 80-Jährige weisen die höchste Eigenheimquote auf. Nach dem Umzug wird das Eigenheim in der Regel innerhalb der Familie genutzt oder verkauft. Bei einer Eigenheimquote von über 40 Prozent in dieser Altersgruppe sind demnach zwischen April und Ende September hochgerechnet im Kanton über 120 Eigenheime weniger auf den Markt gekommen. Das entspricht 10 Prozent weniger Transaktionen gegenüber dem langjährigen Durchschnitt. Gerade im aktuell ausgetrockneten Eigenheimmarkt wirbelt diese Angebotsverknappung zusätzli­chen Staub auf. Sie ist mitverantwortlich für die beobachteten Preissteigerungen.

Jugendliche bleiben länger zu Hause, 20- bis 25-Jährige passen ihre Lebenssituation an

Vor der Familiengründung und der beruflichen Etablierung wird häufiger umgezogen als im Alter. Viele verlassen bereits mit dem Ausbildungsbeginn oder der Volljährigkeit das Elternhaus (siehe Grafik). Dieses Jahr kamen derartige Umzugsmotive kaum zum Zuge. 16- und 18-Jährige blieben häufiger zu Hause. Bei so manchen fiel der finanzielle Zustupf für selbstständiges Wohnen völlig unerwartet weg. Denn zuallererst wurden Temporärstellen oder Aushilfsjobs in der Gastronomie- und Eventbranche gestrichen, wie die Arbeitslosenstatistiken belegen. Viele Junge müssen sich mit dem Auszug gedulden.

Anders die über 20-Jährigen. Diese zählen allgemein zur mobilsten Gruppe und zeigten während der Krisenmonate sogar leicht höhere Umzugszahlen. Zwar hat sich die Lebenssituation auch für sie von einem auf den anderen Tag massiv geändert, aber ihnen fiel es offenbar leichter, sich zu adaptieren. Oftmals bereits im Berufsleben, lässt ihre Lebenssituation mehr Flexibilität zu. Fällt aufgrund der Verbannung ins Home-Office auch noch der Pendel­weg weg, eröffnen sich neue Möglichkeiten der Wohnortwahl.

Hinzu kommt, dass dieser junge Teil eine grössere Affinität zur Online-Wohnungssuche besitzt, was einen Wohnortwechsel auch während unsicherer Zeiten begünstigte.

Umzüge der Erwerbstätigen: Eine Frage des Haushaltstyps

Während die 20-Jährigen häufig noch allein oder in Wohngemeinschaften wohnen, gewinnen bei den 30- bis 50-Jährigen neben den Singles die Paare und Familien an Bedeutung. Letztere sind wohl dafür verantwortlich, dass diese Altersgruppe 10 Prozent weniger umzog. Bei den Familien ist der Rückgang der Umzüge überraschend. Die Konzentration aller Aktivitäten zu Hause, namentlich Arbeit, Kinderbetreuung oder Heimunterricht, lässt erwarten, dass die Platzansprüche kurzfristig steigen. Offenbar hatten aber viele mit der Mehrbelastung schon genug um die Ohren. Sie wollten sich nicht auch noch die Wohnungssuche und den Wohnungswechsel aufhalsen. Oder es waren schlicht keine passenden Objekte auf dem Markt.

Wie aber steht es um die Präferenzen der Wohnstandortwahl? Haben sich Haushalte durch die Pandemie bei ihrer Suche beeinflussen lassen? Unsere Auswertung zeigt, dass Erwerbstätige durchaus ihre Ansprüche anpassen.

Nach Corona: Wird die städtische Bevölkerung jünger?

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Je dichter und urbaner, desto höher das Ansteckungsrisiko, dürften sich gefährdetere Gruppen überlegt haben. Als Konse­quenz würde man erwarten, dass Umzüge an zentralere Lagen für die Risikogruppe der Rentner und Betagten weniger in Frage kommen. Doch dies ist nicht der Fall, wie die Umzugszah­len des 3. Quartals 2020 zeigen. Die Erwerbstätigen haben nach dem Umzug im Mittel eine längere Fahrzeit nach Zürich als zuvor, während bei den über 65-Jährigen keine Veränderung feststellbar ist (siehe Grafik). Es sind also nicht Rentner, die jetzt noch weniger zentral wohnen wollen nach einem Umzug, sondern allen voran die Erwerbstätigen. Dies ist ein Zeichen eines mögli­chen Umdenkens: Mehr Arbeitszeit zu Hause macht die schnelle Erreichbarkeit des Arbeitsortes weniger wichtig. Würde diese Entwicklung anhalten, müsste das durchschnittliche Alter in den Städten nicht sinken, sondern steigen. Denn es sind die jüngeren Erwerbstätigen, die von den günstigeren Objekten, mehr Fläche und naturnäheren Standorten profitieren wollen, während Ältere weiterhin das vielfältige Versorgungsangebot der Städte schätzen.

Veränderte Bedürfnisse könnten anhalten

Auf den ersten Blick zeigte sich das Umzugsverhalten im Kanton Zürich weniger betroffen als das der gesamten Schweiz. Wie die Auswertungen aber verdeutlichen, zogen Ältere und Betagte deutlich weniger um als die jüngeren Generationen. Noch unklar ist, ob gerade ältere Eigenheimbesitzer weiterhin den Umzug in eine kleinere Mietwohnung oder in ein Alters- oder Pflegeheim aufschieben. Dies hiesse nichts Gutes für Eigen­heim-Suchende, da diese Objekte längerfristig dem Markt entzo­gen und die Preise dadurch weiter nach oben getrieben würden. Im Sinne der Alterseinrichtungen ist immerhin zu konstatieren, dass ein erneutes Besuchs- und Ausgehverbot so weit als möglich verhindert wird. Die Behörden haben von der ersten Welle gelernt: Trennung und Isolation der Generationen gehen zu weit. Ein gewisser Vorbehalt bezüglich der Wohnqualität in Alters- und Pflegeeinrichtungen dürfte aber bestehen bleiben.

Ein weiteres Fragezeichen ist die zukünftige Bedeutung der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes. Angenommen, Erwerbstätige hätten in Zukunft aufgrund flächendeckend eingeführter Home-Office-Regelungen mehr Spielraum bei der Wahl ihres Arbeitsorts, dann könnte sich der bereits beobachtete Effekt der abnehmenden Bedeutung von Zentrums- bzw. Arbeitsplatznä­he bei der Wahl eines neuen Wohnorts fortsetzen. Gewinner wären dezentrale Ortschaften, allenfalls grössere Objekte und wahrscheinlich naturnahe und, etwas extremer gedacht, sogar touristische Lagen. Viele Wohnungssuchende haben inzwischen das Gedankenspiel eines anhaltenden Home-Office-Regimes gemacht. Ob dieses wirklich eintritt, bleibt offen.

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