Weniger ist mehr

Tiny Houses sind zumindest in Architekturzeitschriften der grosse Wohntrend. Diese Wohnform wird sich auch in Zukunft nicht breitflächig durchsetzen. Im richtigen Kontext stellen Kleinhäuser jedoch eine interessante Nische dar.

Text: Ursina Kubli und Andrea Horehájová, Analytics Immobilien

Tiny Houses haben ihren Ursprung in den USA und stehen für Kleinhäuser mit einer Wohnfläche zwischen meist 15 und 45m2. (Illustration: Johannes Joos, JoosWolfangel)

Erinnern Sie sich an die Werbebotschaft von Mercedes-Benz für den Smart – «reduce to the max»? Beim Durchblättern von Architekturzeitschriften stösst man derzeit auf ein ähnliches Phänomen am Immobilienmarkt. Auch dieser Trend hat eine englische Bezeichnung. Tiny Houses haben ihren Ursprung in den USA und stehen für Kleinhäuser mit einer Wohnfläche zwischen meist 15 und 45 m2. Die in den Hochglanzbroschüren sehr ästhetisch visualisierten Häuser überzeugen mit einer raffinierten Raumeinteilung und lassen damit mehr als nur ein Camperfeeling aufkommen. Sie setzen einen Gegenpol zum allgemeinen Konsumverhalten und treffen damit einen gewissen Zahn der Zeit. Wie auch beim Smart ist es ein Appell, sich auf das Wesentliche zu reduzieren.

Immobilien aktuell 1-22

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Uralter neuer Trend

Mit zunehmendem ökologischem Bewusstsein dürften mehr Haushalte auf ihren Wohnflächenbedarf achten. Zudem ist für viele Haushalte ein Tiny House schlicht der einzige Weg, sich die Freiheit des eigenen Hauses heutzutage noch leisten zu können. Damit stehen die Vorzeichen für einen Schweizer Trend von Kleinhäusern grundsätzlich gut. Schaut man sich den Wohngebäudepark der Schweiz nach Bauperiode an, lässt sich überraschenderweise feststellen, dass dieser Wohntrend alles andere als neu ist. Schweizer Kleinhäuser sind zwar nicht so klein wie diejenigen aus den USA, so liegen diese eher zwischen 50 und 80 m2 und wären daher besser als Micro-Houses zu bezeichnen. Aber schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie in den Kriegsjahren wurden hohe Anteile von Tiny (<50 m2) sowie noch mehr von Micro-Houses gebaut (s. Grafik). Beinahe jedes fünfte Schweizer Einfamilienhaus aus der damaligen Zeit hat eine Wohnfläche von unter 80 m2. In diesen wirtschaftlich fordernden Zeiten lebten die meisten Haushalte sehr bescheiden. Mit dem Wirtschaftsboom in den 1970er-Jahren musste der Gürtel nicht mehr so eng geschnallt werden. Entsprechend lebten die Menschen auf grösserem Fuss, und die Kleinhäuser verschwanden im Wohnbau nahezu vom Radar. Aktuell zeichnet sich wieder eine zaghafte Zunahme der Bautätigkeit bei diesen kleinen Häusern ab. Ob sie sich durchsetzen werden?

Kleinhäuser verschwanden mit dem Wirtschaftsboom

Anteil Tiny bzw. Micro-Einfamilienhäuser nach Bauperiode (in %)
 

Kleinhäuser verschwanden mit dem Wirtschaftsboom
Quellen: GWR, Zürcher Kantonalbank

 

Grundsätzlich gibt es diverse Stolpersteine, die dem Durchbruch dieses Trends Grenzen setzen. Erstens tun sich die Schweizer mit dem Einsparen von Material und Energie eher schwer. In der Autoindustrie werden Effizienzgewinne beim Verbrauch durch eine Zunahme der Autogrösse gemindert. Ähnlich verhält es sich mit der Wohnungsgrösse. Die mittlere Wohnfläche bei Einfamilienhäusern ist seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich angestiegen und entwickelte sich erst in den letzten fünf Jahren leicht rückläufig. Angesichts einer mittleren Wohnfläche von über 170 m2 kann aber noch lange nicht von einer ausgeprägten Reduktion auf das Wesentliche die Rede sein (s. Grafik). Der mit der Pandemie und dem Home-Office allgemein gestiegene Flächenbedarf dürfte der Schweizer Suffizienz, also dem sparsamen Umgang mit Ressourcen, auch zukünftig im Wege stehen.


 

Schweizer tun sich schwer mit der Suffizienz

Mittlere Wohnfläche von Einfamilienhäusern nach Bauperiode (in m2)
 

Schweizer tun sich schwer mit der Suffizienz
Quellen: GWR, Zürcher Kantonalbank

Zweitwohnsitze haben eine etwas andere Ausgangslage. Generell scheint der Bau kleiner Häuser bislang vor allem ein touristisches Phänomen zu sein. So stehen mit Abstand die meisten Häuser von unter 80 m2 Wohnfläche im Kanton Wallis, es folgen die Kantone Bern und Graubünden (s. Grafik). Bei einem Wochenend- oder Ferienhaus kann es reizvoll und in der Regel auch finanziell notwendig sein, etwas näher zusammenzurücken.

Kleinhäuser sind ein touristisches Phänomen

Verteilung der Tiny- & Micro-Einfamilienhäuser pro Kanton ab Baujahr 2000 (in %)
 

Kleinhäuser sind ein touristisches Phänomen
Quellen: GWR, Zürcher Kantonalbank

Ein zweiter Stolperstein ist, dass zumindest die Tiny Houses ihrem ökologischen Ruf nicht ganz gerecht werden. In fast jedem fünften Tiny House, das in den vergangenen zwanzig Jahren gebaut wurde, steckt eine Elektroheizung als Hauptheizung. Diese haben einen niedrigen Gesamtwirkungsgrad und schneiden daher hinsichtlich Ökobilanz deutlich schlechter ab als andere Heizungen. Eine bei normalen Neubauten häufig eingesetzte Wärmepumpe kommt bei Tiny Houses verständlicherweise selten zum Einsatz, steht den niedrigen Betriebskosten doch ein hoher Anschaffungspreis gegenüber, was sich bei sehr kleinen Objekten nur bedingt rechnet. Holz als Energieträger verbessert hingegen die Ökobilanz der Kleinhäuser. Insgesamt schneiden Tiny und Micro-Houses mit einem Anteil von 39 Prozent nichterneuerbarer Energieträger etwas schlechter ab als Wohnbauten normaler Grösse mit einem Anteil von knapp über 30 Prozent (s. Grafik). Dieses Ergebnis wird dadurch relativiert, dass Heizungen in als Ferienhäuser genutzten Kleinhäusern nicht permanent laufen.

Kleinhäuser werden ihrem ökologischen Ruf nicht gerecht

Anteil der Heizungsträger ab Baujahr 2000 (in %)
 

Kleinhäuser werden ihrem ökologischen Ruf nicht gerecht
Quellen: Zürcher Kantonalbank, BFS

Fazit

Bislang haben Tiny Houses den grossen Durchbruch in der Schweiz noch nicht geschafft. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Kleinhäuser zukünftig nicht als Nische etablieren können. Grundsätzlich zeigt sich eine wachsende Klientel, die diese unkonventionelle Wohnform nachfragt. Als Ferienhaus ist diese Wohnform bereits fester Bestandteil in touristischen Regionen. Zukünftig könnten sie auch für die Füllung von Baulücken interessant sein oder als Zwischennutzung. Womöglich blüht den Tiny Houses in der Schweiz eine vergleichbare Zukunft wie dem Smart. Sie werden den generellen Trend zu grösserem Wohnen nicht stoppen, werden dennoch von einigen wenigen heiss geliebt. Sie füllen in städtischem Gebiet so manche (Park-)Lücke und erregen in der Öffentlichkeit auch nach vielen Jahren eine hohe Aufmerksamkeit.
 

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