Ehepaare geniessen mehr Gestaltungs­spielraum dank revi­diertem Erbrecht

Am 1. Januar 2023 tritt das neue Erbrecht in Kraft. Das revidierte Erbrecht erlaubt Verheirateten, freier über ihren Nachlass zu verfügen. Corinne Peier Müller, Erbschaftsberaterin bei der Zürcher Kantonalbank, klärt über das neue Erbrecht auf und gibt Tipps für die persönliche Vorsorge.

Text: Ina Gammerdinger

Der Gestaltungsspielraum für Ehepaare wird zwar grösser, aber dieser muss auch aktiv genutzt werden. (Bild: Getty Images/ Westend61)

Mit der bevorstehenden Revision des Erbrechts ergeben sich die wohl grössten Änderungen seit seiner Einführung 1912. Doch um welche Änderungen geht es konkret? Dieser Beitrag gibt Auskunft über die Neuerungen, welche für Verheiratete gelten. Verstirbt ein Ehegatte, wird vor der Erbteilung zuerst die güterrechtliche Auseinandersetzung vorgenommen. In den Nachlass des erstversterbenden Ehegatten fallen unter dem Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung die Hälfte der gesamten Errungenschaft (alles, was von den Ehegatten während der Ehe gemeinsam erarbeitet wurde) und das gesamte Eigengut.

Möchten sich Ehepaare mit gemeinsamen Kindern begünstigen, können sie beispielsweise in einem Ehevertrag vereinbaren, dass die gesamte Errungenschaft dem überlebenden Ehepartner zusteht – die Kinder sind somit an der Errungenschaft nicht beteiligt. Lediglich das Eigengut des Verstorbenen fällt so in die Erbmasse und ist unter den Erben aufzuteilen. Zusätzlich wird bei der Verteilung des Nachlasses unterschieden, ob ein Testament verfasst wurde oder nicht.

Der Gestaltungs­spielraum für Ehepaare wird zwar grösser, aber dieser muss auch aktiv genutzt werden.

Corinne Peier Müller, Erbschaftsberaterin bei der Zürcher Kantonalbank

Ohne und mit Testament: Was gilt neu?

Ist kein Testament vorhanden, wird der Nachlass nach der gesetzlichen Erbfolge verteilt. Die Revision hat diesbezüglich keine Änderungen vorgenommen. Entsprechend wird Ihr Nachlass in diesem Fall wie folgt aufgeteilt – sofern Sie Nachkommen haben: Nach Ihrem Tod wird der Nachlass unter dem überlebenden Ehegatten sowie den Nachkommen hälftig aufgeteilt.

Besteht hingegen ein Testament, gibt es folgende Änderungen: Neu werden die Pflichtteile der Kinder von drei Achtel auf einen Viertel reduziert. Damit steigt der Anteil, welcher frei verteilt und zum Beispiel dem Ehegatten zusätzlich zugewendet werden kann – statt drei Achtel ist es ab dem 1. Januar 2023 die Hälfte des Nachlasses.

Zusätzlich können sich Eheleute mit gemeinsamen Kindern nach revidiertem Recht dank einer erweiterten Nutzniessungsmöglichkeit weiter begünstigen. Konkret heisst das: Dem überlebenden Ehegatten kann als Wahlrecht die Nutzniessung zugesprochen werden. Dies bedeutet, dass der überlebende Ehepartner die Nutzniessung an der gesamten Erbschaft hat; auch an dem Teil, welcher den Nachkommen zusteht. Somit kann dem überlebenden Ehegatten anstatt nur einem Viertel neu die Hälfte des Nachlasses zu vollem Eigentum und die andere Hälfte zur Nutzniessung zugewendet werden. Für den Fall, dass der überlebende Ehegatte den Pflichtteil an die gemeinsamen Kinder nicht ausbezahlen will oder kann, weil zum Beispiel ein Grossteil des Vermögens in einer Liegenschaft steckt, kann er sich für diese Variante entscheiden.

Sind dagegen Kinder aus verschiedenen Beziehungen vorhanden, funktioniert die soeben beschriebene Lösung gegenüber den nicht gemeinsamen Kindern nicht. Denn ihre Pflichtteile dürfen durch solche Regelungen nicht beeinträchtigt werden. Vielfach ist in diesen Situationen ein gemeinsamer Erbvertrag die beste Lösung.

Wahlrecht des überlebenden Ehegatten

Grafik: Zürcher Kantonalbank

Reduktion des Pflichtteils der Nachkommen

Grafik: Zürcher Kantonalbank

Scheidungsverfahren: Wer erbt was ?

Wenn Sie sich in einem Scheidungsverfahren befinden und Ihrer Ehepartnerin oder Ihrem Ehepartner nichts vererben möchten, können Sie dies neu entsprechend regeln. Das revidierte Recht sieht nämlich vor, dass die Eheleute ihren gegenseitigen Pflichtteilsanspruch bereits bei der Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen verlieren. Dies ermöglicht es jedem Ehepartner, den anderen Ehepartner mit einem Testament vom Erbe auszuschliessen. Für die Berechnung der Pflichtteile der übrigen Pflichtteilserben wird der verstorbene Ehegatte behandelt, wie wenn er nicht verheiratet wäre. Ohne Regelung behält der überlebende Ehegatte den gesetzlichen Erbanspruch.

Tipp: Überprüfen Sie generell während eines Scheidungsverfahrens, welche Vereinbarungen und Verfügungen (Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung etc.) Sie erstellt haben. Viele dieser Regelungen werden nach Abschluss des Scheidungsverfahrens nicht automatisch angepasst und sind nach wie vor gültig.

Bestehende Testamente und Erbverträge überprüfen

Der Gestaltungsspielraum für Ehepaare wird zwar grösser, aber dieser muss auch aktiv genutzt werden. Wird keine Regelung getroffen, kommen die gesetzlichen Bestimmungen zum Zuge und diese können allenfalls mit Nachteilen für den hinterbliebenen Ehegatten verbunden sein.

Denn bestehende Testamente und Erbverträge bleiben unter dem neuen Erbrecht unverändert gültig. Es ist deshalb ratsam, die darin getroffenen Verfügungen im Hinblick auf das Inkrafttreten des neuen Rechts zu überprüfen und allenfalls anzupassen. Insbesondere wenn Nachkommen oder Eltern auf den Pflichtteil gesetzt wurden, empfiehlt es sich, zur Vermeidung von Auslegungsfragen in einem Testamentsnachtrag klarzustellen, ob der Pflichtteil nach bisherigem Recht oder nach dem neuen Recht berechnet werden soll.

Für eine individuelle Überprüfung Ihres Testaments können Sie unsere Dienstleistung «Testament-Check» in Anspruch nehmen. Unsere Erbrechtsspezialisten überprüfen hierbei, ob das Testament formgültig ist und die getroffenen Anordnungen auch mit Blick auf das neue Erbrecht klar und verständlich abgefasst sind und Ihrem letzten Willen entsprechen. Falls Sie die Gesetzesrevision zum Anlass nehmen möchten, Ihr Testament generell zu überarbeiten, sind wir Ihnen im Rahmen unserer Dienstleistung «Güter- und erbrechtliche Beratung» gern behilflich.

Noch ein Tipp: Überprüfen Sie in einer Erbrechtsberatung Ihre persönliche Situation und treffen Sie frühzeitig Vorkehrungen.

Klarstellung zur Verbesserung der Rechtssicherheit

Heute ist strittig, ob für Sparen 3a-Guthaben eine eigenständige Begünstigungsregelung gilt oder ob sie Teil des Nachlasses darstellen. Neu hält das Gesetz fest, dass Säule-3a-Bankguthaben nicht Teil der Erbmasse bilden, sondern direkt an die vorsorgerechtlichen Begünstigten ausbezahlt werden. Für die Berechnung der Pflichtteile werden solche Guthaben jedoch zum Nachlass hinzugerechnet.

Das geltende Recht sieht vor, dass nach Abschluss eines Erbvertrages die Parteien zu Lebzeiten grundsätzlich frei über ihr Vermögen verfügen können. Das heisst, Schenkungen, die nach Abschluss eines Erbvertrages an Dritte gemacht werden, sind grundsätzlich zulässig.

Erbrecht 2023 auf einen Blick

  1. 1 Aufhebung des Pflichtteils der Eltern.
  2. 2 Reduktion des Pflichtteils der Nachkommen.
  3. 3 Erhöhung der verfügbaren Quote bei Nutzniessung zugunsten des überlebenden Ehegatten.
  4. 4 Klarstellungen zur Verbesserung der Rechtssicherheit.
  5. 5 Verlust des Pflichtteilsanspruchs während des Scheidungsverfahrens bei entsprechender testamentarischer Verfügung.