Unverteilt und doch versteuert

Erbengemeinschaften bestehen in komplexeren Verhältnissen oft mehrere Jahre, bis ein Nachlass vollständig abgewickelt ist. Doch müssen Erben ihren Anteil der Erbschaft bereits ab dem Zeitpunkt des Todes versteuern – und nicht erst, wenn die Erbteilung erfolgt ist.

Text: Pascal Trüb | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 1/2022

Sobald ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf einem Erbe oder einem Teil davon besteht, zum Beispiel an einem Ferienhaus, müssen Vermögen und Erträge in der persönlichen Steuererklärung angegeben werden. (Bild: Simon Schoepf via Unsplash und Yellow Dog Productions via Getty Images)
Sobald ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf einem Erbe oder einem Teil davon besteht, zum Beispiel an einem Ferienhaus, müssen Vermögen und Erträge in der persönlichen Steuererklärung angegeben werden. (Bild: Simon Schoepf via Unsplash und Yellow Dog Productions via Getty Images)

Andreas Rüegg streckt sich an seinem Pult im heimischen Büro und atmet lange aus. Er ist zufrieden. Heute Abend hat er seine Steuererklärung ausgefüllt. Er wähnt, den grössten Teil erledigt zu haben.

Er lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück und lässt das vergangene Jahr Revue passieren. Ihm schiesst die Frage durch den Kopf: «Habe ich wirklich alles richtig deklariert?» Da ist der Autokauf gewesen, die Sanierung des Badezimmers – und der Todesfall seiner Mutter Maria. Nach einem langen, erfüllten Leben ist sie am 15. Oktober friedlich eingeschlafen. Andreas Rüegg wird stutzig. Hat er doch nicht alles beachtet? Besser ist es, er informiert sich in einem Beratungsgespräch bei Judith Wolf, Steuerberaterin der Zürcher Kantonalbank. Gesagt, getan.

Anspruch ist steuerpflichtig

Auf den Punkt gebracht: Personen, welche durch das Gericht als Erben festgestellt wurden, bilden zusammen eine Erbengemeinschaft. Nach dem Tod gehen sämtliche Rechte und Pflichten des Erblassers unverzüglich auf die Erben über.

Judith Wolf, Steuerberaterin bei der Zürcher Kantonalbank. (Bild: Flavio Pinton)
Judith Wolf, Steuerberaterin bei der Zürcher Kantonalbank. (Bild: Flavio Pinton)

«Ab diesem Zeitpunkt haben die Erben einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf einen Teil des Vermögens und der daraus fliessenden Erträge», erklärt Judith Wolf. «Sie müssen das Vermögen sowie die Erträge gemäss ihrer Erbquote in ihrer persönlichen Steuererklärung angeben.» Aus steuerlicher Sicht nicht relevant ist, dass noch keine Erbteilung erfolgt ist. Entscheidend dagegen ist: die korrekte Deklaration. «Selbst wenn sie unabsichtlich unterbleibt, führt dies in der Regel zu einem Nach­steuer­verfahren», so Judith Wolf.

Überblick gewinnen

Die Erbengemeinschaft von Maria Rüegg besteht aus Andreas und seinen Schwestern Laura und Julia. Sie erben zu gleichen Teilen.

Im Nachlass befinden sich zwei Liegenschaften. Neben einem Ferienhaus in Graubünden war Maria Rüegg Eigentümerin eines Zweifamilienhauses in Uster. Die eine Hälfte hat sie selbst bewohnt, die andere Hälfte vermietet. In einem Tresorfach liegen diverse Goldvreneli und ein Kilogramm Platin. Hinzu kommen ein Wertschriftendepot und mehrere Konti bei der Zürcher Kantonalbank.

3 Tipps

Dem letzten Willen Ausdruck verleihen

Nutzen Sie den gesetzlichen Spielraum und regeln Sie Ihr Erbe nach Ihren Wünschen. Mit einer letztwilligen Verfügung oder einem Erbvertrag minimieren Sie Unsicherheiten und Konflikte nach Ihrem Ableben. Darin können Sie auch einen Willensvollstrecker bestimmen und damit Ihre Hinterbliebenen unterstützen.

Willensvollstrecker entlasten die Erben

Sie können zu Lebzeiten einen Willensvollstrecker einsetzen, der sich nach Ihrem Ableben um die Abwicklung Ihres Nachlasses kümmert. Im Zentrum steht dabei die korrekte Umsetzung sämtlicher notwendiger Schritte im Nachlass und damit verbunden die Unterstützung und Entlastung der Erben bei der Teilung des Nachlasses. Der Willensvollstrecker kann unter anderem auch behilflich sein bei einer Aufstellung des noch nicht verteilten Vermögens.

Eine Erbengemeinschaft aufheben

Vereinfachen Sie Ihre und die Situation der übrigen Erben, indem Sie eine bestehende Erbengemeinschaft aufheben. Insbesondere wenn einzelne Erben versterben und ihrerseits mehrere Erben hinterlassen, kann die Handhabung sehr komplex und schwerfällig werden. Durch die Aufhebung der Erbengemeinschaft wird der Überblick für alle beteiligten Erben besser und die Handhabung einzelner Vermögenswerte einfacher.

Die Geschwister haben Mühe, sich einen Überblick zu verschaffen, die Erbschaft zu verwalten und für eine Erbteilung vorzubereiten. Erschwerend kommt hinzu, dass Julia im Ausland lebt. «Als Erbengemeinschaft kann man ohne Vollmachten nur gemeinsam und einstimmig über die Vermögenswerte der Erbschaft verfügen», erklärt Judith Wolf weiter. «Üblicherweise ist dies mit viel Korrespondenz über den Postweg verbunden.»

Die Geschwister haben sich geeinigt, sich aus dem Nachlass eine Akontozahlung von je 100'000 Franken zu überweisen. Darüber hinaus gestaltet sich die Regelung des Nachlasses schleppend. Wie hoch ist nun der zu versteuernde Wert von Andreas' Anteil an der Erbschaft?

Vermögenswerte bestimmen

Er überlegt, ob er sich hierfür auf die letzte Steuererklärung seiner Mutter abstützen kann. Denn per Todestag muss eine solche sowie ein Inventar erstellt werden, woraus sich die Höhe der Erbschaft ergibt.

«Das genügt leider nicht», sagt Judith Wolf. «Für die korrekte Deklaration der unverteilten Erbschaft benötigen Andreas und seine Schwestern eine Aufstellung des noch nicht verteilten Vermögens per 31. Dezember und der Erträge, die vom Todestag bis zum Jahresende erzielt wurden», fügt sie hinzu. Wie üblich können auch Abzüge geltend gemacht werden, beispielsweise für Schuldzinsen, Vermögens­verwaltungs- oder Liegenschafts­unterhalts­kosten (siehe Beispiel einer Aufstellung).

Aufstellung Vermögenswerte Maria Rüegg

Die Vermögenswerte per 31.12.2021 und die Erträge ab dem Folgetag des Todestages bis Ende Jahr stellen die unverteilte Erbschaft dar, die nach Erbquote in der persönlichen Steuererklärung deklariert werden muss.

  Steuerwert Vermögen   Erträge
Werte per Todestag per 31.12.2021 16.10.–31.12.2021
Zweifamilienhaus 1’100’000 1’100’000 4’600
Ferienhaus Graubünden 430’000 430’000 2’900
./. Unterhaltspauschale     -1’500
20er Goldvreneli (Musterwert) 10’000 8’000 0
1kg Platin (Musterwert) 34’000 32’000 0
diverse Konti 400’000 50’000 0
Wertschriftendepot 650’000 680’000

3’4001

1’7002

Total Vermögenswerte 2’624’000 2’300’000 11’100
./. Hypothek/Schuldzinsen -200’000 -200’000 -500
./. Vermögensverwaltungskosten     -400
Total Nachlass 2’424’000 2’100’000 10’200
Anteil je Erbe 1/3   700’000 3’400

1 Erträge mit Verrechnungssteuerabzug von 35 %
2 Erträge ohne Verrechnungssteuerabzug

Erläuterungen

Vermögen

  • Die Steuerwerte entsprechen nicht den Marktwerten
  • Gold und Platin: negative Kursentwicklung
  • Div. Konti: Abnahme infolge Auszahlung je Erbe 100'000 Franken und Bezahlung laufender Kosten wie zum Beispiel Bestattungskosten. Diese können nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden, sondern reduzieren lediglich das Vermögen
  • Wertschriftendepot: positive Kursentwicklung

Erträge

  • Zweifamilienhaus: Nettomieteinnahmen betragen 2'300 Franken. Da die Oktobermiete vor dem Todestag fällig war, ist sie bereits vollständig in der Steuererklärung per Todestag der Mutter berücksichtigt worden. Somit müssen die Erben lediglich die Miete für zwei Monate berücksichtigen. Die von der Mutter bewohnte Hälfte stand leer, weshalb kein Eigenmietwert berücksichtigt wurde.
  • Ferienhaus: Eigenmietwert für 2,5 Monate
  • Unterhaltskosten: Können effektiv oder pauschal geltend gemacht werden
  • Wertschriftendepot: Die Verrechnungssteuer von 1'190 Franken können die Erben anteilsmässig durch die Deklaration der unverteilten Erbschaft zurückfordern (gilt nicht für Julia).

«Bei dieser Arbeit führt nichts an einer sauberen Aufstellung vorbei», stellt die Steuerspezialistin klar. «Unter Umständen kann dies sehr zeitaufwendig werden.»

Knifflige Details

Als Andreas die Belege des Wertschriftendepots zusammensucht, fällt ihm etwas ein – seines Wissens müssen Kinder keine Erbschaftssteuer bezahlen. «Hier liegt Andreas grundsätzlich richtig. Entscheidend ist, in welchem Kanton die verstorbene Person ihren Wohnsitz hatte resp. in welchem Kanton sich die Liegenschaften befinden. In den Kantonen Zürich und Graubünden sind direkte Nachkommen von der Erbschaftssteuer befreit», sagt Judith Wolf. «Dies betrifft aber ‹nur› den Zufluss des Vermögens auf die Kinder. Wie bereits ausgeführt, müssen das Vermögen und die Erträge aus der unverteilten Erbschaft in der persönlichen Steuererklärung der Kinder deklariert werden. Die im Ausland wohnhafte Schwester sollte hingegen ihre Steuerpflichten im Ausland sorgfältig abklären.»

Steuerberaterin Wolf weist ihn auf ein weiteres wichtiges Detail hin: Liegenschaften sind für Einkommens- und Vermögenssteuerzwecke dort zu versteuern, wo sie sich befinden. Andreas wohnt in Affoltern am Albis. Da ihm durch die Erbschaft ein Drittel des Ferienhauses zusteht, wird er neu auch beschränkt steuerpflichtig im Kanton Graubünden. Seine Schwester Julia, die im Ausland lebt, wird sowohl im Kanton Zürich wie auch im Kanton Graubünden steuerpflichtig. «Die Deklarationspflicht im Kanton Graubünden kann Andreas unkompliziert erfüllen, indem er eine Kopie seiner Zürcher Steuererklärung mit den das Ferienhaus betreffenden Belegen einreicht», erklärt Judith Wolf.

Vereinfacht wurde die Rückforderung der Verrechnungssteuer aus unverteilten Erbschaften. Was bisher mit einem gemeinsamen Formular durch die Erbengemeinschaft beantragt werden musste, ist seit dem 1. Januar 2022 in der persönlichen Steuererklärung jedes Erben möglich – natürlich nur für den persönlichen Anteil. Die Rückforderung der Verrechnungssteuer für Julia bleibt dagegen weiterhin umständlich.

Andreas Rüegg ist nun vieles klarer – auch dass ihm noch eine ganze Menge Arbeit bevorsteht; einerseits für den Abschluss der Steuererklärung, andererseits die Teilung des Nachlasses. Viel lieber würde er in den nächsten Tagen anderen Beschäftigungen nachgehen. Der Gedanke, diese doch nicht ganz einfache Steuererklärung einer Spezialistin zu übergeben, liegt nahe.