Von Rosenstöcken, Brunftzeit und Schmalrehen

Er weiss, wo sich Fuchs und Hase in der Gemeinde Maur gute Nacht sagen: Roland Krienbühl. Im Arbeitsalltag stellt er im Analyse-Team des Marktgebiets Oberland der Geschäftseinheit Firmenkunden seinen Mann. Doch nach Feierabend wechselt er vom Anzug in die Jagdkluft und sorgt für einen gesunden Bestand an Wildtieren in der Region.

Text: Othmar Köchle / Bilder: Simon Baumann

Kennt seine Jagdgründe wie seine Westentasche: Roland Krienbühl unterwegs mit seinem Jagdhund Yago im Revier der Jagdgesellschaft Maur.

Der Händedruck ist zupackend, der Teint spricht von Stunden an der frischen Luft und sein Gang über den Waldboden ist federnd und ausbalanciert. Man würde keinen Banker vermuten: Roland Krienbühl empfängt uns auf einer Anhöhe in Maur über dem Greifensee in seinem Jagdrevier. Er trägt wetterfestes mattgrünes Outfit, einen Filzhut. Ein grosses Emblem auf dem Ämel trägt den Schriftzug «Jagdaufsicht Kanton Zürich», an der Leine führt er seinen treuen Begleiter und ausgebildeten Jagdhund Yago. Im Gespräch wird schnell klar, dass er lange Jahre Jagderfahrung hat und wenn er beiläufig von Schmalrehen, Brunftzeit und Rosenstöcken* spricht, zeigt das, wie ihm die weidmännische Sprache in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Zu einem gesunden Verhältnis zwischen Wildtieren und menschlichem Lebensraum beitragen

Die Arbeit im Revier, zu der sehr viel mehr gehört, als nur die eigentliche Jagdausübung, ist seine Leidenschaft – mehr als ein Hobby; eher eine Lebenseinstellung, die ihn zu einem «runden» Menschen macht, eingebettet in die Natur seiner Umgebung. Mit sechs Kollegen bildet er die Jagdgesellschaft Maur und betreut als Obmann und Jagdaufseher das Jagdrevier, das sich vom Ufer des Greifensees bis hoch hinauf nach Ebmatingen, Binz und in Richtung Pfannenstil auf einer Fläche von rund 1'142 Hektaren erstreckt. Zu den Aufgaben gehört der Schutz bedrohter Tierarten, der Erhalt der Artenvielfalt und der Lebensräume von Wildtieren. Aber auch die Begrenzung des Schadens an den Kulturräumen durch ebendiese Wildtiere. Das ist im Jagdgesetz geregelt. Das Revier wird von der Gemeinde Maur für acht Jahre fest gepachtet. Das Fleisch der erlegten Wildtiere, auch Wildbret genannt, darf im Gegenzug von den Jägern verwertet und vermarktet werden.

Jenseits der Nadelstreifen

Im Kreis der Mitarbeitenden sind viele aussergewöhnliche Menschen mit besonderen Talenten. Mit dieser Serie, wollen wir sie sichtbar machen.

Viel mehr als nur die Jagd

Rund um die Uhr und das ganze Jahr über sind Pächter und Jagdaufseher im Pikett-Dienst für Wild-Unfälle aufbietbar. «Es kann gut vorkommen, dass wir im Winter am späten Abend oder morgens um 2 Uhr von der Kantonspolizei aufgeboten werden, weil ein Reh angefahren wurde», schildert Roland seinen Dienst. «Ich rücke dann aus und kümmere mich in erster Linie um das verletzte Wild. Weiter stelle ich dem Unfallverursacher ein Unfallprotokoll aus. Nach einer Unfallkollision sind die Schäden am toten Tier derart stark, dass es in die Kadaververnichtung gebracht werden muss und das wertvolle Wildbret nicht mehr verwertet werden kann. Alles andere als ein Vergnügen für einen Jäger, aber es gehört zu unseren gesetzlichen Aufgaben.»

Auch die Begrenzung von Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen oder Nutztieren durch Wildtiere fordert die Jäger. Das geht soweit, dass die Revierpächter für Wildschäden durch Wildtiere an landwirtschaftlichen Kulturen, an Wald oder Nutztieren finanziell haftbar sind. Im Mai beginnt die jährliche Rehkitz-Rettung (Schutz vor dem Vermähen) durch Verblenden oder Feldabsuche mit Wärmebild-Drohnen. Auch die Information und Kontrolle von Hundehaltern über die neu geltende Leinenpflicht im Wald fällt den Jagdgesellschaften zu, nebst wichtigen Monitoring-Aufgaben, wie das Beproben von Todfunden betreffend Afrikanische Schweinepest oder Vogelgrippe und deren Zustellung an das Kantonale Veterinäramt.

«Schon als Bub hat es mich in die Natur gezogen.» Roland Krienbühl vor der Waldhütte der Jagdgesellschaft Maur.

Das ursprüngliche Verhältnis zur Natur

Roland Krienbühl hatte schon als Kind eine starke Verbindung zur Natur, die er im Rahmen der Pfadi auslebte. Immer wieder zieht es ihn ins Freie. In der Natur sein heisst für ihn ein «Zu-sich-kommen». «Die Absurditäten, die uns in der heutigen Gesellschaft teilweise beschäftigen, spielen absolut keine Rolle, wenn du dich allein durch die Natur bewegst. Ich fühle mich hier geerdet», sagt der 53-jährige, der auch in Maur wohnhaft ist. «Die Jagd ermöglicht mir, längst vergessene und verlernte Sinne zu schärfen, zu spüren, dass die Jagd etwas ganz tief im ursprünglichen Mensch-Sein Verwurzeltes ist.»

Das sei schwer zu vermitteln, gerade Menschen, die der Jagd ablehnend gegenüberstünden, erzählt Roland, der durchaus Verständnis hat für Jagdskeptiker, auch weil er weiss, dass häufig wenig Wissen über die Jagd vorhanden ist. Die Jagd ist für ihn keine blutrünstige Tätigkeit, sondern eine tiefe respekt- und verantwortungsvolle Verbundenheit mit der Schöpfung und dem Tier, das einem gegenübersteht. «Dieser Respekt beginnt mit dem Ansprechen des Tiers, setzt sich nach dem Schuss fort, wenn ich dem erlegten Reh den «letzten Bissen» in den Äser, also ins Maul, lege und eine kurze Andacht halte, ein alter Brauch und eine Respektbezeugung gegenüber dem erlegten Tier.» Danach geht es schnellstmöglich ins eigene Schlachthaus, wo das Wild aufgebrochen (ausgenommen) und für ein paar Tage gekühlt und abgehangen wird. Dabei spielen sorgfältiges Arbeiten und einwandfreie Hygiene eine wichtige Rolle.

Teilweise werden die erlegten Tiere später zerlegt, portioniert und eingeforen, oder aber dem lokalen Metzger übergeben und dann an privaten Interessenten ausgeliefert. Die genaue Anzahl wird über die Abgangsplanung des Kantons jedes Jahr neu festgelegt.

Es gibt kein Fleisch, das mehr «aus der Region», «nose to tail» und bio ist

Auch bei der Zubereitung und beim Genuss des Fleisches habe er ein ganz anderes Gefühl, als beim Fleischkonsum, den die moderne Gesellschaft sonst pflegt. Ich weiss genau, was auf dem Teller ist. Besseres Fleisch von Tieren, die bis zum letzten Moment ein freies Leben gelebt haben, könne man nicht finden. «Mit der Jagd helfen wir, für einen nachhaltig gesunden, dem Lebensraum angepassten Wildtierbestand in der Region zu sorgen», macht er geltend.

* Weidmannssprache

Die speziellen fach- oder sondersprachlichen Audrücke und Redewendungen, die von Jägern benutzt werden sind auch ein Teil des reichen Brauchtums rund um die Jagd. Einige Ausdrücke sind auch in die Umgangssprache eingegangen, wie «zur Strecke bringen», «durch die Lappen gehen» «Lunte riechen», «ins Gehege kommen», «in die Binsen gehen». Zu unterscheiden gilt es vom Jägerlatein. Das sind die mehr oder weniger wahren Geschichten und Erzählungen von Jägern, die bei der Grösse des erlegten Wilds zu Übertreibungen neigen.

Hier einige Begriffserklärungen:

  • Schmalreh: einjähriges weibliches Reh, das noch nicht gesetzt (geworfen) hat
  • Rosenstöcke: knöcherne Stirnzapfen, auf dem die Geweihstange sitzt
  • Brunftzeit: Paarungzeit beim Rehwild
  • Bruch: meist ein Nadelholzzweig, dem in der Jagd verschiedene Bedeutungen oder Signale beigemessen werden
  • Äser: Begriff für das Maul des Haarwildes
  • Ansprechen: die präzise Beobachtung, Identifizierung und Beurteilung von Wild vor der Schussabgabe durch den Jäger
  • Aufbrechen: das sorgfältige Herausnehmen der Innereien von Wild. Hierzu werden das Geräusch (Herz, Lunge, Leber, Milz und Nieren) und das Gescheide (Organe der Bauchhöhle) ausgenommen

Mehr Weidmannsausdrücke finden Sie hier.