«Jeder Franken bewegt etwas»

Der Finanzplatz Zürich gilt als internationaler Wegbereiter einer nachhaltigen Finanzrevolution. Doch er muss mehr tun, wenn er weiterhin vom Nachhaltigkeitsboom profitieren will.

Text: Stephan Lehmann-Maldonado / Grafiken: Raffinerie | aus dem Magazin «ZH» 2/2021

8. Juli 2019: Klimaaktivisten versperren mit Pflanzkübeln und Velos den Weg zu einer Schweizer Grossbank am Paradeplatz. Die aufsehen­­­er­regende Aktion soll anprangern, dass Banken durch Investitionen in fossile Brennstoffe zur Klima­krise beitragen. Doch was ist an dem Vorwurf dran? «Jeder Franken bewegt etwas in der Realwirtschaft und wirkt sich auf Umwelt und Gesellschaft aus», sagt Romina Schwarz, Leiterin Fachstelle Leistungsauftrag der Zürcher Kantonal­bank: Seit die Vereinten Nationen die Treibhausgasneutralität bis 2050 forderten und sich die Schweiz zu dieser Zielsetzung verpflichte, finde ein Wettbewerb statt, wer seine CO2-Emissionen schneller reduziere. «Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir alle an einem Strick ziehen: Politik, Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten, Pensionskassen, Privatanleger – und die Banken», betont Schwarz. Indem sie Kapitalflüsse lenken, können Banken als Katalysatoren eines nachhaltigen Wandels auftreten.


1’520 Mrd. Franken sind hierzulande nach nachhaltigen Kriterien angelegt, dies gemäss der «Schweizer Marktstudie Nachhaltige Anlagen 2021» des Forums Swiss Sustainable Finance und des Center for Sustainable Finance and Private ­Wealth (CSP) der Universität Zürich. Das ist mehr als zehnmal so viel wie 2015 – und überschreitet das jährliche Bruttoinlandprodukt (BIP). Nachhaltig verwaltete Vermögen machen schweizweit die Hälfte der investierten Gelder aus. Im weltweiten Schnitt sind es laut «Bankenbarometer 2020» der Schweizerischen Bankiervereinigung 15 Prozent.

Nachhaltige Anlagen, Grafik 1 (Entwicklung)
Quelle Zahlen: Swiss Sustainable Investment Market Study 2021

Chance für den Finanzplatz Schweiz

Die Tendenz zeigt seit 2015 steil nach oben. Damals formulierten die Vereinten Nationen die 17 Nachhaltigkeitsziele und verabschiedeten die Agenda 2030. Hinzu kam das Klimaabkommen von Paris, das sich erstmals auch an die Finanzbranche richtete. «Das hat viel ins Rollen gebracht. Viele institutionelle Anleger wie Pensionskassen sind auf nachhaltige Anlagen umgestiegen», sagt Schwarz. Der Paradigmenwechsel fällt vielen leicht, weil er keine Renditepunkte kostet. Das belegt eine Mehrheit von über 2’200 wissenschaftlichen Studien. Die Hälfte davon weist sogar ein Renditeplus bei ethisch-­ökologischen Anlagen nach.

Der Bundesrat hat im Juni 2020 Leitplanken vorgegeben, wonach der Schweizer Finanzplatz seine Position «als führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen weiter stärken» solle. Denn Nachhaltigkeit fristet kein Mauerblümchendasein mehr, sondern stellt einen Megatrend dar. «Seit dem Wegfall des Bankgeheim­nisses fehlt uns ein Alleinstellungsmerkmal», sagt Falko Paetzold, Gründer des CSP der Universität Zürich und Professor der EBS Universität. Im Global Financial Centres Index (GFCI 26) ist ­Zürich aus den Top Ten gefallen. «Sich als Kompetenzzentrum für nachhaltiges Anlegen zu profilieren, kann Perspektiven für ein Comeback erschliessen. Weltweit suchen Superreiche nach Wegen, mit ihrem Vermögen ökologisch etwas zu bewegen», so Paetzold.

Akteure bringen sich in Stellung

Die Strategie hat nur einen Haken. Sie ist so überzeugend, dass auch die Konkurrenz darauf setzt. «Singapur nimmt Milliardensummen in die Hand, um sich in dem Bereich zu etablieren», weiss Paetzold. Ein paar Trümpfe könne die Schweiz aber ausspielen. Immerhin hat Paetzold seine Forschung von der Harvard University nach Zürich verlagert: «Als Standort für Sustainable Finance ist die Schweiz glaubwürdig. Als einziges Land hat sie Nachhaltigkeit in der Verfassung verankert.»
Und ähnlich wie die Schweiz vor 150 Jahren pionierhaft Schutzmassnahmen für den Wald einführte, suchten weitsichtige Köpfe auf dem Wirtschafts- und Finanzplatz Schweiz auch früh nach Lösungen, um Geld, Gesellschaft und Umwelt in Balance zu bringen.

30 Jahre vor Greta Thunberg trommelte der Unternehmer Stephan Schmid­heiny nicht Jugendliche, sondern Industrielle zusammen. Gemeinsam bildeten sie den Unternehmerrat für nachhaltige Entwicklung und legten das Buch «Kurswechsel» vor. 1992 half Schmidheiny, den UN-Klimagipfel in Rio de Janeiro auf die Beine zu stellen. ­Nebenbei drückte er sein Œuvre dem US-­Präsidenten George H. W. Bush in die Hand. Ökologie und Ökonomie seien keine Gegensätze, postulierte er. Zugleich führte er ein Zauberwort ein: Ökoeffizienz.

Nachhaltige Anlagen, Grafik 2 (Anleger)
Quelle Zahlen: Swiss Sustainable Investment Market Study 2021

Schweizer Pionierarbeit

Die Argumente stiessen zum Beispiel beim Schweizer Anlagespezialisten Reto Ringger auf offene Ohren. Er gründete 1995 eine erste Firma, die sich dem Management nachhaltiger Anlagen verschrieb. Zwei Jahre später gelang ihm ein Coup. Er erstellte für das US-Börsenbarometer Dow Jones einen Nachhaltigkeitsindex, an dem sich Anlegerinnen und Anleger bis heute orientieren: den Dow ­Jones Sustaina­bility Index.


Die hiesigen Banken riefen schon im Jahr 1993 eine Arbeitsgruppe «Banken und Umwelt» ins Leben. Führende Finanzdienstleister – darunter die ­Zürcher Kantonalbank – lancierten in der Folge erste Anlagefonds fürs breite Publikum nach dem Ökoeffizienz-Prinzip. «In der Regel ­verbannten die Pioniere schwarze Schafe wie ­beispielsweise die Waffen-, Atom- und Tabakindustrie aus dem Fondsportfolio und selektierten dafür die ökologischen Klassenbesten einer Branche», erklärt Dr. René Nicolodi den Best-in-Class-Ansatz. Er leitet das Team Equities & Themes im Asset Management der Zürcher Kantonalbank und ist Vorstandsmitglied von Swiss Sustainable Finance.

Doch andere Finanzplätze haben aufgeholt. Weltweit verbreitet ist mittlerweile die Integration von ESG-Kriterien in den Anlageprozess. Das Kürzel steht für Environment (Umwelt), Social (soziale Themen) und Governance (Unternehmensführung). So weltgewandt es klingt – es ist «Swiss made». Eingeführt hatte es der Schweizer Finanzanalyst Dr. Ivo Knoepfel, als er beim UN-Umweltprogramm UNEP für Finanzdienstleistungen mitwirkte. Der Ansatz mit dem grössten Hebel für Umwelt und Gesellschaft ist das Impact Investing. Denn das Geld fliesst direkt in vielversprechende Firmen, die meist nicht an der Börse kotiert sind. «Während der ESG-Ansatz vorwiegend das vergangene Verhalten reflektiert, zielt Impact Investing darauf ab, in Zukunft nachweislich positive Beiträge an Umwelt und Gesellschaft zu leisten», erläutert Paetzold.

Nachhaltige Anlagen, Grafik 3 (Anlagekategorien)
Quelle Zahlen: Swiss Sustainable Investment Market Study 2021

Grüne Mogelpackung?

Angesichts verschiedener Nachhaltigkeitsstile ist es wichtig, dass Anlegerinnen und Anleger klären, worauf sie Wert legen. Wer besonders klimafreundlich investieren will, könnte enttäuscht sein, wenn er in seinem Best-in-Class-Fonds auf Ölaktien stösst. «In der Kundenberatung sollte man transparent aufzeigen, welche Wirkung nach­haltige Anlagen entfalten», sagt Nicolodi. So wechseln bei Börsentransaktionen zwar Wert­papiere die Hände – aber an die betroffenen Unternehmen fliesst kein Geld. Nachhaltige Anlagefonds beeinflussen die Umwelt und die Gesellschaft aber doch positiv: «Man lenkt die Finanz­ströme in eine gewisse Richtung und trägt dazu bei, die Finanzierungskosten für nachhaltige Lösungen zu senken», so ­Nicolodi.
Wie stehen die Chancen, dass die Schweiz zum Magnet für nachhaltige Anlagen wird? ­Nicolodi gibt sich optimistisch: «Wir verfügen über einige Standortvorteile. Gemessen an den verwalteten Vermögen nimmt die Schweiz eine führende Rolle ein. In Innovationsrankings ­landet sie auf Spitzenplätzen – und bezüglich Bildung steht sie ebenfalls top da.» Ausserdem sei die Schweiz, wie das World Economic Forum (WEF) zeige, eine ideale Plattform dafür, interdiszipli­näre Themen zur Sprache zu bringen.

Nachhaltige Anlagen, Grafik 4 (Fondsmarkt)
Quelle Zahlen: Swiss Sustainable Investment Market Study 2021

EU-Taxonomie für mehr Transparenz

Doch auch die EU will mit dem «Green Deal» den Takt vorgeben. In dessen Zentrum steht die Taxonomie-Verordnung, die Geschäftsmodelle bezüglich Nachhaltigkeit klassifizieren soll. «Die Definitionen tragen zur Transparenz bei», sagt Paetzold. Er freut sich darüber, dass seine Forschung in das Papier eingeflossen ist: «Wo eine grüne Etikette drauf ist, soll etwas für die Umwelt herausschauen – da muss man sich darauf verlassen können.» So sehr Nicolodi dieses Anliegen teilt, sieht er auch die Kehrseite des Regulierungswerks: «Die Komplexität ist äusserst hoch. Entsprechend verlangt die Umsetzung den Finanz­instituten fachlich wie ressourcenmässig viel ab.» Zudem könne das Korsett zum «Dienst nach Vorschrift» führen. Die Schweiz werde sich den EU-Regulierungen nicht ent­ziehen können. Nicolodi: «Die Diskussionen laufen in Ämtern und Branchenvereinigungen auf Hochtouren. Manches werden wir übernehmen, für anderes brauchen wir smartere Lösungen, ­einen ‹Swiss Finish›.»

Für Paetzold ist klar, dass der Regulator die Schrauben anziehen muss. Er schlägt beispielsweise vor, Pensionskassen nachhaltige Anlagevorschriften zu verpassen. Und der Handel grüner Finanzinstrumente wäre steuerlich zu fördern. Schliesslich stelle das CO2-Gesetz einen wichtigen Schritt dar. «Darüber hinaus braucht es ein Budget fürs nachhaltige Standortmarketing», fordert Paetzold. Gute Noten attestiert er der Zürcher Kantonalbank: «Sie liegt klar über dem Durchschnitt der Branche.» Das kommt nicht von ungefähr: Nachhaltigkeit ist ein expliziter Teil des Leistungsauftrags des Kantons Zürich an seine Bank. «Ökonomisch langfristiges, ökologisches und gesellschaftsorientiertes Denken ist in unserer DNA verankert», betont Schwarz: «Wir leben Nachhaltigkeit über unsere gesamte Wertschöpfungskette, vom Finanzierungs- bis zum Anlagegeschäft.» So führte die Zürcher Kantonalbank bereits 1992 Umweltdarlehen für umweltfreundliches Bauen und Renovieren ein. Und seit letztem Sommer können Kundinnen und Kunden von einer kostenlosen Heizungsersatz­beratung profitieren.

Eine Weltpremiere gelang der Zürcher ­Kantonalbank im Frühling 2020. Als erste Fondsanbieterin setzt Swisscanto Invest bei allen aktiv gemanagten Fonds ein jährliches CO2-Reduktionsziel von vier Prozent um. Obendrein berücksichtigt sie ESG-Kriterien bei allen Anlage­entscheidungen. «Themen wie Kinderarbeit, kontroverse Waffen und Kraftwerkskohle schliessen wir aus unserem Anlageuni­versum aus», ergänzt Nicolodi. Zudem übt die ­Zürcher Kantonalbank die Stimmrechte auf ihren Aktienbeständen aus und pflegt den Dialog mit Unternehmen. Offenbar beeinträchtigt all dies die Anlageergebnisse nicht: «Unsere streng nachhaltigen Aktienstrategien haben über fünf bis zehn Jahre exzellente Renditen eingefahren.»

Wie steht es um den Einwand, dass Banken grüne Anlageprodukte aus kommerziellen Gründen vermarkteten, aber bei der Kreditvergabe «farbenblind» seien? «Im KMU-Bereich sind weniger Daten vorhanden. Somit ist es anspruchsvoll, diese Dimension quantitativ sowie qualitativ gut zu erfassen», antwortet Nicolodi – und fügt hinzu: «Bei der Zürcher Kantonalbank integrieren wir nachhaltige Fragen in die Kreditanalyse.»

Mit ihrem Finanzplatz könne die kleine Schweiz einen grossen Beitrag für das Weltklima leisten, resümiert Paetzold. Die entsprechenden Anlagevehikel sind da – der Entscheid, sie zu nutzen, liegt bei den Anlegerinnen und Anlegern.

Gelebte Nachhaltigkeit

1995

Die Zürcher Kantonalbank unterzeichnet die Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI). Die Initiative hat das Ziel, Umweltaspekte in die Dienst­leistungen des Finanzsektors zu integrieren.

1998

Die Zürcher Kantonalbank lanciert als eine der ersten Banken in der Schweiz nachhaltige Anlagefonds.

2009

Die Zürcher Kantonalbank unterzeichnet die Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren der Vereinten Nationen (UN PRI).

2011

Ein Nachhaltigkeitsindikator erlaubt es Kundinnen und Kunden der Zürcher Kantonalbank, die Nachhaltigkeit von bis heute mehr als 1’800 Fonds einfach zu vergleichen.

2015

Die Zürcher Kantonalbank tritt Swiss Sustainable Finance bei. Als erste Schweizer Bank unterzeichnet sie den Montréal Carbon Pledge. Fortan weist sie den CO2-Fussab­druck ihrer Anlageportfolios öffentlich aus. 

2016

Die Zürcher Kantonalbank integriert ESG-Faktoren in den fundamentalen Anlageprozess.

2019

Die Zürcher Kantonalbank lanciert eine Responsible- und eine Sustainable-Fonds­Palette: Der CO2-Abdruck der Sustainable Fonds ist kompatibel mit dem 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens.

2020

Die Zürcher Kantonalbank nimmt an den Klimaverträglichkeitstests des Bundes PACTA teil. Für alle aktiv verwalteten Vermögen verpflichtet sich Swisscanto Invest by ZKB als erster Asset Manager der Schweiz auf das Pariser Klimaziel.

2021

Die Zürcher Kantonalbank integriert ESG-Kriterien auf allen Ebenen des Anlageprozesses. Neu stehen sie neben Risiko und Rendite im Zentrum der Anlagephilosophie. Um Kundinnen und Kunden um­fassend über die Nachhaltigkeit ihres Portfolios und der darin enthaltenen Instrumente zu informieren, führt sie im Juni 2021 das unabhängige MSCI ESG Rating ein.

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