Schon heute für morgen bauen

Um die Ecke schauen und im Kreis denken: Mit ihrem modularen Innovationsgebäude NEST forscht die Empa an der Bauzukunft. Dazu gehören neue Techniken – und alte Teppiche.

Text: Patrick Steinemann | aus dem Magazin «ZH» 1/2022

Innovationsgebäude NEST der Empa in Dübendorf
Experimentieren am lebenden Objekt: Impressionen des Innovationsgebäudes NEST der Empa in Dübendorf. (Bilder: Roman Keller; ETH Zürich, Architecture and Building Systems; ETH Zürich, Digital Building Technologies / Andrei Jipa; ETH Zürich, Block Research Group / Juney Lee)

Datengesteuert, smart vernetzt, überhaupt voller Hightech: So stellen wir uns das Haus der Zukunft vor. Doch zu sehen bekommen wir: alte Schulwandtafeln, Teppichreste und abgetretenes Parkett. Peter Richner schmunzelt. Denn es sind genau die scheinbaren Gegensätze und alten Denkmuster, die der stellvertretende Direktor der Empa in dem von ihm initiierten Innovations­gebäude NEST in Dübendorf aufzeigen – und auflösen will.

Denn anders, als es die DNA der Empa als Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt vermuten lässt, wird im NEST mit seinen einzelnen Modulen zwar durchaus an neuen Baumaterialien, Konstruktionsweisen und smarter Vernetzung geforscht. Aber eben auch darüber nachgedacht, was das nachhaltige Bauen der Zukunft im Kern ausmacht. Der Grundstein dazu ist für Richner so einfach wie komplex: «Was es vor allem braucht, ist ein neues Mindset.» Was das neue Denken mit altem Teppich zu tun hat, wird sich beim Rundgang im NEST noch zeigen.

Weniger Material

Zunächst aber steigt Richner im NEST ganz nach oben. Der Spritzbeton für die Gewölbedecke des von ETH-Forschenden entwickelten Moduls «HiLo» wurde auf einer dünnen, von einem Seilnetz aufgespannten Membran aufgetragen – das ist eine völlig neue Bauidee. Und die Zwischen­decken bestehen aus Betonelementen mit integrierten Lüftungs- und Heizungskanälen, aber kaum Armierung. Das Ergebnis: eine Materialeinsparung von bis zu 70 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Bauweisen.


An der Aussenfas­sade von «HiLo» drehen sich derweil kleine Photovoltaikelemente mit dem Lauf der Sonne – und dienen gleichzeitig der Beschattung und Energieeffizienz im Innenraum. Und nicht zufällig erinnert das geschwungene Dach an gotische Kathedralen: «Innovation be­inhaltet immer auch, Techniken und Prinzipien miteinzubeziehen, die sich früher bewährt haben», sagt Richner.

Auf das Bewährte treffen wir dann zwei Stockwerke tiefer – und damit auch auf die Teppichabschnitte: Sie dienen im Büro-Modul «Sprint» als schallschluckendes Dämmmaterial in Zwischenwänden. Dort sind auch weitere hochwertige Materialien verbaut: Die Secondhand-Wandtafeln dienen als Flip-Chart-Ersatz in einem Sitzungszimmer und das gebrauchte Parkettholz als alt-neuer Boden. «Das Potenzial für die Wiederverwertung von Materialien beim Bauen ist riesig», ist Richner überzeugt. Wieder schmunzelt er und zeigt auf einen Raumteiler aus alten Zeitschriften – darunter ist eine Publikation mit Richners erster wissenschaftlicher Arbeit.

Mehr Wiederverwertung

Zwei Räume weiter wird das Material-Recycling zur Hochstufung: Alte Kupferrohre versehen ihren neuen Dienst als Teile einer Heiz- und Kühldecke. «Die Kreislaufwirtschaft muss auch beim Bauen zu einem zentralen Element werden – von Anfang an», sagt Richner. Das bedeutet: schon bei der Projektierung und beim Bau den Rückbau und die Wiederverwertung von Materialien miteinzubeziehen. Dass Ressourcennutzung mit Mass beim künftigen Planen und Konstruieren ein integraler Baustein für das Haus der Zukunft sein muss, steht für Peter Richner ausser Frage: «Wir verbringen den grössten Teil unserer Lebenszeit in Gebäuden. Wir können keine nachhaltige Gesellschaft werden, wenn wir nicht nachhaltig bauen.»

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