«Ein Wertewandel braucht Zeit»

Geld regiert die Welt – aber warum? Diese Frage trieb Dr.  Jürg R. Conzett, Gründer des MoneyMuseum, bereits in jungen Jahren um. Er lädt dazu ein, die Rolle, die Geld in unserer Gesellschaft spielt, und die Bedeutung, die es für das Individuum hat, zu überdenken.

Interview: Stephan Lehmann-Maldonado / Bilder Yves Bachmann | aus dem Magazin «ZH» 1/2023

Jürg R. Conzett, Gründer MoneyMuseum
«Wir leben heute in einer geldvermittelten Gesellschaft»: Jürg R. Conzett.

Herr Conzett, wann haben Sie Ihre ersten Münzen gesammelt?

Als ich sieben Jahre alt war, schenkte mir ein älterer Freund der Familie eine Sammlung Zürcher Taler. Er sagte: «Weisst du, Jürgli, vielleicht studierst du einmal Geschichte.» Damals freute mich diese Bemerkung überhaupt nicht. Aber mit 20 begann ich tatsächlich ein Geschichtsstudium.

Hat Sie das Geldfieber schon mit sieben Jahren gepackt?

Bis heute bin ich davon verschont geblieben. Für mich sind Münzen Fenster in die Vergangenheit. Sie können eine Münze durchschauen. Prägedatum, Motive, Form und Gewicht erzählen eine Geschichte – fast wie ein Buch.

Haben Sie sich als Sammler spezialisiert?

Viele Menschen sammeln Münzreihen. Wenn es fünf Münzen einer Art gibt, wollen sie alle davon besitzen. Doch das ist nie mein Bestreben. Denn für mich ist die Bedeutung hinter einer Münze wichtig. Meine Eltern reisten für Unicef viel in der Welt herum und brachten mir Münzen mit nach Hause – so wuchs meine Sammlung immer weiter. Doch eines Tages haben sie sich Einbrecher unter den Nagel gerissen.

Das war aber nicht das Ende Ihrer Sammlerkarriere – 1998 haben Sie das MoneyMuseum ins Leben gerufen.

Während meiner Studienjahre und meiner sieben Jahre im Ausland – USA und Japan – machte ich mir kaum Gedanken über Münzen. Als ich zurück nach Zürich kam, entstand der Wunsch, dieses Hobby wiederzubeleben – diesmal auf professionellem Niveau. Für dieses Vorhaben konnte ich eine Studienkollegin gewinnen. Wir entschlossen uns, Leitwährungen zu sammeln. Das sind Währungen, die über ihren Herkunftsraum hinaus Verwendung finden. Vor uns hatte sich noch niemand diesem Thema gewidmet. Heute gilt der US-Dollar als Leitwährung, früher waren es etwa das britische Pfund und der österreichische Maria-Theresien-Taler. Die Geschichte der Leitwährungen von den alten Griechen bis zur Gegenwart lässt sich mit rund 200 Münzen darstellen.

Sie stammen aus einer prominenten Familie: Ihr Vater war Nationalratspräsident, Ihre Urgrossmutter die Frauenrechtlerin und Verlagsgründerin Verena Conzett. Welche Rolle hat Geld am Familientisch gespielt?

Praktisch keine. Ich habe nur von Kollegen mitbekommen, dass es Leute gibt, die reich sind, und andere, denen das Geld fehlt. Ich persönlich habe kaum je Banknoten in der Hand gehalten – aber Kredit genossen. Ich konnte zum Bäcker gehen und meine Schulkollegen einladen. Der Bäcker schrieb alle Einkäufe auf meinen Namen an. Ähnlich kaufte ich Schuhe und Kleider in jungen Jahren ein. Zugleich beobachtete ich, wie das Geld die Gesellschaft beeinflusste. Ich empfand die Spannungsverhältnisse als seltsam. Niemand sprach über Geld, aber jeder strebte danach. Äusserlich verhielten sich alle nett miteinander, innerlich konkurrierten sie. Diese Zusammenhänge beschäftigten mich stark, aber niemand konnte mir Antworten auf meine Fragen geben.

Jürg R. Conzett, Gründer MoneyMuseum
«Über Geld zu sprechen, geht für viele ähnlich tief wie ein Gespräch über die eigene Sterblichkeit», meint Jürg R. Conzett.

Sie wollten dem Spruch «Geld regiert die Welt» auf die Spur kommen?

Genau. Die wichtige Frage ist: Warum trifft dieser Spruch zu?

Verraten Sie es uns.

Aristoteles unterscheidet zwischen dem Wert einer Sache und ihrem Preis. Über Jahr­tausende waren Münzen ein Mittel zum Tausch, aber nicht das einzige. Seit sich die kapitalistische Wirtschaft im 16. Jahrhundert herausgebildet hat, ist das anders. Als einer der Ersten beschrieb Goethe das moderne Geldwesen in seinem Werk «Faust II»: Wie üblich fehlt es dem Staat an Geld. Darauf schlägt Mephisto vor, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Dieses «Zeichengeld» soll ein Versprechen auf zukünftige Werte darstellen. Es bringt erst einen Nutzen, wenn wir es produktiv einsetzen. Wir müssen damit also wieder Gewinne machen. So schildert Goethe, weshalb aus Geld immer mehr Geld werden muss – und unsere Wirtschaft sich in einem Wachstumszwang befindet.

Wie offen sollte in einer Familie übers Geld gesprochen werden?

Wir leben heute in einer geldvermittelten Gesellschaft. Unsere Versorgung findet ausschliesslich über Kauf und Verkauf statt. Im Gegensatz dazu wachsen Kinder in einer Gemeinschaft auf, die sich nicht ums Geld dreht. Ein Kind ist nie knapp bei Kasse, sondern fragt sich höchstens, wieso es kein neues Handy bekommt. Die Mutter sagt dem Kind nicht: «Dieses Glas ist 15 Franken wert und dieses grosse Steak kostet 20 Franken.» Kurz – es ist ähnlich wie bei der Aufklärung: Die Eltern sollten einem Kind den Bezug zu Geld dann vermitteln, wenn es reif genug ist, diesen zu verstehen.

Wie ist bei der Gelderziehung vorzugehen?

Viele Eltern hinterfragen die geldvermittelte Gesellschaft. Sie sehen deren Vor- wie Nachteile. Bei einer Gelderziehung geht es also um mehr als nur darum, Kinder das Sparen zu lehren oder ein Bankkonto für sie zu eröffnen. Ich finde, Eltern sollten ihren Kindern erklären können, nach welchem Weltbild wir leben – und wer oder was dieses dominiert.

Sie führen den Spruch «Über Geld spricht man nicht» ad absurdum. Im MoneyMuseum soll man gerade über Geld sprechen! Wieso?

Geld und Gesellschaft gehen stets Hand in Hand. Das MoneyMuseum begann als Online-Museum. Heute soll es ein Begegnungsort sein, an dem man Fragen aus verschiedenen Perspektiven diskutieren kann: Was ist Geld überhaupt? Woher kommt es? Welche Alternativen zu unserem Geld gibt es? Als ich studierte, konnte mir dazu niemand eine gute Auskunft geben.

In der Schweiz gibt es kaum ein grösseres Tabu als den Lohn. Weshalb?

Das ist kulturell bedingt. Wir legen uns eine Schutzschicht zu, die wie ein Panzer wirkt. Sie schützt unsere Intimsphäre. Denn Geld bestimmt unsere Identität nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich. Es ist mit unserer Psyche verwoben. Solange unser Einkommen kein Thema in einer Beziehung ist, scheinen wir «gleicher». Findet mein Nachbar jedoch heraus, dass ich mehr verdiene als er, beeinflusst das unser Verhältnis. Wer kein Geld besitzt, ist in unserer Gesellschaft aussen vor, darf nicht einmal auf einem Stuhl in einem Restaurant sitzen.

Gibt es Kulturen, in denen man sein Portemonnaie lieber zeigt?

In den USA spricht man offener über sein Einkommen. Geld dient dort direkt als Massstab für die soziale Einstufung. Je mehr ich meinen Reichtum zur Schau stelle, desto mehr punkte ich in der Gesellschaft. In der Schweiz halten wir das für vulgär. Wir lassen Reichtum nur durchschimmern, sind diskret. Ich kann mir beispielsweise Status verschaffen, indem ich beiläufig die Namen einflussreicher Freunde erwähne oder nebenbei einflechte, dass ich ein Museum oder eine Stiftung gegründet habe.

Fällt es einem leichter, über Geld zu sprechen, wenn man keines hat?

Nein. Finanzielle Fragen können Sozialhilfeempfänger belasten, aber auch Milliardäre, die sich pausenlos um ihr Vermögen sorgen. Darüber zu sprechen, geht für viele ähnlich tief wie ein Gespräch über die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit.

Der Gelddenker: Dr.  Jürg R.  Conzett

Seine Welt sind Münzen, Bücher und Börsen: Der Unternehmer Dr.  Jürg R.  Conzett (76) gründete 1998 das MoneyMuseum und später die Sunflower Foundation, um die Geld­geschichte einem breiten Publikum näherzubringen. Conzett studierte Geschichte und Philosophie an der Universität Zürich und bildete sich an der Eliteuniversität Stanford in den USA weiter. Danach startete er eine Karriere als Finanzanalyst und übernahm zahlreiche Führungsfunktionen im Banking, bis er sich als Vermögensberater selbstständig machte.

Stelleninserate geben immer öfter einen Lohnrahmen an. Findet ein Umdenken statt?

Wenn Unternehmen die Löhne schon im Stelleninserat kommunizieren, deutet das auf eine transparente und faire Vergütungspolitik hin. Es ist dann vorweg klar, dass der Lohn weder von der Verhandlungstaktik noch von Faktoren wie dem Geschlecht abhängt. Auch werden wohl Löhne verhindert, die unter dem Existenzminimum bleiben. Diese Transparenz ist auch auf den Fachkräftemangel zurückzuführen. Gerade jungen Arbeitnehmenden der Generation Z, um welche die Unternehmen konkurrieren, sind Themen wie die Lohngleichheit wichtiger als vorangehenden Generationen. Deshalb sind sie auch eher bereit, über ihren Lohn zu sprechen. Das ändert aber nichts daran, dass wir in Geldwerten denken, solange wir jeder Tätigkeit eine bestimmte Lohnsumme zuordnen.

Gibt es dazu eine Alternative?

Momentan herrscht die Devise: «Was nichts kostet, ist nichts wert.» Nach dieser Logik wächst unser Bruttoinlandprodukt, wenn ein Kind in die Krippe geht, aber nicht, wenn sich die Grosseltern darum kümmern. Würden wir über Geld und Eigentum nachdenken und diskutieren, könnten wir uns aus Zwängen befreien und an Lebensqualität gewinnen. Ein solcher Wertewandel braucht aber Zeit – und der Staat ist daran nur bedingt interessiert. Denn jeder Staat legt ein Geldsystem und ein gesetzliches Zahlungsmittel fest. So sichert er sich Steuereinnahmen. Ein Beispiel: Ein Handwerker könnte seine Leistung auch gegen einen edlen Tropfen Wein anbieten. Das würde aber als Schwarzarbeit taxiert. Jeder Staat will möglichst jede Leistung in seiner Währung besteuerbar machen.

Sie fördern das Research in Geldtheorie auch an Universitäten, beispielsweise an der Cusanus-Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. Was erhoffen Sie sich davon?

Die Wirtschaftswissenschaften versuchen, jedes Problem mit einem mathematischen Modell zu erfassen. Im Zentrum steht der Modellmensch Homo oeconomicus, der immer rationale Entscheide trifft – anhand des Geldmassstabs. Weichen die Resultate eines Modells zu stark von der Realität ab, korrigiert man einige Eckdaten. Über den Ursprung des Phänomens Geld denkt man dagegen kaum nach. Wir helfen deshalb, ein neues Lehrmittel zu entwickeln. Ökonomie zu studieren, müsste eigentlich heissen, Nachhaltigkeit zu studieren. Es sollte darum gehen, wie sich nachhaltig Mehrwert schaffen lässt.

Sie sind Finanzanalyst, Unternehmer und Gründer der Sunflower Foundation. Geld­sorgen kennen Sie persönlich wohl nicht?

Oh doch. Wie alle Unternehmer bin ich schon Risiken eingegangen mit meinen Finanzen und habe mit Krediten gearbeitet. Der Druck seitens der Geldgeber ist hoch. Je mehr Geld im Spiel ist, desto mehr Verpflichtungen habe ich. Lohnt es sich, reich zu werden? Ich bin überzeugt, dass es wichtiger ist, eine Tätigkeit zu wählen, die einem Freude bereitet. Im Militär diente ich als Pilot. Ich hätte danach bei der Swissair als Pilot anheuern können, was damals als «Sechser im Lotto» galt. Doch ich beschloss, nicht dem Geld, sondern meinen wahren Interessen nachzugehen.

Dennoch stellte sich der monetäre Erfolg bei Ihnen ein. Was hat er mit Ihnen gemacht?

Mein Selbstwertgefühl habe ich nie ans Geld gebunden. Ich habe immer nur das gemacht, was ich auch ohne Geld machen würde. Vielleicht gibt es Leute, die wie ich ein Museum eröffnen wollen. Ihr erster Gedanke ist: «Ich brauche Geld dafür.» Das ist falsch. Zuerst kommt das Museum, dann das Geld. Ich bin von Natur aus introvertiert, habe kaum eine Ahnung von Marketing. Aber wenn ich Menschen von meiner Idee erzählte, sprang die Begeisterung auf sie über und sie vertrauten mir Geld zur Verwaltung an. In den USA nennt man das Serendipity – das Prinzip, dass einem etwas Gutes zufällt, das man nicht gesucht hat. Insgesamt denke ich, dass es schwieriger ist, Geld sinnvoll auszugeben, als es anzuhäufen. Ich möchte mein Geld zu Lebzeiten für Sinnvolles weggeben.

Sie beobachten die Finanzmärkte seit Jahrzehnten. Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Grosswetterlage?

Vor 200 Jahren bildete China die grösste Volkswirtschaft und hielt sich für unbesiegbar. Darauf folgte der Aufstieg Europas und der USA. Heute hat sich die Situation gedreht. Wir meinen, der Welt den Takt vorgeben zu können. Doch China ist auf der Überholspur. Während wir in Geschäften auf Win-win-Deals abzielen, interpretiert China jeden Handel als Wirtschaftskampf. Am Verhandlungstisch eine List anzuwenden, gilt als Tugend. Das könnte unseren Alltag auf den Kopf stellen – und beschäftigt mich.

Gibt es Träume, die Sie noch mit Geld verwirklichen wollen?

Wenn ich das Budget für das MoneyMuseum verdreifachen könnte, hätte ich keine Probleme, mehr spannende Ideen zu verwirklichen. Derzeit ist es so, dass wir für jedes neue Projekt zwei andere streichen müssen. Aber: Wäre ich Multimil­liardär, stünde ich wohl vor der gleichen Herausforderung – einfach in einer anderen Dimension.

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