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Mobilität: Ende der Elektrowende?

Stagnierenden Absatzzahlen in Europa und den USA steht der massive Ausbau der E-Mobilität in und um China entgegen. Der Konkurrenz­druck nimmt stark zu. Ob der europäischen E-Mobilitätsbranche damit das gleiche Schicksal droht wie der Solarindustrie, lesen Sie im Beitrag von Anlagespezialist Jens Schweizer.

Text: Jens Schweizer

Die Elektrowende findet kein Ende, sondern erlebt lediglich eine Verlangsamung

Spielen Sie auch Quartett? Anzahl Zylinder und Hubraum sind für mich prägende Kindheits­erinnerungen von epischen Duellen beim familiären Fahrzeug­quartett. Heute sind im Spiel mit meinen Kindern Reichweite und Ladedauer wichtiger. E-Autos haben hier Verbrenner abgelöst.

Im Kontrast dazu ist die mediale Aufmerksamkeit rund um E-Mobilität aktuell aber keine Trumpfkarte, sondern impliziert eher eine schlechte Hand im Spiel. Steht die Elektro­wende bei der Mobilität vor dem Ende?

Der globale Absatz von E-Fahrzeugen wuchs laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) im Jahr 2024 um beeindruckende 25 Prozent. Das Wachstum war dabei hauptsächlich China zu verdanken, wohingegen die Zahlen in Europa und den USA mehrheitlich stagnierten. Für 2025 rechnet die IEA zwar erneut mit einem Absatz­wachstum von 25 Prozent, sie stellt jedoch auch erhöhte Unsicherheiten für ihre Prognose fest.

Chinas Dominanz

Grund dafür sowie für den medialen Branchen­pessimismus in Europa sind strukturelle Heraus­forderungen der Elektrifizierung des Verkehrs, die an die Oberfläche dringen. China dominiert die globale Produktion mit einem Anteil von rund 70 Prozent. Die IEA schätzt, dass 2024 rund 20 Prozent der weltweit verkauften Fahrzeuge elektrisch waren. In China lag dieser Wert letztes Jahr bei rund 50 Prozent, in Europa und den USA bei «nur» 20 Prozent beziehungsweise 10 Prozent. Die E-Mobilität ist eine der strategischen Prioritäten der chinesischen Regierung. Entsprechend wird die Branche gefördert, was zu Über­kapazitäten und einem zunehmend ruinösen Preiskampf führt. Chinesische Hersteller drängen folglich verstärkt in andere Märkte. Restriktivere Zutritts­beschränkungen in westlichen Märkten werden mit Ausfuhr­beschränkungen wichtiger Komponenten wie Batterien, Mikrochips und seltene Erden beantwortet.
 

Jens Schweizer

Langfristig ist das Markt­potenzial der Elektri­ fizierung des Verkehrs intakt. Auch in China fährt erst eines von zehn Autos elektrisch

Jens Schweizer, Anlagespezialist

Europas Konsolidierung

In Europa und den USA weicht derweil die euphorische Anfangs­phase der realpolitischen Konsolidierung. Dies äussert sich zum Beispiel in wegfallenden Subventionen, weshalb sich die Nachfrage nach E-Fahrzeugen unter den Erwartungen entwickelt. Europäische und US-Hersteller ächzen unter den aufgebauten Über­kapazitäten. Hinzu kommt, dass es in Europa nicht nur reine Elektrofahrzeug­hersteller gibt. Viele Unternehmen mussten strategisch in kurzer Zeit von Verbrennern auf E-Fahrzeuge umstellen. Dies erforderte sehr hohe Investitionen bei gleichzeitiger Kannibalisierung des Umsatzes, denn jedes verkaufte Elektroauto geht dabei zulasten eines Verbrenners. Gleichzeitig nimmt der chinesische Konkurrenz­druck stark zu, und die Handels­streitigkeiten sorgen für angespannte Lieferketten.

Ereilt die europäische E-Mobilitäts­branche das gleiche Schicksal wie die Solarindustrie? Einer der Hauptgründe für die existenzielle Krise der europäischen Solarbranche war die Flut chinesischer Billigware. Gegen dieses Szenario spricht, dass das Bewusstsein für den Schutz dieser Industrie aus diesen Erfahrungen und intensivierten Autarkie­bestrebungen stärker geworden ist. Ganz ohne China wird es aber nicht gehen. Noch immer werden wichtige Komponenten für Elektroautos aus China bezogen, und Peking fordert den Marktzugang immer vehementer ein. Mittelfristig kann dies den Absatz und die Margen der europäischen Hersteller und Zulieferer weiter unter Druck setzen. Entscheidend wird der Umgang mit China sein.

Marktpotenzial weiter beträchtlich, aber temporäre Verlangsamung in Europa


Die Elektrowende findet jedoch kein Ende, sondern erlebt in Europa lediglich eine temporäre Verlangsamung. Langfristig ist das Marktpotenzial der Elektrifizierung des Verkehrs intakt. Auch in China fährt erst eines von zehn Autos elektrisch. Nachfrageseitig unterstützend dürfte auch wirken, dass die Lade­infrastruktur in Europa bereits deutlich ausgebaut wurde und die Preise für E-Autos sinken. Dazu kommt, dass sich Mobilität in den nächsten Jahrzehnten noch anderweitig entscheidend verändern wird: Wir werden nicht mehr selbst fahren. Und der autonome Verkehr dürfte elektrisch sein.
 

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