«Die SNB wird den Obligationen­markt überraschen»

Der kommende geldpolitische Entscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB) wird richtungsweisend für den Schweizer Obligationenmarkt sein, sagt Simon Lustenberger, Head Investment Strategy bei der Zürcher Kantonalbank.

Text: Simon Lustenberger

Schweizerische Nationalbank, Bern
Die Straffung der Geldpolitik hat die Obligationenrenditen vor allem im 1. Halbjahr in die Höhe getrieben: Schweizerische Nationalbank in Bern. (Bild: Wikimedia Commons / Tony Badwy)

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat im vergangenen Juni begonnen ihren Leitzins von –0,75 Prozent anzuheben. Mittlerweile steht er bei 0,5 Prozent und die nächste Erhöhung steht bei der SNB-Sitzung vom 15. Dezember 2022 bevor. Eine Straffung der Geldpolitik wird von den Kapitalmärkten jeweils frühzeitig antizipiert. Dementsprechend haben sich die Verfallsrenditen von Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten in der Periode der SNB-Leitzinsanhebungen praktisch kaum mehr bewegt. Trotz hoher Schwankungsanfälligkeit rentieren die 10-jährigen Anleihen nach sechs Monaten immer noch bei 1,0 Prozent. Sie implizieren einerseits, dass die SNB die Leitzinsen in Zukunft nicht mehr gross anheben wird. Andererseits ist die Nachfrage nach Schweizer Staatsanleihen (Eidgenossen) in unsicheren Zeiten erfahrungsgemäss hoch.

Markterwartungen an die SNB zu tief

Trotz des jüngsten Rückgangs der Jahresteuerung in der Schweiz ist aktuell das Risiko nach wie vor weit grösser, dass die Inflation nach oben überschiesst. Erstens erwartet die Zürcher Kantonalbank einen nochmaligen Anstieg der Jahresteuerung in der Schweiz über die nächsten Monate, denn die administrierten Preise (z.B. Strompreise) werden den Landesindex der Konsumentenpreise weiterantreiben. Zweitens besteht insbesondere in Anbetracht der hohen Inflationszahlen im angrenzenden Ausland weiterhin das Risiko, Preisdruck zu importieren. Als Schutz vor importierter Inflation bietet sich auch eine Aufwertung des Frankens an, welche die SNB durch Devisenverkäufe beschleunigen kann. Die Zürcher Kantonalbank geht trotzdem davon aus, dass die Schweizer Währungshüter zweigleisig fahren werden und den Leitzins ebenfalls weiter anheben, nämlich um mindestens 50 Basispunkte im Dezember.

Simon Lustenberger, Leiter Anlagestrategie Investment Solutions (Bild: Christian Grund)

Eine Neubewertung der Geldpolitik dürfte am Schweizer Staatsanleihenmarkt nicht spurlos vorbeigehen.

Simon Lustenberger, Head Investment Strategy

In Zeiten hoher Inflationsunsicherheit ist der optimale geldpolitische Entscheid jener, der eine Absicherung gegen gravierende, wenn auch weniger wahrscheinliche Szenarien bietet. Aus Kosten-Nutzen-Überlegungen halten wir daher gar eine Erhöhung des Leitzinses um 75 Basispunkte für möglich. Die Markterwartungen lagen am Terminmarkt zuletzt deutlich tiefer. Der Dezember-Kontrakt für den dreimonatigen Saron reflektiert momentan eine Leitzinserhöhung von 40 Basispunkten, nachdem die Erwartungen Ende September noch bei 75 Basispunkten lagen. Der März-Kontrakt im nächsten Jahr signalisiert ein Leitzinsniveau von rund 1,1 Prozent, also nur 60 Basispunkte über dem aktuellen Niveau.

Anleihenmarkt an SNB-Erwartungen gekoppelt

Normalerweise werden die längerfristigen Obligationenrenditen vor allem durch Konjunktur- und Inflationserwartungen beeinflusst. Wenn die Vorlaufindikatoren zu Konjunktur und Inflation fallen, sinken auch die Obligationenrenditen. Das hat sich nun verändert: Die aussergewöhnlichen geldpolitischen Massnahmen der Notenbanken bestimmen in diesem Jahr die Obligationenkurse mit langen Laufzeiten in hohem Ausmass. Die Straffung der Geldpolitik hat die Obligationenrenditen vor allem im 1. Halbjahr in die Höhe getrieben. Im Einklang mit tieferen Leitzinserwartungen an die SNB sind die 10-jährigen Verfallsrenditen von Staatsanleihen der Eidgenossenschaft jüngst gefallen. Eine Neubewertung der Geldpolitik dürfte daher am Schweizer Staatsanleihenmarkt nicht spurlos vorbeigehen. Bei einer Aufwärtsrevision der Leitzinserwartungen werden auch die Renditen nochmals anziehen. Je länger die Laufzeit, desto geringer ist zwar die Sensitivität zum Leitzinsniveau. Trotzdem dürften die Renditen über sämtliche Laufzeiten der Zinskurve von Staatsanleihen nochmals steigen.

Attraktivere Optionen als Eidgenossen

Die Zürcher Kantonalbank glaubt, dass insbesondere Staatsanleihen im festverzinslichen Anlageuniversum von dieser Neubewertung betroffen sind. Andere Segmente werden weniger von anziehenden Renditen belastet werden. Sie weisen bereits jetzt einen höheren Renditepuffer beziehungsweise eine höhere Risikoprämie aus. Im gleichen Bonitätssegment der Schweizer Staatsanleihen rentieren andere AAA-Anleihen auf deutlich höherem Niveau. Diese Niveaus wurden zuletzt während der Finanzkrise in den Jahren 2008/09 beobachtet. In der Vergangenheit haben sich im höchsten Bonitätssegment die sogenannten hohen Rendite-Spreads vor allem in Phasen einer hohen Schwankungsanfälligkeit der globalen Obligationenmärkte gebildet. Die geldpolitische Unsicherheit hat die Volatilität vergangenen Oktober noch auf den Höhepunkt getrieben.

Mit dem sich abzeichnenden Leitzinshöhepunkt in den USA fällt die implizite Volatilität des US-amerikanischen Staatsanleihenmarkts (MOVE Index) nun wieder, so dass sich auch die Spreads in der Schweiz einengen. Mit der Beruhigung am globalen Obligationenmarkt dürften auch die Anleihen der Eidgenossenschaft weniger nachgefragt werden. So wird sich auch der Spread von Anleihen der Schweizerischen Pfandbriefbank und der Pfandbriefzentrale (AAA-Rating) zu den Eidgenossen wieder zurückbilden. Sie stellen damit eine attraktivere Alternative zu den Eidgenossen im hohen Bonitätssegment dar. Je tiefer die Bonität, desto relevanter ist der konjunkturelle Ausblick. Zwar haben sich die Spreads auch in tieferen Bonitätssegmenten mit dem Rückgang der Obligationenmarkt-Volatilität eingeengt. Die konjunkturelle Abkühlung auf globaler Ebene dürfte jedoch den Risikoappetit der Investoren in Grenzen halten. Die Zürcher Kantonalbank erachtet erstklassige Schuldner aktuell als die attraktivere Wahl.