Europas Aktien im Bann von Inflation und Rezessionsrisiko

Europäische Aktien spüren Druck von drei Fronten: von hoher Inflation, steigenden Zinsen und hohen Energiepreisen. Die Inflationsraten sind in einigen europäischen Ländern zweistellig. Rekordhohe Strom- und Gaspreise lähmen die Wirtschaft. Die europäische Zentralbank sagt der Inflation den Kampf an und erhöht die Zinsen in Riesenschritten. Was können Investoren in diesem Umfeld von europäischen Aktien erwarten?

Roland Koster, Senior Portfolio Manager

Steigende Rohstoffpreise und Lieferengpässe führten bereits im Jahr 2021 zu steigenden Inflationsraten. Der Ukraine-Konflikt bewirkte eine massive Beschleunigung bei den Preissteigerungen. Die von den westlichen Staaten beschlossen Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die darauffolgenden Gegenmassnahmen, lösten massive Preissteigerungen bei Strom und Gas aus. Die aktuellen Inflationsdaten für die Eurozone zeigen Preissteigerungen mit einer Jahresrate von 9.9%. Ein absolutes Rekordniveau.

Eurozone: Jahresrate der Konsumentenpreise (in %)

Quelle: Bloomberg

Die Hauptursache sind die gestiegenen Energiekosten sowie deutlich höhere Nahrungsmittelpreise.

Eurozone: Inflationskomponenten 

Quelle: Bloomberg

Rekordhohe Strom- und Gaspreise

Für Europa wirkt sich die hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas enorm negativ aus. Die Stromerzeugung mit Erdgas hat sich deutlich verteuert. Der wichtigste Atomstrom-Exporteur Frankreich hat zudem die Hälfte seiner Atommeiler vom Netz genommen - wegenteils ungeplanter Revisionen. Durch den teuren Zukauf von Flüssiggas (LNG), das Hochfahren von Kohlekraftwerken und Energiesparmassnahmen ist die Situation zwar stabil, bleibt aber fragil.

Gas- und Strompreise in Europa im Jahr 2022

Quelle: Bloomberg

Die Chance, dass Europa den Winter ohne massive Energieeinsparungen übersteht, ist derzeit nicht schlecht. Zum einen sind die Gas- und Strompreise etwas zurückgekommen, der Füllstand der europäischen Gasspeicher beträgt nun 92% und die französischen Atomkraftwerke dürften gegen Ende Jahr wieder unter Volllast laufen. Für das Jahr 2023 sieht die Gasversorgung jedoch sehr schwierig aus. Mit der aktuellen Versorgungslage ist ein Auffüllen der Gasspeicher im nächsten Sommer nicht mehr gewährleistet. Kurz aber insbesondere mittelfristig rückt die "doppelte Dringlichkeit" mit Blick auf Energieeffizienz und stabiler und vor allem erneuerbarer Energieversorgung deshalb wieder in den Fokus. Auf der politischen Agenda wie bei Investitionen der Unternehmen. Energieeffizienz wirkt im Kontext steigender Preise deflationär – leider erst mittelfristig.

Konsumenten und Unternehmen unter Druck

Die steigenden Lebenshaltungskosten setzen breite Bevölkerungsschichten unter enormen Druck. Die Engländer nennen es "the cost of living crisis" – denn nicht wenige Menschen müssen sich entscheiden zwischen einer warmen Mahlzeit oder einer warmen Wohnung. Das Konsumentenvertrauen in der Eurozone sank sogar deutlich unter den Wert zur Zeit der Pandemie. Die Vorlaufindikatoren für die Industrie sind ebenfalls im Sinkflug. Die Regierungen haben bereits milliardenschwere Massnahmen zur Senkung der Energiepreise beschlossen. Zuletzt verabschiedete Deutschland ein EUR 200 Mrd. schweres Packet zur Entlastung von Konsumenten und Unternehmen.

Die europäische Zentralbank im Dilemma

Die Inflation bekämpfen oder die drohende Rezession verhindern? Die Energieknappheit verhindert - trotz der sich abzeichnenden Rezession - einen schnellen Rückgang der Inflationsraten auf das Ziel der EZB - eine Inflation um die 2 Prozent. Die Inflationsraten sind aktuell noch viel zu hoch, um die Wirtschaft mit monetären oder auch fiskalischen Massnahmen zu unterstützen. Der Preis wäre ein unkontrollierter Währungszerfall wie er in Japan und Grossbritannien bereits zu beobachten war. In Grossbritannien gab die unglücklich kommunizierte Fiskalpolitik sowie die darauffolgenden Interventionen der Bank of England am Anleihenmarkt zu reden. Förderlich für ein solides Wirtschaftswachstum des wichtigen EU-Handelspartners ist so etwas nicht.

Nach Kursrückgängen günstig bewertet, aber Rezessionsrisiken überwiegen

Dieses schwierige Umfeld hat an den Aktienmärkten bereits deutliche Spuren hinterlassen. Insbesondere zyklische Sektoren mussten deutliche Kursverluste hinnehmen. Eine Rezession ist bereits teilweise in den Kursen eskomptiert. Historische Vergleiche lassen für den Fall einer Rezession auf weiteres Korrekturpotenzial schliessen.

Sektor-Performance MSCI Europe Index (01.01.-30.09.22)

Energie

+21.9

Gesundheit

-12.8

Nicht-zyklische Konsumgüter

-12.9

Kommunikationsdienstleistungen

-16.4

Versorger

-19.1

Finanzen

-20.2

Rohstoffe

-22.0

Zyklische Konsumgüter

-29.3

Industrie

-29.4

Technologie

-36.3

Immobilien

-43.4

Quelle: Bloomberg

Defensive Positionierung beibehalten, Zykliker bei Schwäche dazukaufen

Für den Moment bevorzugen wir in Europa weiterhin defensive FCF-Perlen, wenig zyklische Sektoren wie Kommunikation, nicht-zyklischen Konsum und Gesundheit. Auch dividendenstarke Aktien bieten attraktive Anlagechancen. Bei den zyklischen Sektoren bevorzugen wir Unternehmen die vom Ausbau der Stromnetze, der erneuerbaren Energien oder von Investitionen in die Energieeffizienz profitieren. Diese Unternehmen sollten - unabhängig von Konjunkturrisiken - von den geplanten milliardenschweren Investitionen in die europäische Energieunabhängigkeit profitieren. Diese strukturellen und insbesondere nachhaltigen Anlagethemen bieten den Investoren eine gewisse Visibilität und können in Schwächephasen weiter aufgebaut werden.

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