Zinssensitivität III/V: Sind Zinserhöhungen Non-Events für Assets?

Die Erwartungen sind gemacht. Der Markt rechnet bis Ende dieses Jahres mit bis zu fünf Zinsschritten der US-Notenbank Fed. Diese Entwicklungen bergen für Multi Asset Investorinnen und Investoren Anlagechancen und -risiken. Teil III unserer fünfteiligen Serie zur Zinssensitivität.

Text: Claude Hess

Lange für verschollen und sogar schon für tot erklärt, ist sie wieder aufgetaucht: die Inflation. Aufgrund der Corona-Pandemie und deren Einfluss auf internationale Lieferketten, den Trend zur De-Globalisierung und der jahrelangen Billiggeldpolitik der Notenbanken, drängen sich Zinserhöhungen auf. Was bedeutet das nun für Multi-Asset Investorinnen und Investoren?

Implikationen steigender Zinsen auf Anlageklassen

Ein Blick in die Vergangenheit hilft zwar, den Effekt von Zinserhöhungen auf verschiedene Anlagekategorien besser einzuschätzen. Gleichwohl ist die Analyse historischer Finanzmarkt-Konstellationen keine hinreichende Bedingung für künftige Preisentwicklungen von Anlagekategorien.

Im Wissen darum haben wir die Zeit von 1973 bis heute unter die Lupe genommen und nachgezeichnet, wie sich verschiedene Anlagekategorien aus Sicht eines US-Investors vor und nach einer Zinserhöhung im Durchschnitt entwickelten1:

Durchschnittliche Entwicklung vor und nach einer US-Zinserhöhung 1973-2021

Quelle: Zürcher Kantonalbank, Bloomberg

Aus der Grafik geht hervor: Die gängige Befürchtung, Zinserhöhungen würden Aktienmärkte nach unten drücken, hat sich in der Vergangenheit nicht bewahrheitet. In der Tendenz stiegen die Aktienmärkte vor einer Zinserhöhung und bewegten sich danach eine Zeitlang seitwärts, bevor sie ihren Anstieg weiterführten. Dasselbe gilt auch für Anleihen. Bei Rohstoffen war die Performance nach einer Zinserhöhung im Durchschnitt am besten.

Geldpolitik vor und nach der Jahrtausendwende

Ab den 2000er Jahren war die Inflation sehr tief. In den USA betrug sie im Schnitt rund 2.2%. Das erlaubte den Notenbanken, eine viel expansivere Geldpolitik zu führen als in vorangegangenen Jahren. Die eingangs erwähnte unerwartet lebhafte Renaissance der Inflation erwischte die Notenbanken denn auch auf dem falschen Fuss. Noch nie seit 1973 war die Differenz zwischen dem US-Konsumentenpreis-Index (CPI) und dem angepeilten Leitzins der Fed so gross wie heute, wie die nachfolgende Grafik zeigt.

Inflation und Leitzins im Vergleich

Quelle: Zürcher Kantonalbank, Bloomberg

Die Geschwindigkeit des Inflationsanstiegs ist zwar vergleichbar mit Perioden aus den 1970er Jahren. Doch (noch) ist der aktuelle Leitzins mit 0.125% extrem tief verglichen mit dem derzeitigen Inflationsniveau von über 7 Prozent in den USA und mehr als 5 Prozent im Euroraum. Zum Vergleich: Bei ähnlichen Inflationsraten in den 1970er Jahren lag der damalige Leitzins etwa auf der Höhe der Inflationsrate oder leicht darüber. Interessant ist jedoch: Auch zwischen 1973-1999 entwickelten sich die betrachteten Anlagekategorien nach Zinserhöhungen im Durchschnitt positiv.

Wirtschaftszyklen mitberücksichtigen

Heisst dies also, Zinserhöhungen sind Non-Events für Aktienmärkte? Ein differenzierteres Bild ergibt sich mit der Hinzunahme des Wirtschaftswachstums. In den 1970er und 1980er Jahren hat das Fed aufgrund der hohen Inflation die Zinsen trotz Rezession angehoben. Während dieser Periode litten die Aktienmärkte stärker. Sie verloren damals nach 120 Handelstagen durchschnittlich rund 5%.

Durchschnittliche Entwicklung vor und nach einer US-Zinserhöhung während Rezessionen 1973-2021

Quelle: Zürcher Kantonalbank, Bloomberg

Daraus lässt sich ableiten: Ein Stagflations-Szenario, in dem sich die Notenbanken aufgrund hoher Inflation auch in Zeiten negativen Wirtschaftswachstums zu Zinserhöhungen gezwungen sehen, wäre für die Aktienmärkte am ungünstigsten.

Bilanzabbau miteinbeziehen

Weiter steht die Frage im Raum, wie sich eine Zinserhöhung verbunden mit einem Bilanzabbau der Notenbanken auf die Märkte auswirkt. Eine solche Situation gab es in den USA im vierten Quartal 2018. Damals haben die Märkte auf Zinserhöhungen negativ reagiert, obwohl keine Rezession herrschte. Seit der Finanzkrise 2008 und im Zuge der Corona-Krise hat sich die Bilanz des Fed und anderer Notenbanken stark ausgeweitet. Eine Reduktion dieser Bilanzen, allenfalls kombiniert mit Zinserhöhungen, dürfte in Bezug auf die Stabilität der Finanzmärkte eine Herausforderung sein.

«Gesunde» Zinserhöhungen tun in der Regel nicht weh

Als Fazit lässt sich festhalten, dass Zinserhöhungen für Aktien nicht per se schlecht sind. Findet eine Zinserhöhung in Zeiten eines intakten Wirtschaftswachstums statt, kann man von einer «gesunden» Erhöhung sprechen. Wirtschaft und Aktienmärkte können eine solche ohne Schaden verkraften. Eine Zinserhöhung ist in diesem Fall sogar als ein Zeichen der Stärke zu deuten.

Die Notenbanken tun aufgrund des geldpolitischen «Rückstandes» gut daran, sich mit gesunden Zinserhöhungen Luft zu verschaffen und so die Wahrscheinlichkeit, eines Tages mit dem Rücken zur Wand zu stehen, zu verringern. Falls dies gelingt, sind Aktien (und andere risikobehaftete Anlagen) auch in Phasen von Zinserhöhungen ein gutes Investment.

 

1Es handelt sich um die Rendite vor Berücksichtigung der Inflation. Da Zinserhöhungen normalerweise in Phasen erhöhter Inflation stattfinden, kann trotz positiver Renditen ein Kaufkraftverlust resultieren. Im Durchschnitt betrugt die Inflation während Zinserhöhungen in der betrachteten Periode 5.8% (YoY).