Finanzwerte: Auf die Liquidität kommt es an

Die Notenbanken haben die Leitzinsen weiter angehoben. Was heisst das für das Bankensystem im Allgemeinen und für Aktien aus dem Finanzsektor im Speziellen? Unsere Research-Spezialisten Rocchino Contangelo und Andras Giger liefern Antworten.

Text: Andreas Giger und Rocchino Contangelo

Mit Blick auf die Regionen dürften europäische und asiatisch-pazifische Bankenwerte in einem besseren Licht erscheinen als US-amerikanische.

Rocchino Contangelo, mit eurer Einschätzung zur Zinsentwicklung vom vergangenen Montag habt ihr richtig gelegen. Wie siehst Du nun die weiteren Entwicklungen? Kannst Du dies für uns einordnen.

Rocchino Contangelo (RC): Es war bis kurz vor dem effektiven Entscheid nicht klar, ob die US-Notenbank Fed ihren Leitzins aufgrund der aktuellen Bankensituation erhöhen wird. Letztendlich blieb ihr Fokus auf der Inflationsbekämpfung und sie hat die Zinsen um 25 Basispunkte erhöht. Davon gingen wir in unserer Analyse aus. Zudem hat sich auch die SNB für dieses Vorgehen entschieden und die Zinsen auf 1,5 % erhöht. Die Preisstabilität steht derzeit stärker im Fokus. Dies kann sich aber schnell ändern, je nach Bankenlage.

Was sind nun die nachgelagerten Effekte dieser Entscheide?

RC: Wir denken, dass die Fed sich für eine «Hike-and-See»-Position entschieden hat und die Sachlage im Bankensektor genauer überprüft. Zudem bedeutet dies, dass die Rezessionsrisiken zunehmen, denn im Spannungsfeld zwischen Preis- und Finanz­stabilität liegt auch das Wirtschaftswachstum, welches sich durch höhere Zinsen und sich eintrübende Finanzkonditionen (siehe Grafik) verlangsamt. In diesem Umfeld investieren, kaufen, konsumieren, bauen und erwerben sowohl Firmen als auch Konsument:innen aufgrund steigender Kapital- und Finanzierungskosten weniger.

Der Bloomberg U.S. Financial Conditions Index bewegt sich im negativen Bereich und deutet auf eine Verschärfung der finanziellen Bedingungen im Vergleich zum Vorkrisenniveau hin. (Quelle: Bloomberg)

Zeitgleich zu Fed-Chef Jerome Powell äusserte sich die US-Finanzministerin Janet Yellen. Sie relativierte unter anderem die umfassende Einlagensicherung bei den US-Banken. Das mag ein leicht höheres Risiko für alle Banken darstellen. Umfassende Einlagensicherungen hätten aber auch zu Fehlanreizen führen können, zum sogenannten Moral Hazard. Es ist aus unserer Sicht sinnvoll, wenn hier Yellen erneut über die Bücher geht und eine Einlagensicherung prüft, die im Interesse der Stabilität der Banken und des Finanzsystems liegt und nicht zuletzt den allgemeinen Wirtschaftsinteressen Rechnung trägt.

Die überwiegende Mehrheit der Banken erfüllt die regulatorischen Anforderungen an Liquidität und Kapital auch in realistischen Stresssituationen bei Weitem.

Andreas Giger, Senior Equity Analyst im Asset Management der Zürcher Kantonalbank

Andreas Giger, wie beurteilst Du als Bankenexperte die gegenwärtige Krise?

Andreas Giger (AG): Die Probleme einer Silicon Valley Bank (SVB) kamen für uns im globalen Research nicht ganz unerwartet. Wir haben Ende des vergangenen Jahres eine fundamentale Einschätzung vorgenommen und unsere Positionen in den aktiven Aktienfonds rechtzeitig abgebaut. Das Problem der SVB war die einseitige Ausrichtung sowohl auf der Kredit- als auch auf der Einlagenseite auf Wachstums- und Risikokapitalindustrien, welche nach der Zinswende zunehmend unter einem Finanzierungsengpass litten.

Vor diesem Hintergrund wäre die Entwicklung zu einer Krise nicht angezeigt gewesen. Zwar sind eine Handvoll weiterer Banken ebenfalls in Liquiditätsnöte geraten. Doch die betroffenen Institute sind allesamt in Spezialsituationen. Es handelt sich nun in erster Linie um eine Vertrauenskrise bezüglich der Liquidität der Banken. Die überwiegende Mehrheit der Banken in den betroffenen Märkten erfüllt die regulatorischen Anforderungen an Liquidität und Kapital auch in realistischen Stresssituationen bei Weitem. Es ist somit keine allgemeine Solvenzfrage.

Was sind die Folgen? Wie werden die Regulatoren reagieren?

AG: Abgesehen davon, dass mindestens zwei prominente Banknamen (SVB, CS) verschwinden werden, könnte dies auch zu einer weiteren Verschärfung der regulatorischen Anforderungen führen, sowohl auf der Liquiditäts- als auch auf der Kapitalseite. Zurzeit sind in den USA eine mögliche Ausweitung der Einlagenver­sicherung (FDIC) oder gar temporäre staatliche Garantien ein Thema, zumindest im absoluten Notfall. Hier würde sich aber die langfristige Bonitäts- und eigentliche Finanzierungsfrage stellen. Im Sinne einer prosperierenden Wirtschaft und somit auch im Interesse der Bankaktionäre sollten sich die staatlichen und regulatorischen Eingriffe vor allem auf liquiditätsfördernde Massnahmen und optimalere Anreizsysteme fokussieren.

Was passiert mit den durch den Fall «Credit Suisse» ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogenen AT1-Papieren (Contingent Convertibles)?

AG: Das ist natürlich auch für den reinen Aktienanleger eine sehr wichtige Frage aufgrund des Verwässerungsrisikos. Die AT1-Renditenaufschläge sind im historischen Vergleich derzeit sehr hoch, und es ist anzunehmen, dass die Banken Entscheidungen über die strategische Eigenkapitalausstattung nicht primär von kurzfristigen Markt­bewegungen abhängig machen werden. Im Krisenmodus richten sich die Banken auf Kapitalerhalt, währenddessen sie in den guten Marktphasen der letzten Jahren Aktienrückkaufe getätigt haben.

Wie siehst Du die weitere Entwicklung für die Banken und Finanzaktien allgemein?

AG: Die Nervosität wird wohl insbesondere bei den US-amerikanischen, europäischen und japanischen Bankaktien noch etwas anhalten. Aktuell ist die Deutsche Bank im Fokus der Märkte. Wir rechnen mit einer allmählichen Beruhigung der aktuellen Ausnahmesituation. Die US-Banken werden die Zinsmargen im Vergleich zu den letzten Zinsrunden nicht mehr so stark ausweiten können. Zusätzlich steigen die Rückstellungen für Kreditausfälle. Beides drückt auf die Gewinne der Banken. 

Welche Aktien innerhalb des Finanzsektors bieten mehr Stabilität?

AG: Mit Blick auf die Regionen dürften europäische und asiatisch-pazifische Bankenwerte in einem besseren Licht erscheinen als US-amerikanische. Sie sind im aktuellen Zinszyklus weniger fortgeschritten, daher sind die Chancen auf positive Überraschungen bei den kommenden Resultatveröffentlichungen grösser. Weniger liquiditätssensitive Finanzwerte wie Versicherungen dürften ebenfalls etwas mehr Gewissheit bieten bei gleichzeitig ebenfalls überdurchschnittlicher Marktsensitivität.

Insgesamt bleibt unsere Positionierung in unseren aktiven Globalen und Schweizer Aktienstrategien defensiv.

Rocchino Contangelo, Leiter Globales ESG-integriertes Research im Asset Management der Zürcher Kantonalbank

Rocchino, wie seid ihr im aktiven Aktienbereich mit den Portfolios positioniert?

RC: Insgesamt bleibt unsere Positionierung in unseren aktiven Globalen und Schweizer Aktienstrategien defensiv. Bei den Finanzwerten sind wir aus globaler Bewertungssicht eher in Europa und Asien und innerhalb des Finanzsektors vor allem bei weniger zins- und liquiditätssensitiven Werten wie Versicherungen exponiert.

Im Allgemeinen sollte man bei den Aktien-Bewertung nun noch genauer hinschauen und die geschätzten Gewinnerwartungen vor dem Hintergrund der höheren Rezessionsrisiken mit Vorsicht geniessen.

Die Volatilität dürfte anhalten, was uns Opportunitäten bei bilanzstarken Qualitäts­firmen eröffnet. Wir sehen denn auch, dass die Qualitätsaktien derzeit besser bewertet sind. Wir denken, dass sich dies fortsetzen wird und fokussieren weiterhin auf die Titelselektion nach relativ günstigen Qualitätsaktien. 

Man beachte letztendlich, dass der globale Aktienmarkt gemessen am MSCI World seit Jahresbeginn positiv notiert. Trotz dieser volatilen Märkte, ergeben sich somit spannende und lohnende Anlageopportunitäten insbesondere auf der aktiven-fundamentalen Seite!

 

 

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