Besonnen amortisieren

Zu viel Liquidität soll nicht auf dem Konto liegen. Gleichzeitig verführt die vermeintlich hohe Schuld einer Hypothek viele Eigenheimbesitzer dazu, diese freiwillig zu amortisieren. Aus Renditeperspektive sind besonders für angehende Rentnerinnen und Rentner zwei Alternativen prüfenswert. Eine Auslegeordnung bietet sich als Entscheidungsgrundlage an.

Text: Pascal Trüb | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 3/2021

Beim Investieren von freiem Vermögen über den Gartenzaun hinausschauen. (Bild: Iris Loonen via plainpicture)

Es treibt sie schon eine Weile um, das Ehepaar Bauer. Beide sind Anfang 50 und jeweils erwerbs­tätig. Ihre Sparquote wächst. In den letzten Monaten sogar zunehmend durch geringere Ausgaben aufgrund der Corona-Pandemie. Mittlerweile verfügen sie über ein gutes Liquiditätspolster, weshalb sie sich fragen: wohin mit dem freien Vermögen? Zumal auf dem Konto mit null Zins oder im schlimmsten Fall gar mit Negativzinsen zu rechnen ist.

Die Bauers wohnen mit ihren zwei bald erwach­senen Kindern in einer Eigentumswohnung. Die Hypothek ist bereits auf rund zwei Drittel des Liegenschaftswerts abbezahlt (siehe Info-Box Amortisation). Instinktiv möchten sie die Schuld weiter reduzieren.

«Die Hypothek freiwillig zu amortisieren, ist ein verständlicher Wunsch und vielen Kundinnen und Kunden ein Anliegen», sagt Manuela Rogentin, Finanzplanerin bei der Zürcher Kantonalbank. «Die hohe Hypothekarschuld ist für sie eine emo­tionale Belastung. Dennoch sollte ein solcher Entscheid gut überdacht sein.»

Finanziellen Spielraum im Alter sichern

Ein wichtiger Faktor ist die Nutzung der Liegenschaft: Besteht die Absicht, im Eigenheim langfristig zu wohnen, es zu verkaufen, zu vermieten oder den Nachkommen weiterzugeben?

Auch wenn sich das Ehepaar Bauer noch keine konkreten Gedanken zum Ruhestand gemacht hat, möchte es noch eine Weile in ihrer Eigentumswohnung bleiben.

«Die Pläne für die Wohnsituation bestimmen massgebend die optimale Vermögensstruktur im dritten Lebensabschnitt. Das ist das Verhältnis von Kontoguthaben, Wertschriftenguthaben und den in Immobilien gebundenen Mitteln», erklärt Expertin Rogentin. «Der Vermögensstruktur ist grosse Beachtung zu schenken. Denn im Falle einer freiwilligen Amortisation wäre ihr Vermögen im Eigenheim gebunden. Es würde nach der Erwerbsaufgabe nicht zur Verfügung stehen, um Einkommenslücken im dritten Lebensabschnitt zu decken.»

Manuela Rogentin, Finanzplanerin der Zürcher Kantonalbank (Bild: Flavio Pinton)

Finanzieller Spielraum im Ruhestand ist notwendig, denn das Einkommen der meisten Haushalte besteht aus AHV und Pensionskasse und sinkt um durchschnittlich 30 bis 50 Prozent. «Das sollte kein Grund zur Sorge sein. Es bedeutet lediglich, dass der Ruhestand anders finanziert wird als das Erwerbsleben», fährt Manuela Rogentin fort. Idealerweise wird die Rentenhöhe als monatliches Einkommen so gewählt, dass sie die laufenden Ausgaben wie Haushalt, Versicherungen oder Steuern deckt. Für alles, was darüber hinausgeht wie Ferien, Einrichtungen oder ein Auto, wird das Vermögen herangezogen. «Im Alter vom Ersparten zu leben, ist völlig normal. Das Vermögen muss jedoch genügend liquide sein. Es sollte vermieden werden, dass aufgrund einer höheren Amortisation als notwendig ein Konflikt in der Vermögensstruktur entsteht», begründet Finanzplanerin Rogentin. Mit einer Finanz- oder Pensionierungsplanung lassen sich diese Fragen klären.

Ein gewöhnlicher Investitionsentscheid

Nach Prüfung der Situation stellt sich für die Bauers heraus, dass der finanzielle Spielraum im Hinblick auf die Pension gegeben wäre, um die Hypothek freiwillig weiter zu reduzieren. Ausserdem haben sie von der Zürcher Kantonalbank eine lebenslange Finanzierungszusage über die aktuelle Hypothekarhöhe erhalten.

«Natürlich gibt es emotionale Aspekte der Kunden, gerade im Umgang mit Schulden, auf die man hören muss», sagt Manuela Rogentin. «Gleichzeitig ist es auch unsere Aufgabe als Finanzplaner, unseren Kunden finanzielles Optimierungspotenzial und alternative Möglichkeiten aufzuzeigen, wovon sie im Ruhestand profitieren.»

Den Massstab liefert die erwartete Rendite: Wenn eine andere Vermögensanlage nach Abzug der Steuern anderweitig besser rentiert, lohnt sich die Amortisation aus rationalen Überlegungen nicht. Als Berechnungsbeispiel wird eine Hypothek mit einem Zinssatz von 1 Prozent gewählt. Unter Annahme eines Grenzsteuersatzes von 30 Prozent (siehe Berechnungsbeispiel) liegt der Hypothekarzins nach Steuern bei 0,7 Prozent. Aus Renditeüberlegungen wären deshalb Anlagen vorzuziehen, die mehr als 0,7 Prozent pro Jahr nach Steuern einbringen.

Alternative Investitionsmöglichkeiten

Für die Bauers werden neben der Amortisation zwei Investitionsalternativen geprüft: Freiwillige Einkäufe in die Pensionskasse sowie Wertschriftenanlagen. Freiwillige Einkäufe in die Pensionskasse sind besonders in den letzten 8 bis 10 Jahren vor der Pensionierung attraktiv, sofern ein Einkaufspotenzial besteht. Denn die Einkäufe können vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Besonders interessant ist der Effekt, wenn das Geld später wieder in Kapitalform bezogen wird. Hinzu kommt, dass der Kanton Zürich per Januar 2022 die Steuerbelastung auf Kapitalleistungen senkt. «Eine gut durchdachte Einkaufs- und Bezugsstrategie ist dabei zentral», erklärt Manuela Rogentin. «Diese berücksichtigt die persönliche Situation und Pläne, die vorsorge- und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen sowie Parameter zum finanziellen Zustand der Pensionskasse. Ausserdem wird geklärt, welche Wirkung das freiwillig eingebrachte Kapital im Risikofall, also bei Tod oder Invalidität, vor der Pensionierung entfaltet.»

 

3 Tipps.

1. Loten Sie Ihren finanziellen Spielraum aus

Prüfen Sie mit einer Finanzplanung, wann Sie welchen Teil Ihres Vermögens zur Deckung Ihrer Bedürfnisse benötigen. Längerfristig nicht benötigte Mittel sollten ertragswirksam investiert werden.

2. Prüfen Sie neben einer Amortisation alternative Investitionsmöglichkeiten

Betrachten Sie die Amortisation Ihrer Hypothek als Investition, die Sie mit den Laufzeiten und Renditeaussichten anderer Anlagen vergleichen. Dazu zählen u.a. freiwillige Einkäufe in die Pensionskasse und Wertschriftenanlagen.

3. Fällen Sie Ihren Entscheid auf einer soliden Basis

Lassen Sie sich die Vor- und Nachteile sowie die Chancen und Risiken genau aufzeigen. So wissen Sie, was Sie erwarten dürfen und entscheiden mit Überzeugung.

Die zweite Alternative ist eine breit diversifizierte Investition in Wertschriften mit einer individuell abgestimmten Anlagestrategie. Dass diese die Chance auf eine höhere Rendite bietet, zeigt ein Blick auf die Marktentwicklung in der Vergangenheit. Eine Voraussetzung ist eine «Risikobereitschaft» der Bauers. Denn die Aussicht auf eine höhere Rendite ist mit Schwankungen an den Kapitalmärkten verbunden, für deren Ausgleich ein gewisser Zeithorizont notwendig ist.

Vernetzte Betrachtung ist wichtig «Ob freiwillige Amortisation, Einkauf in die Pensionskasse oder Investition an den Finanzmärkten, eine Expertenberatung mit einer vernetzten Betrachtung aller Einflussfaktoren inklusive der emotionalen Komponente ist wichtig und lohnenswert», schliesst Manuela Rogentin ab.

In unserem Beispiel haben sich die Bauers entschieden, vorläufig einen Teil ihres Vermögens anzulegen und einen anderen schrittweise in die Pensionskasse einzuzahlen. Die Amortisation ihrer Hypothek werden sie mit ihrer Kundenbetreuerin und Finanzplanerin vor ihrer Pensionierung wieder prüfen.

Wie wird ein Eigenheim finanziert?

Finanzierung

Für den Erwerb eines Eigenheims gewähren Banken üblicherweise Hypotheken bis 80 Prozent des Liegenschaftswertes. Bis spätestens zur Pensionierung sollte die Schuld auf zwei Drittel der Belehnungsbasis (Wert des Objektes) reduziert werden.

Amortisationspflicht

Die Hypothek bis zu zwei Dritteln des Liegenschaftswertes unterliegt einer Amortisationspflicht. Sie muss grundsätzlich über 15 Jahre oder bis zur Pensionierung abbezahlt sein. Es besteht die Möglichkeit, über die Säule 3a indirekt zu amortisieren (das Vorsorgevermögen wird verpfändet). Wird die restliche Schuld weiter reduziert, spricht man von einer freiwilligen Amortisation.

Lebenslange Finanzierungszusage

Ist die Amortisationspflicht erfüllt, entspricht das dem Zielbereich der Zürcher Kantonalbank. In diesen Fällen gibt die Bank ein schriftliches Versprechen, dass sie die Hypothek auch nach der Pensionierung lebenslang fortführen wird.

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