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Offen reden und rechtzeitig handeln

Im Interview sprechen Nina Wolf von Alzheimer Zürich und Mona Moser von der Zürcher Kantonalbank über die Herausforderungen, die eine Demenzerkrankung für Betroffene und Angehörige mit sich bringt – und über die Wichtigkeit, rechtzeitig für den Fall einer Urteilsunfähigkeit vorzusorgen.

Interview: Patrick Steinemann / Bilder: Lea Meienberg / Illustration: Maria Salvatore | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 2/2025

Mona Moser und Nina Wolf im Gespräch
Für Mona Moser (links) und Nina Wolf ist die richtige Kommunikation zentral im Falle einer Demenzerkrankung.

Demenz gilt als Volkskrankheit. Sind tatsächlich immer mehr Menschen davon betroffen, Frau Wolf?

Nina Wolf: Wir gehen davon aus, dass in der Schweiz aktuell rund 160'000 Personen mit Demenz leben. Jährlich kommen rund 34'000 Neuerkrankungen hinzu. Das bedeutet, dass etwa alle 16 Minuten eine Person an Demenz erkrankt. Bis ins Jahr 2050 wird sich die Zahl der an Demenz erkrankten Personen etwa verdoppelt haben. Dies hat vor allem mit der Demografie zu tun – das Alter ist der grösste Risikofaktor für eine Demenzerkrankung.

Die geistige und physische Handlungsfähigkeit zu verlieren wegen einer diffusen, nicht greifbaren Krankheit macht den meisten Menschen Angst. Erleben Sie das auch in Ihren Beratungen?

Wolf: Ja, Betroffene haben oft Angst, nichts mehr wert zu sein und der Gesellschaft nichts mehr ­zurückgeben zu können. Dies hat aber meist nicht direkt mit der Krankheit zu tun, sondern mehr damit, wie das Umfeld mit Demenz-Betroffenen umgeht.

Dr. Nina Wolf

Dr. Nina Wolf ist bei Alzheimer Zürich für psychosoziale Beratungen und Projektentwicklung ­zuständig. Wolf hat an der Universität Zürich Sozialanthropologie und empirische Kulturwissenschaften studiert und mit einem Doktorat abgeschlossen.

Mona Moser

Mona Moser ist Erbschaftsberaterin bei der Zürcher Kantonalbank. Die Juristin hat langjährige Erfahrung in den Bereichen Nachlassplanung und Willensvollstreckung. Moser hat an der Universität Zürich das Studium der Rechtswissenschaften absolviert und mit einem Master of Law abgeschlossen.

Was wäre denn ein «richtiger» Umgang mit Demenz-Betroffenen?

Wolf: Wir sollten zunächst Fragen an uns selbst stellen: Sprechen wir Demenz-Betroffenen sämtliche Fähigkeiten ab? Schliessen wir sie aus? Nehmen wir sie überhaupt nicht mehr ernst? Oder begegnen wir ihnen mit Empathie, Geduld und Verständnis? Unterstützen wir sie dort, wo es nötig ist, und ­gewähren wir möglichst viel Selbstständigkeit und Autonomie? Das Umfeld hat also einen grossen Einfluss darauf, Ängste von Betroffenen aufzufangen und darauf, wie Menschen mit Demenz ihre Erkrankung erleben.

Die Diagnose Demenz ist immer ein Schock, oder?

Wolf: Einerseits ja, doch kann eine konkrete Diagnose insbesondere Angehörigen auch Erleichterung verschaffen. Endlich gibt es eine Erklärung für Veränderungen, die oft schon jahrelang beobachtet wurden. Und es können gezielt Informationen beschafft werden, Hilfe kann geholt werden. In diesem Moment kommen dann auch Organisationen wie wir ins Spiel, die Lösungswege aufzeigen können.

Nina Wolf, Alzheimer Zürich

Betroffene haben oft Angst, nichts mehr wert zu sein und der Gesellschaft nichts mehr zurückgeben zu können.

Nina Wolf, Alzheimer Zürich

Demenz kann sich auch unvermittelt im Alltag zeigen – etwa beim Erledigen von Bankgeschäften.

Mona Moser: Wenn eine Kundin oder ein Kunde an den Schalter kommt und zweimal hintereinander den gleichen Betrag abheben will, ein falsches Ausweisdokument vorlegt oder keine Unterschrift mehr leisten kann, dann können dies Zeichen dafür sein, dass etwas nicht stimmt. Unsere Mitarbeitenden in den Beratungszonen sind für solche Situationen jedoch speziell geschult und wissen, wann sie etwas kritisch hinterfragen müssen. Auch in Beratungssituationen kann sich eine mögliche Demenz zeigen, etwa wenn Kundinnen und Kunden keine passenden Antworten geben, sich ständig wiederholen oder ihre Zielsetzungen nicht mehr klar formulieren können.

Sind dies typische Zeichen für Demenz?

Wolf: Dass Routinen und gewohnte Handlungsabläufe nicht mehr adäquat ausgeführt werden können, sind mögliche Symptome. Im Alltag kann sich das auch bei so vermeintlich banalen Dingen wie dem Bedienen eines Staubsaugers zeigen. Betroffene schämen sich oft für dieses Nicht-mehr-Können und sprechen nicht darüber. Das kann dann rasch zu Beziehungskonflikten führen. Das häufigste Symptom sind jedoch Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis.

Mona Moser, Zürcher Kantonalbank

Mit einem Vorsorgeauftrag definieren wir, wer sich um unsere Angelegen­heiten kümmern soll, wenn wir selbst dazu nicht mehr in der Lage sind.

Mona Moser, Erbschaftsberaterin Zürcher Kantonalbank

Nicht über etwas sprechen wollen, sich nicht erinnern können: Die Kommunikation zwischen Betroffenen und ihrem Umfeld scheint ein zentraler Punkt zu sein, auch für Konflikte.

Wolf: Das ist so. Entscheidend ist auch hier die zugrundeliegende Haltung: Schaffe ich es, das Verhalten meines an Demenz erkrankten Partners als Ausdruck seiner Erkrankung zu deuten oder nehme ich es persönlich? Wie reagiere ich auf Vorwürfe eines Betroffenen, die er aufgrund einer verzerrten Wahrnehmung äussert? Lasse ich mich auf einen Streit ein oder gelingt es mir, Konfliktsituationen auch einfach einmal stehen zu lassen? Unsere Organisationen Alzheimer Schweiz und Alzheimer Zürich geben zum Thema Kommunikation zahlreiche Tipps ab und veranstalten auch Kurse.

Auch bei Bankgeschäften kommt es auf die richtige Kommunikation an – und auf die Grenzen, die es zu beachten gilt.

Moser: Für uns Bankmitarbeitende ist entscheidend, dass wir nur gegenüber Bevollmächtigten Auskunft über vertrauliche Informationen geben und dass keine Zahlen oder Daten an nicht Bevollmächtigte gelangen. Dies geschieht auch im Interesse und zum Schutz der Kundinnen und Kunden. Auch sonst sind uns Grenzen gesetzt: So dürfen wir grundsätzlich keine Gefährdungsmeldung an die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) absetzen. Wir können jedoch Betroffene und ­bevollmächtigte Angehörige beraten. Idealerweise beginnt diese Beratung aber schon, bevor jemand von einer Demenz betroffen ist.

Themenbild Corbusier-Pavillon Zürich

Sie sprechen die rechtzeitige Vorsorge an. Welcher Baustein ist hier am wichtigsten?

Moser: In unseren güter- und erbrechtlichen ­Beratungen ist eine mögliche Urteilsunfähigkeit immer ein Thema. Denn diese kann nicht nur durch eine Demenz entstehen, sondern beispielsweise auch durch einen Unfall – und ein solcher kann jederzeit eintreten. Der zentrale Baustein einer rechtzeitigen Vorsorge ist der Vorsorgeauftrag. Mit diesem Dokument definieren wir im Sinne der Selbstbestimmung, wer sich um unsere persönlichen und finanziellen Angelegenheiten sowie um die Vertretung im Rechtsverkehr kümmern soll, wenn wir selbst nicht mehr dazu in der Lage sind. Zudem können mit einem Vorsorgeauftrag auch weitere Punkte geregelt werden, etwa wer die Betreuung von minderjährigen Kindern übernehmen oder bei Unternehmensanteilen die geschäftlichen Tätigkeiten ausüben soll.

Wenn Angehörige konkrete Aufgaben übernehmen oder Entscheidungen treffen müssen, ist das für Betroffene sicher keine einfache Situation.

Wolf: Umso wichtiger ist es, rechtzeitig vorzusorgen und über solche Dinge offen zu sprechen. Ist eine Demenzerkrankung erst einmal akut, müssen Angehörige immer wieder abschätzen, ob ein Eingreifen zum Schutz der Betroffenen angezeigt ist oder nicht. Dieses Eingreifen in die Autonomie von Betroffenen fällt niemandem leicht. Es ist deshalb sehr hilfreich, wenn durch einen Vorsorgeauftrag zumindest eine rechtliche Absicherung für stellvertretendes Handeln besteht.

Gerade Eheleute meinen oft, mit der Ehe alle Vertretungen und Vollmachten geregelt zu haben.

Moser: Eheleute sind sich häufig nicht bewusst, dass sie in finanziellen Dingen gegenseitig nur für Alltagsgeschäfte legitimiert sind. Für alles, was darüber hinaus geht, braucht es im Falle einer Urteilsunfähigkeit einen Vorsorgeauftrag; also etwa für die Erhöhung einer Hypothek oder den Verkauf des Hauses. Ist in solchen Situationen kein Vorsorgeauftrag vorhanden, muss zwingend die KESB involviert werden. Eine Vollmacht reicht hier nicht aus.

Engagement für das Alter

Die Zürcher Kantonalbank ist Hauptsponsorin von Alzheimer Zürich. Der Verein ermöglicht Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen ein besseres Leben. Um diese Unterstützung anbieten zu können, ist die Organisation auch auf Einzelspenden angewiesen.

Welche weiteren Dokumente thematisieren Sie in Ihren Beratungen?

Moser: In unseren Beratungen geben wir ein Vorsorgedossier ab. Darin enthalten sind eine Mustervorlage für den Vorsorgeauftrag, eine Patientenverfügung für Fragen im medizinischen Bereich sowie ein Dokument betreffend Anordnungen für den Todesfall. Viele unserer Kundinnen und Kunden tun sich verständlicherweise schwer, solche Themen anzugehen, sind dann aber nach der Beratung erleichtert, sich damit befasst zu haben. Aus Sicht der Beraterin freut es mich sehr, wenn ich hier Hilfe leisten und den Kunden und Kundinnen ein gutes Gefühl geben kann.

Können eigentlich auch Kundinnen und Kunden mit einem Beistand ihr Konto bei der ZKB behalten?

Moser: Selbstverständlich. Wir haben eine spezialisierte Fachstelle Beistandschaften, die sich um solche Fälle kümmert. Diese beantwortet auch alle Fragen zu Vorsorgeaufträgen und zum Erwachsenenschutzrecht.

Wolf: Akteure wie die ZKB spielen eine wichtige Rolle, indem sie ihre Mitarbeitenden im Umgang mit Demenz schulen und so zu einer Demenz-freundlichen Kultur beitragen. Je mehr wir über die Krankheit Demenz wissen, umso mehr können wir Stigmas und Ängste abbauen und Betroffene integrieren in unsere Gesellschaft.

Illustration zum Thema Alzheimer

Darauf kommt es an bei Demenz und Vorsorge

  1. Sprechen Sie über die Möglichkeit einer Urteilsunfähigkeit: Nehmen Sie das Thema mit Ihren Angehörigen auf und sprechen Sie über Ihre Wünsche und Anordnungen für den Fall der Fälle.
  2. Informieren Sie sich über das Thema Demenz: Beratungsstellen wie Alzheimer Zürich bieten vielfältige ­Informationen und Hilfestellungen für Betroffene und Angehörige.
  3. Regeln Sie Ihre Vorsorge rechtzeitig: Mit Dokumenten wie dem Vorsorgeauftrag, einer Patientenverfügung und einem Testament können Sie Ihren Willen festhalten und Angehörige entlasten. Nutzen Sie auch den ZKB Vorsorgeauftrag-Konfigurator.
  4. Lassen Sie sich von Spezialisten beraten: Expertinnen und Experten im Bereich der Finanz-, ­Erbschafts- und Nachlassplanung können Sie mit ihrem Fachwissen beraten und Sie beim Aufsetzen von Dokumenten unterstützen.

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