Die BVG-Reform: Stärken, Schwächen und ungenutztes Potenzial

Die Altersvorsorge gehört aktuell wieder zu den wichtigsten Themen in Bundesbern – in allen drei Säulen stehen Reformen an. Besonders Fahrt nimmt nun die Debatte um die zweite Säule auf. Der Nationalrat befasst sich heute zum ersten Mal mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform). Ein guter Zeitpunkt also, sich die Situation der Pensionskassen und die Vorlage etwas genauer anzuschauen.

Text: Marco Schwarzenbach

Der Nationalrat befasst sich heute zum ersten Mal mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform)
Der Nationalrat befasst sich heute zum ersten Mal mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform) (Bild: Philip Bessermann)

Die Schweizer Altersvorsorge hat Reformbedarf, darüber herrscht ausnahmsweise auch in der Politik Einigkeit. Wie bekannt: Die demografische Entwicklung, gepaart mit den anhaltend tiefen Zinsen, setzt unsere Vorsorgewerke unter Druck. Doch Reformen der Altersvorsorge hatten es in den letzten Jahren schwer.

Aktuell sind in allen drei Säulen wieder Reformbemühungen im Gange (vgl. Infobox «Baustelle Altersvorsorge»). In der zweiten Säule haben die Pensionskassen zunehmend Mühe, die hohen Leistungsversprechen mit den angesparten Altersvermögen zu erfüllen. Bereits heute müssen Leistungsversprechen aus dem BVG-Obligatorium mit den Renditen aus dem Überobligatorium mitfinanziert werden.

«Der heute gesetzlich festgeschriebene Umwandlungssatz führt zu einer Umverteilung, die bewusst nur in der AHV vorgesehen ist», fasst Heini Dändliker, stv. Leiter Firmenkunden, die Problematik zusammen.

Die Pensionskassen stehen finanziell zwar gut da – das hat die letzte Pensionskassen Studie von Swisscanto Invest gezeigt –, allein können sie aber die Probleme in der zweiten Säule nicht lösen. Es braucht die Politik. Das sieht auch Heini Dändliker so. «Wichtig ist, zwischen ihrem aktuell sehr guten Zustand und den Leistungsversprechen im BVG zu unterscheiden. Gesunde Pensionskassen können nicht verhindern, dass die Renten sinken. Im Gegenteil: Voraussetzung für starke Pensionskassen war eine Anpassung der Leistungen», sagt Dändliker im Hinblick auf die BVG-Reform, die im Nationalrat behandelt wird.

Kern der BVG-Reform ist die Senkung des Mindestumwandlungssatzes.
Kern der BVG-Reform ist die Senkung des Mindestumwandlungssatzes. (Bild: Zürcher Kantonalbank)

Notwendige Reform mit Stärken und Schwächen

Kern der aktuellen Vorlage ist die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6.8% auf 6%. Der Umwandlungssatz ist ausschlaggebend für die Berechnung der Renten aus dem angesparten Vermögen. Die daraus resultierenden Einbussen bei den Renten will die Politik kompensieren. Wie die Kompensation ausgestaltet werden soll, darüber herrscht noch Uneinigkeit.

«Die Senkung des Umwandlungssatzes ist überfällig. Faktisch müsste er wahrscheinlich sogar noch tiefer ausfallen», sagt Dändliker. Gemäss der Swisscanto-Studie liegt der durchschnittliche Umwandlungssatz im Überobligatorium bereits heute bei rund 5.5 Prozent.

Das zweite Anliegen der BVG-Reform ist, Geringverdienende besser abzusichern. Dazu sollen der sogenannte Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle gesenkt werden. Der Koordinationsabzug ist massgebend für die Höhe des Lohns, der in der zweiten Säule versichert wird. Je tiefer der Abzug, desto höher der versicherte Lohn. Die Eintrittsschwelle legt fest, ab welcher Lohnhöhe in die zweite Säule eingezahlt wird.

Diese Bestrebungen seien zwar richtig, lösten das Problem von Geringverdienenden und Teilzeitarbeitenden aber nur teilweise. Oder wie es Heini Dändliker formuliert: «Die Senkung des Koordinationsabzugs trägt dem Problem zwar Rechnung, aber nur bedingt. Betrachtet man die Entwicklung des Arbeitsmarktes, so werden Teilzeitstellen zunehmen. Wir brauchen langfristig Massnahmen, die diese Entwicklung aufnehmen und eine positive Wirkung für Teilzeiterwerbstätige in der Altersvorsorge haben.»

Potenzial für bessere Renditen

Die BVG-Reform, sollte sie erfolgreich sein, wird die Probleme in der zweiten Säule entschärfen; ob sie sie langfristig lösen kann, ist unklar. Einen wichtigen Beitrag dazu können gemäss Heini Dändliker auch die Beiträge aus den Anlagerenditen der Pensionskassen leisten. Dort verortet er ungenutztes Potenzial.

Laut der Swisscanto-Studie 2021 lag die durchschnittliche Rendite – trotz Pandemie und Börsen-Taucher im Frühjahr 2020 – bei rund 4%. Sie variierte allerdings stark zwischen den Kassen, ein Trend, den Swisscanto schon länger beobachtet. 2020 hatte die beste Kasse eine dreimal so hohe Rendite wie jene mit der schlechtesten Performance.

«Wie wichtig die Renditeseite für die zweite Säule ist, zeigt folgendes Rechenbeispiel: 0,6 Prozent mehr Rendite bzw. rund CHF 6 Mrd. pro Jahr würden den Rentenverlust infolge der Senkung des Umwandlungssatzes kompensieren», sagt Heini Dändliker. Um dieses Potenzial besser zu nutzen, plädiert er für eine Flexibilisierung der heutigen Anlage-Vorschriften. Diese geben den Kassen vor, welchen Anteil des Vermögens sie maximal in Aktien, Obligationen, Immobilien, Fremdwährungen, Infrastruktur und alternativen Anlagen halten dürfen.

«Die Vorschriften sind unserer Ansicht nach zu starr. Unser Wunsch ist nicht, die Vorschriften komplett abzuschaffen. Vielmehr sollten sie aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen der verschiedenen Pensionskassen flexibilisiert werden.»

Private Vorsorge umso wichtiger, aber auch kein Allerheilmittel

Mit den Herausforderungen, vor deren die erste und zweite Säule stehen und den nur langsam voranschreitenden Reformen, rückt die dritte in den Fokus. Für Heini Dändliker ist klar: «Gibt es keine Reform, muss die oder der Einzelne mehr für die private Altersvorsorge tun». Aber nicht alle haben den finanziellen Spielraum für die private Vorsorge. Deshalb sind Reformen in der Altersvorsorge gerade für Geringverdienende zentral. Auch wenn die aktuellen Reformen erfolgreich abgeschlossen werden können, es werden nicht die Letzten sein. Davon ist auch Heini Dändliker überzeugt: «Damit auch tiefere Einkommen besser versichert sind, braucht es weitere Reformen für eine langfristig stabile Altersvorsorge. Gerade diese Menschen sind auf eine sichere Rente angewiesen und dafür müssen wir die richtigen Voraussetzungen schaffen.»

Baustelle Altersvorsorge

Mit Reformen der Altersvorsorge hat sich die Schweiz in den letzten 25 Jahren schwergetan. Die letzte Revision der AHV fand im Jahr 1997 statt. Die letzte BVG-Reform ist 15 Jahre her. Seither sind alle Reformen entweder im Parlament oder vor dem Stimmvolk gescheitert. Aktuell stehen in allen drei Säulen Anpassungen auf der politischen Agenda. Die Reform der AHV (AHV 21) steht kurz vor dem Abschluss. Kern dieser Reform ist die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre sowie eine Erhöhung der MwSt. zur längerfristigen Finanzierung der 1. Säule. Kernelemente der BVG-Reform sind die Senkung des Mindestumwandlungssatzes sowie Anpassungen beim Koordinationsabzug und den Altersgutschriften. Hauptstreitpunkt der Reform ist die Frage, wie die sinkenden Renten kompensiert werden sollen. Dazu stehen verschieden umfangreiche Vorschläge im Raum. Ein Vorschlag würde alle künftigen Bezügerinnen und Bezüger kompensieren, ein anderer nur jene deren obligatorische Rente tatsächlich sinkt und ein Dritter alle die weniger als eine halbe Million Altersvermögen angespart haben. Durch die Probleme in den ersten beiden Säulen, gewinnt die dritte an Bedeutung. Das hat auch die Politik realisiert und aufgegriffen. So soll beispielsweise in die dritte Säule auch nachträglich eingezahlt werden können. Das Parlament stimmte einem politischen Vorstoss, der das forderte, im Sommer 2020 zu.