Herr Bach aus Bülach sitzt im Zug nach Küsnacht. Still und einsam schaut er durch die Scheibe auf die vorbeiziehende Landschaft. Seine Frau ist vor ihm gegangen. Auf dem winzigen, grauen, dem grossen Zugfenster vorgelagerten Tischchen steht eine dampfende Thermosflasche mit dazugehörigem Aluminiumbecher, gefüllt mit selbst gebrautem Tee. Die Geschmackssorte: getrocknetes Vergissmeinnicht mit Vanille und einem Extrakt aus ihren Lieblingsbüchern. Ja, Sie haben richtig gelesen, aus ihren Lieblingsbüchern. Einige Zeilen aus «Wintersonne» von Rosamunde Pilcher und eine Prise aus den «Weihnachtsgeschichten» von Charles Dickens.
So wie andere einen Schrebergarten bepflanzen, Steine und Leinwände bemalen oder eine Modelleisenbahn in ihrem Keller betreiben, so hat Herr Bach seine Leidenschaft für das Sammeln, Trocknen, Kombinieren und Trinken besonderer Teesorten für sich entdeckt. Dabei stellt er die Brösel ins Glas und schwemmt sie auf. Bringt sie zum Schweben, zum Tanzen und zum Kreisen. Bis sie in sich zusammenfallen und in diesem Prozess ihre Seele auf das Wasser übertragen.
Es sind vor allem seine Lebenserinnerungen, aus denen Herr Bach die unterschiedlichsten Teesorten erstellt. So trocknet er die Blüten von Rosen, Jasmin und Löwenzahn, die er seiner Frau jeweils von der Blumenwiese bei der Sternwarte mitgebracht hat, und verwandelt diese in buntriechende Geschmacksorgien. Sein Darjeeling der Sehnsucht, der Liebe und der Erinnerung stammt von einer alten Kinokarte aus dem Jahre 1997. Kurz nachdem das letzte ihrer Kinder ausgezogen war, besuchten sie im Kino ABC eine Vorstellung von «Titanic». Aus dem Sand des Spielplatzes beim Stadtweiher, da, wo sie gar manchen Sonntag mit der pausbackigen Enkelin verbrachten, destilliert er den Tee der Jugend und der Unbekümmertheit, und aus dem zerriebenen Stundenzeiger einer antiken Wanduhr des Uhrmacherateliers gewinnt er den Aufguss der Geduld. Selbst gemachter Tee aus Bülach: Hiervon trägt er immer mehrere Sorten mit sich. Seine Heimat, die liegt ihm sehr am Herzen. Genauso, wie es seine Frau immer tat.