Fabienne Hess: Am seidenen Faden
Fabienne Hess spürt etwas auf, ohne dass es bewusst detektivisch wäre.
Text: Markus Wanderl | aus dem Magazin «ZH» 3/2025
Ist ein Kunstwerk für die Ewigkeit bestimmt? Oder doch nicht? Es gerät nun ein grösseres Seidentuch in den Blick, das einerseits an seinen Seiten bereits ausfranst. Wie nahe Fortdauer und Vergänglichkeit doch beieinanderliegen können: Fabienne Hess zeigt es mit «Betty» aus ihrer «Corrupted Silk Portrait Series» nur allem Anschein nach anschaulich – es macht der Zürcher Künstlerin nichts aus, dass dereinst das Schicksal entscheiden wird. Weil: Hochwertiges Seidentuch ist andererseits langlebig.
Im Ursprung ist da jenes ikonische Bild, Gerhard Richters fotorealistisches Porträt seiner Tochter Betty, deren Blick sich abwendet und also gen Hintergrund gerichtet ist. Doch sind Namen hier Schall und Rauch. Es hätten auch andere sein können. Aber es ist hier nun einmal Richters «Betty», und die Geschichte dieses Werks lautet in Kurzform: analoges Foto, Öl auf Leinwand, später digitalisiert, weitergegeben und sodann im Netz millionenfach betrachtet. Aber weit gefehlt, zu glauben, Fabienne Hess stiesse auf solche Dateien als bewusste Sammlerin, vielmehr sind es digitale Zufälle – Fragmente, die etwa in den Tiefen eines Computerspeichers überleben. Mit einer Recovery-Software hebt Fabienne Hess solche wie arbiträren Bilder wieder hervor. Und es entstehen Störungen dabei: «Betty» halb verhüllt, die Farben verpixelt, der Moment der Körperdrehung allenfalls erahnbar.
Doch Fabienne Hess belässt es eben nicht im Virtuellen, sondern sie hat hier die beschädigte Datei per Digitaldruck auf jenes Seidentuch übertragen. Zwei Ränder sind sauber gesäumt, zwei bewusst offen, sodass die Fäden weiter ausfransen werden. Die digitale Spur findet sich ins Analoge übersetzt, mitsamt allen Brüchen und auch der Anmut des Unfertigen. Das Tuch bewegt sich, wenn die Luft es nur streift – wie ein Atemzug, der Erinnerung in sich trägt.
«Dataset of Loss»
Zum Werk der Künstlerin Fabienne Hess (45), ist unlängst ein Buch erschienen: «Dataset of Loss». Es geht um den Verlust in Archiven, im Alltag und maschinelles Sehen. 60 Seiten. Farbabbildungen. ISBN 978-3-03746-268-3, 32 Franken.
Serie «Kunstpause»
Die Zürcher Kantonalbank sammelt Zürcher Gegenwartskunst. Damit fördert sie die Kreativwirtschaft im Sinne des Leistungsauftrags. Ob Malerei, Zeichnung, Videokunst, Skulptur oder Kunst am Bau: Die Werke sind im ganzen Kanton in den Räumlichkeiten der Bank ausgestellt.
In der Serie «Kunstpause» geben wir Einblick in die Sammlung und porträtieren jeweils eine Künstlerin oder einen Künstler und stellen ein Werk vor.