Aktien: China oder Indien?

Indien verfügt über grosses wirtschaftliches Potenzial. Strukturelle Hindernisse verhindern jedoch dessen volle Entfaltung. Premierminister Modi will von der Schwäche Chinas und einer Diversifizierung der globalen Wertschöpfungsketten profitieren und hat Öffnungsschritte und Reformen eingeleitet. Auch wenn sich die Situation nicht von heute auf morgen ändern wird, wird sich Indien auf seine Weise entwickeln. Lesen Sie mehr dazu im Beitrag von Anlagespezialist Jens Schweizer.

Text: Jens Schweizer

Jens Schweizer
«Premierminister Modi will Indien bis 2047 in einen Industriestaat verwandeln und erkennt die zu überkommenden Hindernisse besser als seine Vorgänger», erklärt Jens Schweizer. (Bild: Andreas Guntli)

China hatte wirtschaftlich betrachtet keinen guten Start ins Jahr. Nach einem bereits miserablen 2023 versucht die chinesische Regierung, die Aktienmärkte zu beruhigen. Internationale Anlegerinnen und Anleger suchen derweil nach Alternativen. Der indische Aktienmarkt schien zu Jahresbeginn besonders gefragt zu sein. Ist dieser tatsächlich ein valabler Ersatz?

Grundsätzlich folgt die Börsenkapitalisierung des indischen Aktienmarkts der volkswirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Indien wächst aktuell mit über 7 Prozent im Jahr und gehört damit zu den wachstumsstärksten Volkswirtschaften der Welt. Indien profitiert massgeblich von einer grossen, jungen und stark wachsenden Bevölkerung sowie niedrigen Lohnkosten.

Verschiedene Hindernisse haben jedoch bisher die Entfaltung des vollen Potenzials behindert. Trotz des weltweit bekannten IT-Sektors sind immer noch rund 40 Prozent der Erwerbstätigen im Agrarsektor beschäftigt. Dieser ist ressourcenintensiv und vergleichsweise unproduktiv, bildet aber eine wichtige Wählerbasis. Höhere Bildung ist einer ausgewählten Elite vorbehalten, das Qualifikationsgefälle innerhalb der Bevölkerung ist gross. Weiter ist die Innovationsfähigkeit gering und der Industriesektor deutlich unterentwickelt. Ausladende Bürokratie behindert die unternehmerische Tätigkeit. Nach aussen ist Indien protektionistisch, was den Wissenstransfer und ausländische Investitionen erschwert.

Reformen und Öffnungsschritte notwendig

Der Binnenmarkt ist zwar gross, es fehlt aber eine kaufkräftige Mittelschicht. Hinzu kommen die Herausforderungen, die sich aus den kulturellen Unterschieden im Land ergeben. Indien fliegt zum Mond und trotzdem leben viele Menschen in Armut. Indien ist ein Land der Gegensätze, aber auch der Chancen. Es braucht jedoch Öffnungsschritte, Bildungsinitiativen und Privatisierungen.

Indien zum Industriestaat entwickeln

Im Mai 2024 finden Wahlen statt, die voraussichtlich zu einer dritten Amtszeit von Premierminister Narendra Modi führen werden. Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, Indien bis 2047 in einen Industriestaat zu verwandeln, und erkennt durchaus die zu überwindenden Hindernisse. Einzelne Reformen und Öffnungsschritte sind im Gange. Die Schweiz konnte beispielsweise kürzlich ein lang stagnierendes Freihandelsabkommen endlich unterzeichnen, weitere Länder werden folgen. Auch in die Infrastruktur wird stark investiert. Die Situation kann und wird sich aber nicht von heute auf morgen grundlegend ändern. Dennoch erinnert sie an China vor einigen Jahrzehnten. Indien verändert sich aber auf seine Weise.

Sportliche Bewertung, ansprechende Gewinnentwicklung

Der heimische Aktienmarkt war in den letzten Jahren jedenfalls scharf wie ein indisches Curry. Von den letzten zehn Börsenjahren präsentierten sich neun in lokaler Währung positiv. Laut Bloomberg konkurriert der indische Aktienmarkt derzeit mit Hongkong um den vierten Platz unter den grössten Aktienmärkten. In den investierbaren Indizes sind Finanzdienstleister am stärksten vertreten, gefolgt von Unternehmen der Bereiche IT, zyklischer Konsum und Energie. Die Bewertungen der Aktien sind sportlich, aber nicht exorbitant. Die erwartete Gewinnentwicklung indischer Unternehmen ist fast wie aus einem Bollywood-Film. Sie ist deutlich besser als vor einem Jahr und übertrifft globale Benchmarks bei Weitem. Für ausländische Investorinnen und Investoren gilt es dabei, die Entwicklung der indischen Rupie im Auge zu behalten.

China und Indien

Die aktuelle Euphorie um indische Unternehmen mahnt zwar kurzfristig zur Vorsicht, jedoch lohnt es sich, Indien zumindest auf dem Radar zu haben. Indien ist kein Ersatz für China, aber eine beachtenswerte Ergänzung. Um die in der Überschrift gestellte Frage zu beantworten: China und Indien.

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