Zum Hauptinhalt springen

Seltene Erden: Chinas Trump(f)karte

Es ist bemerkenswert: Noch im April betrugen die US-Zölle auf chinesische Importe kurzzeitig astronomische 145%. Jetzt kommt China schon zum zweiten Mal in den Genuss einer Verlängerung der Zollverhandlungen. Andere Länder, darunter auch die Schweiz, bekamen nicht so viel Zeit eingeräumt und einen happigen Zoll aufgebrummt. Irgendeine Superkraft scheint China also zu haben. Welche könnte das sein? Viele Beobachter vermuten dahinter die Rohstoffgruppe mit dem ominös anmutenden Namen «seltene Erden». Was sind das für Stoffe? Warum sind sie so wichtig, und welche Rolle spielt dabei China?

Text: Silke Humbert

Bild: Getty Images

Entmystifizierung der seltenen Erden

Der erste Irrglaube, den man über Bord werfen muss, wenn man über seltene Erden spricht, ist, dass sie selten seien. Ihr Vorkommen ist ausreichend, allerdings ist es aufwendig und teuer, sie zu extrahieren und aufzubereiten. Insgesamt handelt es sich um 17 chemisch verwandte Elemente, die für unterschiedliche Zwecke zum Einsatz kommen. Aufgrund ihrer optischen Eigenschaften werden sie für die Herstellung von Smartphone-Displays und Lasern benutzt. In Kriegsmaterial wie Kampfflugzeugen und bei medizinischen Verfahren wie der Magnetresonanztomographie kommen ihre magnetischen Eigenschaften zum Einsatz. Etwa 20% der Verwendung seltener Erden entfallen auf emissionsarme Mobilität wie Elektroautos oder grüne Energie in Windturbinen. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass sich die mit der Energiewende verbundene Nachfrage nach seltenen Erden bis zum Jahr 2050 verdoppeln oder gar verdreifachen könnte.

Chinas Dominanz bei seltenen Erden

Wenn aber seltene Erden tatsächlich reichlich vorkommen, warum kann China sie dann als Druckmittel in den Zollverhandlungen mit den USA einsetzen? China hat die Gewinnung und Aufbereitung seltener Erden vor etwa 40 Jahren zur strategischen Priorität erklärt. «Der Mittlere Osten hat Öl, China hat seltene Erden», soll Deng Xiaoping in den 1980er-Jahren gesagt haben. Das Reich der Mitte kann sie daher mittlerweile sehr günstig liefern. Minen und Aufbereitungsfabriken ausserhalb Chinas hingegen konnten kommerziell nicht mithalten und mussten schliessen. Frankreich zum Beispiel war bis in die 1980er-Jahre für bis zu 50% der globalen Aufbereitung seltener Erden zuständig. Doch das ist längst Geschichte. Heute werden über 60% der seltenen Erden in China abgebaut. Ihre Aufbereitung findet sogar zu 90% in China statt (Grafik 1).

China dominiert Abbau und Aufbereitung

Quellen: Zürcher Kantonalbank, BNEF

Das Dilemma mit den Abhängigkeiten

Aktuell benutzt China die seltenen Erden durch Exportkontrollen oder Embargos als Druckmittel. Offensichtlich mit Erfolg, wie die erneute Zollpause zeigt. Sowohl in den USA als auch in Europa ist die Abhängigkeit von seltenen Erden zwar schon länger auf dem Radar, ein alternatives Angebot konnte bis jetzt trotzdem nicht entwickelt werden. Zum einen braucht der Aufbau von Mineninfrastruktur Zeit, zum anderen ist er kostspielig. Ohne grosszügige staatliche Unterstützung ist er finanziell nicht tragbar – zu gross ist der chinesische Mengen- und Erfahrungsvorsprung. Insofern befinden sich alle westlichen Staaten in einem Dilemma: Das Vermeiden von Abhängigkeiten wird als enorm wichtig angesehen, hat aber seinen Preis. Sofern die Abhängigkeit nicht ausgenutzt wird, scheinen sich die Kosten für deren Reduktion nicht zu lohnen, und der Aktionsdrang erlahmt. Es ist in etwa so, wie wenn nach einem Regenschauer die Sonne wieder scheint und man hinaus ins Freie tritt. Die meisten vergessen, den zuvor im Schirmständer untergebrachten Regenschirm wieder mitzunehmen.

Kategorien

Anlegen