Fachkräftemangel: «Ich glaube, wir müssen mehr tun»

Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist tief, besonders im Kanton Zürich. Das stellt KMU vor grosse Herausforderungen. Zwei Unternehmer und eine Unternehmerin berichten, wie der Mangel an Fachkräften ihren Betrieb beeinflusst – und was sie tun, um Mitarbeitende zu finden und zu halten.

Interview: Bettina Bhend / Bilder: Michael Calabrò

Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. Sie auch?

Markus Bellwald: Ja. Wir erhalten kaum Bewerbungen auf offene Stellen für Zeichner. Gehen trotzdem welche ein, verfügt vielleicht einer von 20 über die erforderlichen Qualifikationen.

Marc Hunziker: Bei mir ist die Situation nur bedingt besser. Im Bereich Sachbearbeitung und Logistik finde ich mit etwas Aufwand die passenden Leute. Für technische Positionen, die bei uns auch etwas Verkaufstalent erfordern, melden sich hingegen keine Kandidaten.

Sara Hochuli: Ich kann mich nicht beklagen. Andere Gastrobetrieben kämpfen seit Corona mit Personalmangel. Ich darf eine Warteliste mit Leuten führen, die gerne bei uns arbeiten möchten.

Wie erklären Sie sich das?

Sara Hochuli: In der Gastronomie sind die Arbeitsbedingungen nicht überall attraktiv. Da setze ich an und biete ein Umfeld, das die Mitarbeitenden motiviert. Es braucht nicht viel, um herauszustechen.

Von Wartelisten können viele Unternehmen nur träumen. Welche Folgen hat der Fachkräftemangel für den Alltag im Betrieb?

Marc Hunziker: Die Wirtschaft schwächelt. Deshalb können wir die Situation momentan gerade noch stemmen. Ich habe momentan die Leute, die ich brauche. Aber Wachstum oder ein Ausbau der Geschäftstätigkeit ist aufgrund beschränkter Ressourcen aktuell kein Thema.

Markus Bellwald: Bei uns steigt die Arbeitsbelastung pro Mitarbeiter. Entsprechend halte ich mich bei der Akquise neuer Projekte zurück. Aufgrund der Arbeitsbelastung steigt die Gefahr von Verzögerungen, ein auf Donnerstagabend versprochener Plan wird dann vielleicht erst am Montag fertig.

Ich habe momentan die Leute, die ich brauche. Aber Wachstum oder ein Ausbau der Geschäfts­tätigkeit ist aufgrund beschränkter Ressourcen aktuell kein Thema.

Marc Hunziger, CEO Ineltro AG

Was tun Sie, um Mitarbeitende bei sich zu halten?

Sara Hochuli: Ich lege viel Wert auf ein angenehmes und diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld, gerade für Frauen. Was uns dabei hilft: Wir haben eine Nische gefunden und unsere Gäste kommen nicht zufällig, sondern ganz bewusst zu uns. Ihre Wertschätzung für unsere Arbeit ist entsprechend hoch. Das wirkt sich auf ihre Zahlungsbereitschaft aus – und auch auf die Löhne und die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen.

Markus Bellwald: Auch wir tun schon viel: Wir haben flexible Arbeitszeiten, eine grosszügige Ferien- und Freitagregelung und bieten auch bei Elternschaft mehr als der Gesetzgeber verlangt. Trotzdem hatten wir letztes Jahr zwei Abgänge, die ich so nicht erwartet hatte.

Sie könnten also noch mehr tun?

Markus Bellwald: Wahrscheinlich schon. Vielleicht sollte ich öfter mit meinen Mitarbeitenden darüber sprechen, welche Pläne sie haben, was sie sich wünschen und wie sie sich beruflich weiterentwickeln möchten. Aber besonders die Zeichnerlehre ist extrem breit gefächert. Es ist schwierig, mit allen Karrierepfaden zu konkurrieren, die jemand nach dieser Ausbildung einschlagen kann.

Marc Hunziker: Ich glaube auch, dass wir mehr tun müssen. Auch wir werden nicht um Arbeitstrends wie Homeoffice herumkommen – auch wenn ich kein grosser Fan davon bin. Vor allem nicht, weil ich nicht alle Leute gleich behandeln kann: Wer in der Administration arbeitet, kann dies im Homeoffice tun. Jemand im Lager hat diese Möglichkeit nicht.

Wertschätzung wirkt sich auf die Zahlungs­bereitschaft der Kundschaft aus – und auch auf die Zufrie­denheit meiner Mitarbeiterinnen.

Sara Hochuli, Inhaberin Miyuko GmbH

Welche Chancen bietet Ihnen die Digitalisierung bei der Lösung dieser Probleme?

Marc Hunziker: Die Digitalisierung wird uns sicher entlasten – aber nicht in jedem Berufsfeld und vor allem nicht gratis. In der Logistik lässt sich einiges digitalisieren, ja. Aber letztlich braucht es Menschen, die Güter von A nach B transportieren. Hinzu kommt: Es mangelt ja besonders in technischen Berufen an Fachkräften – also jenen, die bei der Digitalisierung federführend sein sollten.

Entsprechend mehr müssen Sie in die Suche nach neuen Mitarbeitenden investieren. Was tun Sie, um Leute zu finden – gerade junge Talente?

Markus Bellwald: Wir bilden selber Lehrlinge aus und sind auf den Kanälen präsent, die junge Leute nutzen. Zeichner etwa können sich ganz einfach via Social Media bewerben. Das wird auch genutzt. Leider erfüllen die wenigsten die Voraussetzungen – fast niemand konnte eine abgeschlossene Zeichnerlehre vorweisen.

Marc Hunziker: Auch wir gehen neue Wege. Seit kurzem arbeiten wir mit einer Agentur, die ein Webportal betreibt. Dort können sich Fachkräfte für bestimmte Jobprofile freischalten. Dabei sehe ich: Die Leute sind zwar da, aber ihr Interesse an unserer Vakanz ist sehr bescheiden.

Spielt es eine Rolle, dass Sie alle sehr kleine KMU führen?

Markus Bellwald: Bis zu einem gewissen Grad schon. Der Fachkräftemangel fordert die gesamte Branche, aber es sind vor allem grössere Arbeitgeber, die junge Talente anziehen und diese mit höheren Löhnen und sonstigen Vorteilen ködern.

Sara Hochuli: Klein zu sein, ist für mich kein Nachteil. Ich bin Gastronomin aus Leidenschaft und nicht Gastro-Unternehmerin. Einen kleinen Betrieb zu führen erlaubt es mir, meine Ziele anders zu setzen – nicht nur finanziell, sondern eben auch persönlich.

Wir werden wohl nicht darum herumkommen, Jobprofile zu öffnen.

Markus Bellwald, Geschälftsleitung Bellwald Architekten AG

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Markus Bellwald: Wir werden wohl nicht darum herumkommen, unsere Jobprofile zu öffnen. Vielleicht gibt es Designerinnen oder Zimmerleute, die zwar keine formelle Ausbildung im Architekturbereich haben, aber als Quereinsteiger geeignet sein könnten.

Sara Hochuli: Ich mache damit gute Erfahrungen: Im Service sind bei mir nur Quereinsteigerinnen im Einsatz. Wichtiger als eine Fachausbildung ist für mich, dass die Personen ins Team passen.

Marc Hunziker: Quereinsteiger einarbeiten kostet viel Zeit – ohne dass man Gewähr hat, dass sie im Betrieb bleiben. Viele meiner Mitarbeitenden sind schon älter, somit muss jetzt beginnen, ihre Ablösung zu planen und ihre Nachfolger aufzubauen.

Welche Unterstützung brauchen KMU, damit das gelingt?

Marc Hunziker: Ich wünsche mir, dass technische Berufe wieder attraktiver werden – auch für Frauen. Dazu beitragen können Schulen, aber natürlich auch Berufsverbände.

Markus Bellwald: Ich finde, die Politik könnte bei Submissionsverfahren noch mehr tun. Anstatt immer einfach das günstigste Angebot zu wählen, könnte man mehr auf lokale Verankerung achten. Das würde vielen KMU helfen.

Sara Hochuli: Natürlich gibt es Verbesserungspotenzial, auch was Reglemente und Gesetze betrifft. Aber ich fühle mich hier im Vergleich zum Ausland als KMU sehrwohl wertgeschätzt. In der Schweiz im Allgemeinen und in Zürich im Besonderen.