Neues Erbrecht: Mehr Geld für die Liebsten

Am 1. Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Erblasser erhalten dadurch mehr Freiheiten, über ihren Nachlass zu verfügen. Livia von Burg, Erbschaftsberaterin der Zürcher Kantonalbank, erklärt, welche Änderungen vorgesehen sind und wer was unternehmen soll.

Interview: Pascal Trüb | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 2/2021

Wer erhält wie viel? Per Januar 2023 tritt ein revidiertes Erbrecht in Kraft, das die Nachlasssituation vieler Familienkonstellationen neu regelt. Eine Überprüfung des eigenen Testaments ist notwendig. (Bild: plainpicture/Lubitz + Dorner)

Wem nützt die Erbrechtsrevision?

Livia von Burg: Personen, die ihr Vermögen nach ihren eigenen Wünschen vererben möchten. Sie haben künftig einen grösseren Gestaltungsspielraum. Oft besteht der Wunsch bei Ehegatten oder Lebenspartnern, sich gegenseitig in einem Testament oder Erbvertrag bestmöglich zu begünstigen. Dabei müssen sie aber die gesetzlichen Mindest-Erbquoten – die Pflichtteile – von Nachkommen oder Eltern beachten. Im Zuge der Erbrechtsrevision werden diese nun verkleinert.

Konkret?

Ein kinderloses Konkubinatspaar lebt in einem Eigenheim. Darin ist ein Grossteil des Vermögens gebunden. Die Eltern des Paares leben noch. Stirbt einer der Partner, erben die Eltern nach Gesetz den gesamten Nachlass – der andere Partner geht leer aus. Was geschieht nun mit dem Eigenheim? Kann der überlebende Partner darin bleiben? Ist er finanziell in der Lage, den Anteil der Eltern abzukaufen? Eine Absicherung des Partners ist hier ratsam. Mit einem Testament können sich die Lebenspartner unter dem neuen Erbrecht gegenseitig das ganze Vermögen vererben, da Eltern künftig keinen Pflichtteil mehr haben. Heute beträgt dieser die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.

Livia von Burg, Erbschaftsberaterin (Bild: Flavio Pinton)

Die Revision sieht nur kleinere Pflichtteile vor, ändert an der gesetzlichen Erbfolge aber nichts. Was ist der Unterschied?

Die gesetzliche Erbfolge kommt immer dann zum Zug, wenn die verstorbene Person keine abweichende Regelung in einem Testament oder Erbvertrag getroffen hat. Sie legt fest, wer in welchem Umfang erbberechtigt ist. Mit einem Testament oder Erbvertrag kann die Verteilung des Erbes nach den eigenen Vorstellungen geregelt werden. Dabei ist man allerdings durch die Pflichtteile einge­schränkt. Werden diese verletzt, können sie gerichtlich eingeklagt werden.

Was ist die Motivation hinter der Revision?

Das heutige Erbrecht datiert aus dem Jahr 1912. Es orientiert sich vornehmlich an damals vorherrschenden Familienkonstellationen – also an verheirateten Paaren mit leiblichen Kindern. Heute jedoch lassen sich Paare scheiden, leben mit neuen Partnern im Konkubinat zusammen, haben Stiefkinder oder gemeinsam weitere Kinder oder heiraten gar nicht erst. Bei diesen Formen des Zusammenlebens stösst das heutige Erbrecht an seine Grenzen.

Sie erwähnten ein kinderloses Paar. Für wen ändert sich etwas durch die Revision?

Für alle, die Nachkommen oder Eltern als gesetzli­che Erben hinterlassen. Bei Nachkommen sind heute drei Viertel ihres gesetzlichen Erbanspruchs pflichtteilsgeschützt. Künftig ist es nur noch die Hälfte. Der Pflichtteil für die Eltern entfällt ganz. Dadurch vergrössert sich die frei verfügbare Quote. Das ist der Anteil, den der Erblasser frei verteilen kann. Ebenfalls neu: Ehegatten verlieren ihren gegenseitigen Pflichtteilsanspruch bereits bei der Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen, nicht aber das gesetzliche Erbrecht. Dies ermöglicht während des Scheidungsverfahrens jedem Ehegatten, den anderen mit einem Testament vom Erbe auszuschliessen.

Wann tritt das revidierte Erbrecht in Kraft?

Am 1. Januar 2023 – der Bundesrat hat das Inkrafttreten bestimmt.

Was sollte man bis dahin unternehmen?

Überprüfen Sie Ihr Testament, ob es nach Inkrafttreten der Revision noch Ihrem (letzten) Willen entspricht. Ohnehin empfehle ich, in jeder neuen Lebensphase zu überdenken, ob die letztwillige Verfügung noch den eigenen Wünschen entspricht, dies unabhängig von Gesetzesänderungen.

Inwiefern könnte die Gesetzesrevision den ursprünglich beabsichtigten Willen im Testament verändern?

Ein Beispiel: Lebt nur noch ein Elternteil mit Kindern, sehe ich in der Praxis manchmal, dass diese auf den Pflichtteil gesetzt sind. Zu Lasten der frei verfügbaren Quote werden andere Erben eingesetzt wie Enkel oder Institutionen. Bei einem Nachlassvermögen von 500'000 Franken erhalten die Kinder heute insgesamt 375'000 Franken als Pflichtteil, ab 2023 nur noch 250'000 Franken. Das ist eine wesentliche Differenz.

Der Umgang mit dem Tod ist nichts Einfaches. Wie erleben Sie Ihre Kunden?

Die einen sind pragmatisch und wissen, dass man das Thema angehen muss. Andere schieben es lange vor sich her. Sie sind dann aber erleichtert, wenn sie den Schritt getan und wir eine Lösung erarbeitet haben. Meist sind die Lösungen und somit auch die Testamente nicht sehr komplex. Wichtig für die Kunden ist, dass sie ihren Wünschen entsprechen, rechtlich einwandfrei formuliert sind und die Wünsche in der Praxis umsetzbar sind.

Wer sollte ein Testament aufsetzen?

Jede und jeder. So einfach die familiären Verhältnisse scheinen, mit einem Testament kann man für Hinterbliebene viele Fragen aus dem Weg räumen.

Haben Sie ein Testament gemacht?

Letztes Jahr habe ich geheiratet. Um uns gegenseitig abzusichern, haben wir einen Ehevertrag abgeschlossen und je ein Testament verfasst.

Was hat ein Ehevertrag mit der Nachlassregelung zu tun?

Ehegatten haben die Möglichkeit, bereits eherechtlich Vorkehrungen zu treffen: Beispielsweise können Ehegatten in einem Ehevertrag vereinbaren, dass das gesamte während der Ehe gemeinsam erarbeitete Vermögen, die Errungenschaft, im Todesfall an den überlebenden Ehegatten fällt. Ohne Ehevertrag würde die Hälfte der gesamten Errungenschaft in die Erbmasse fallen. Mit einem Ehevertrag kann somit die Höhe der Erbmasse und damit die Ansprüche der Erben beeinflusst werden.

Was soll ich beim Aufsetzen eines Testaments besonders beachten?

Leisten Sie sich eine gute rechtliche Beratung. Sie zahlt sich mit Sicherheit aus. Ich habe schon Personen beraten, die ein Testament von einer Vorlage im Internet verwendet, von Bekannten abgeschrieben oder einen Erbvertrag selbst entworfen haben. Das ist nicht zu empfehlen.

 

3 Tipps

Im Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Erblasser erhalten dadurch mehr Freiheiten, über ihren Nachlass zu verfügen.

Regeln Sie Ihren Nachlass unabhängig von Alter oder Familienverhältnissen

Befassen Sie sich frühzeitig mit dem Thema Vererben. Analysieren Sie Ihre eigene Situation und treffen Sie die nötigen Vorkehrungen. Die gesetzliche Erbfolge entspricht selten den eigenen Wünschen und Vorstellungen.

Ziehen Sie eine Fachperson bei und setzen Sie einen Willensvollstrecker ein

Testamente und Erbverträge sind rechtsgültige Dokumente, in denen die Formulierungen präzise sein müssen. Konsultieren Sie in jedem Fall eine Fachperson wie zum Beispiel die fachkundigen Beraterinnen und Berater der Zürcher Kantonalbank. Bestimmen Sie zudem einen neutralen Willensvollstrecker mit dem nötigen Fachwissen und Erfahrung, welcher die Abwicklung des Nachlasses übernimmt und die Erben in der Zeit der Trauer unterstützt und entlastet.

Bewahren Sie Ihr Testament sicher auf und überprüfen Sie es regelmässig

Bewahren Sie Ihre letztwillige Verfügung sicher auf und hinterlegen Sie sie bei der zuständigen Amtsstelle (Kanton Zürich: Notariat) oder beim Willensvollstrecker. Überprüfen Sie Ihr Testament regelmässig: Neue Lebenssituationen wie der Erwerb eines Eigenheims, grössere Vermögensveränderungen, das Erreichen des Rentenalters oder die Geburt von Enkelkindern verändern auch die Vorstellungen, wen man mit seinem Nachlass begünstigen möchte.

Kategorien

Vorsorge