Vermögensaufbau für den Ruhestand

Das Sparkonto lohnt sich im anhaltenden Tiefzinsumfeld nicht mehr. Im Rahmen der privaten Vorsorge setzen deshalb immer mehr Erwerbstätige auf langfristige Anlagelösungen, um Vermögen für den Ruhestand aufzubauen. Iris Winzeler, Finanzplanerin der Zürcher Kantonalbank, und Chief Investment Officer Christoph Schenk sagen, worauf es dabei ankommt.

Interview: Ralph Hofbauer, Bild: Selina Meier | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 2/2020

Liquidität, die nicht benötigt wird, kann man gewinnbringend anlegen. Besonders in der privaten Vorsorge. Unter Berücksichtigung der eigenen Risikofähigkeit und Pensionierungsplanung kann man auch in turbulenten Börsenzeiten ruhig schlafen.

Anlegen kann den Vermögensaufbau unterstützen. Muss man bei der privaten Vorsorge vermehrt Risiken eingehen, seit sich Sparlösungen nicht mehr lohnen?

Christoph Schenk: Ohne Risiko gibt es grundsätzlich keine Rendite. Es stimmt, der Fokus hat sich definitiv vom Sparen hin zum Anlegen verschoben. Das bedeutet aber nicht, dass man sein Vermögen aufs Spiel setzen muss. Mit der richtigen Strategie und den passenden Produkten sind die Risiken überschaubar. Dies hilft, in schwierigen Börsenphasen die Ruhe zu bewahren.

Wie viel Geld kann man guten Gewissens anlegen, ohne den finanziellen Spielraum zu sehr einzuschränken?

C.S.: In der Tendenz halten die meisten Leute mehr Liquidität als nötig. Wer seinen finanziellen Bedarf gut plant, kennt seinen Spielraum. Neben der Liquidität für geplante Ausgaben sollte man eine Reserve für Unvorhergesehenes definieren. Den Rest kann man investieren.

Gibt es eine Faustregel, wie hoch eine solche Reserve sein sollte?

Iris Winzeler: Das hängt von den geplanten Ausgaben und vom individuellen Sicherheitsbedürfnis ab. Für manche sind einige Monatslöhne das Minimum, für andere ein ganzes Jahreseinkommen.

C.S.: Mehr wäre auf jeden Fall zu viel. Wer heute Bargeld hortet, verliert langfristig Geld, weil die Teuerung über der Kontoverzinsung liegt. Zudem vergibt man sich Renditechancen.

Darauf kommt es an

Liquiditätsreserve definieren

Eine Liquiditätsreserve für geplante Ausgaben stellt sicher, dass genügend Mittel zur Verfügung stehen, um zum Beispiel eine Hausrenovation oder eine grössere Reise zu finanzieren. Zudem sollte man eine Liquiditätsreserve für Unvorhergesehenes wie Zahnarztrechnungen oder Autoreparaturen definieren.

Aufbau und «Entspar»-Konzept erarbeiten

Mit einer sorgfältigen Finanzplanung lässt sich ein Sparziel für den Vermögensaufbau ermitteln. Da es nach der Pensionierung meist zu einem Vermögensverzehr kommt, gilt es zu definieren, wann wie viel Liquidität benötigt wird. So können gezielte Entnahmen aus dem Portfolio geplant werden.

Mit vorsichtigen Nettorenditen planen

Renditen von Anlagen sind nur bedingt planbar. Schwankungen aufgrund der Marktentwicklung lassen sich mit einer vorsichtigen Planung auffangen. Da Anlagen stets auch Kosten wie zum Beispiel Depot­gebühren verursachen, sollte man immer nur mit Nettorenditen planen.

Finanzplan regelmässig überprüfen

Der Finanzplan sollte periodisch überprüft und bei grösseren Veränderungen angepasst werden. Bei Ereignissen wie einer Erbschaft, Arbeitslosigkeit, einer Krankheit oder Veränderungen der beruflichen Situation muss der Plan überarbeitet werden – am besten mit professioneller Unterstützung.

Wann sollte man mit dem Anlegen beginnen?

I.W.: Je früher, desto besser. Sobald überschüssige Liquidität vorhanden ist, sollte man diese zum Vermögensaufbau nutzen. Mit 50 Jahren ist es aber sicher noch nicht zu spät. Für den Vermögensaufbau hat man noch einige Jahre Zeit. Viele verfügen in dieser Lebensphase auch über die nötigen Mittel, weil die Kinder finanziell unabhängig werden.

Wie geht man das Projekt «Anlegen für die Pensionierung» am besten an?

C.S.: Die wichtigste Frage lautet: «Frühpensionierung oder nicht?» Damit sollte man sich spätestens zehn Jahre vor der ordentlichen Pensionierung auseinandersetzen. Diese Entscheidung bestimmt den Anlagehorizont. Je länger dieser beträgt, desto mehr Risiken sind bei der Anlagestrategie verkraftbar.

I.W.: Als nächstes sollte man eine solide Finanzplanung machen: Man ermittelt, wie viel Vermögen bis zur Pensionierung aufgebaut werden muss und definiert ein Sparziel. Dafür muss man sich die Übersicht verschaffen, wie sich die Einkommens- und Ausgabensituation auf die Pensionierung hin verändert und wie sich das auf die Vermögensentwicklung auswirkt. Das Sparziel ist natürlich auch stark vom Lebensstandard abhängig, den man vor und nach der Pensionierung anstrebt.

Wie lässt sich der Spielraum fürs Anlegen ermitteln?

I.W.: Ausgehend vom Finanzplan lässt sich ermitteln, wann wie viel Liquidität benötigt wird. Daraus ergibt sich wiederum der Anlagehorizont und die Höhe der Investitionen.

«Im aktuellen Zinsumfeld bringt Sparen quasi keine Rendite. Investitionen in Anlagelösungen steigern langfristig die Ertragschancen.»

Anlagespezialist Christoph Schenk ist Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank.

Dieses Jahr wurde uns durch die Auswirkungen der Pandemie wieder vor Augen geführt: Renditen von Anlagen sind nur bedingt planbar. Wie geht man mit dieser Ungewissheit um?

C.S.: Schwankungen gehören an den Finanzmärkten zum Alltag. Der Ungewissheit begegnet man mit der richtigen Anlagestrategie basierend auf der eigenen Risikobereitschaft und der konsequenten Portfoliodiversifikation. Man sollte stets auch die Kosten berücksichtigen und deshalb immer mit Nettorenditen rechnen.

Wie oft sollte man den Finanzplan überprüfen?

I.W.: Die Pensionierungsplanung ist wie ein Landeanflug. Man muss die aktuelle Position immer wieder mit derjenigen der Piste abgleichen. Am besten macht man das in regelmässigen Abständen. Bei Lebensereignissen wie einer Erbschaft, Arbeitslosigkeit oder einer Krankheit sollte man den Plan unbedingt überprüfen. Aber natürlich auch dann, wenn man sich beruflich neu ausrichtet.

Lohnt es sich, in der beruflichen Vorsorge statt der Rente das Kapital zu beziehen und dieses in Anlagen zu investieren?

I.W.: Die Entscheidung für oder gegen die Rente ist von vielen individuellen Faktoren abhängig. Von der familiären Situation bis hin zum Umwandlungssatz. Deshalb lässt sich diese Frage nicht pauschal beantworten.

C.S.: In vielen Fällen kann ein Teilkapitalbezug ein guter Kompromiss sein. So hat man mit der Teilrente ein sicheres Grundeinkommen und kann die übrigen Mittel selbst anlegen.

«Eine vorausschauende Planung der Pensionierung schafft Sicherheit auch in Bezug auf die optimale individuelle Vermögens­zusammensetzung.»

Vorsorgespezialistin Iris Winzeler ist Finanzplanerin bei der Zürcher Kantonalbank.

Im Ruhestand kommt es in der Regel zu einem Kapitalverzehr. Wie stellt man sicher, dass man stets über genügend Liquidität verfügt?

I.W.: Ein Vermögensverzehr-Konzept kann hilfreich sein, damit man weiss, wann wie viele Mittel benötigt werden. So lassen sich periodisch gezielte Entnahmen aus dem Wertschriftenportfolio festlegen, um die nötige Liquidität sicherzustellen. Ein solches Konzept hilft auch im Umgang mit Wertschwankungen verbunden mit einem Vermögensverzehr.

Ändert sich die Anlagestrategie nach der Pensionierung zwangsläufig?

C.S.: Der Vermögensverzehr bedingt meist ein defensiveres Anlageverhalten. Das muss aber nicht zwingend so sein. Wer es sich leisten kann, legt in dieser Phase bereits für die nächste Generation an.

I.W.: Mit einer guten Planung lässt sich ermitteln, welcher Vermögensteil langfristig nicht benötigt wird und somit auch risikoreicher angelegt werden kann.

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