«Für Unter­nehmen sind Netto-Null-Ziele hoch­relevant»

Der Finanzsektor nimmt eine wichtige Rolle in den Bemühungen um eine weltweit nachhaltige Entwicklung und Transformation hin zur Treibhausgasneutralität ein. Romina Schwarz, Leiterin Fachstelle Leistungsauftrag bei der Zürcher Kantonalbank, zeigt auf wo die Herausforderungen und die Chancen liegen.

Text: Pascal Trüb / Bild: Christian Grund

Aletschgletscher
Aufgrund des Klimawandels ziehen sich die Gletscher zurück – auch in der Schweiz. (Bild: Xavier von Erlach / Unsplash)

Frau Schwarz, Sie sind Leiterin Fachstelle Leistungsauftrag. Geht es um Nachhaltigkeit, dreht sich aktuell vieles um das Netto-Null-Ziel. Worum geht es und wo stehen wir als Gesellschaft?

Netto-Null bedeutet, dass wir global ab dem Jahr 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als wir speichern können – durch natürliche oder technische Vorgänge. Damit soll die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden. Denn diese ist längst deutlich spürbar: Wir haben bei uns Hitzewellen wie letzten Sommer,
Waldbrände in Europa, Überschwemmungen wie in Pakistan oder jüngst die Dürre am Horn von Afrika. Hitzeperioden oder Überschwemmungen gab es zwar schon immer. Klimawandel bedeutet aber, dass die Häufigkeit und Stärke der Ereignisse massiv zunehmen, auch in der Schweiz. Die Durchschnittstemperatur hat sich bei uns seit 1864 um rund 2 Grad Celsius erhöht – doppelt so stark wie im weltweiten Durchschnitt.

Es ist also ernst.

Doch die gute Nachricht ist: Das Ziel, die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis 2050 zu reduzieren, ist aus wissenschaftlicher Sicht möglich. Und die noch viel bessere Nachricht ist, dass es auch wirtschaftlich und technisch machbar ist. Gemäss Schätzungen (McKinsey, BCG) beträgt der globale und nationale Finanzierungsbedarf für die Transition rund zwei bis drei Prozent des BIP pro Jahr, was im Verhältnis zu den Kosten des Nichthandelns eine lohnenswerte Investition in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist.

Aber?

Die Herausforderung ist das Zeitfenster. Der Klimawandel erfordert gemeinsames entschlossenes Handeln der Weltgemeinschaft in diesem Jahrzehnt – also jetzt. Dies ist auch die wichtigste Botschaft des Weltklimarats vom 20. März 2023. Der Klimawandel zwingt uns alle, vernetzt und global zu denken; Zusammenarbeit ist gefragt, und zwar zwischen allen Akteuren: Politik, Realwirtschaft, Finanzwirtschaft, Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen und Konsumentinnen und Konsumenten. Netto-Null 2050 ist ein grosses gesellschaftliches Vorhaben – und wir sind Teil davon.

Welche Mechanismen werden durch das Bestreben in Gang gesetzt, das Netto-Null-Ziel zu erreichen?

Es gibt verschiedene Mechanismen, die aktuell zusammenspielen. Es gibt einerseits regulatorischen Druck und andererseits viele freiwillige, höchst ambitionierte Netto-Null-Ziele von Unternehmen. Regulatorisch gibt es neue Anforderungen an die Berichterstattung für Unternehmen mit mindestens 500 Vollzeitstellen und einer Bilanzsumme ab 20 Millionen Franken oder einem Umsatzerlös von über 40 Millionen Franken (vgl. Art. 964a OR). Sie müssen sich systematisch damit auseinandersetzen, wie Klimarisiken – physische, aber auch regulatorische oder technische – auf das eigene Geschäftsmodell wirken. Zudem müssen sie prüfen, wie ihre eigenen Produkte sich auf das Klima auswirken. Diese systematische Auseinandersetzung mit den Klimarisiken und Klimawirkungen – die sogenannte doppelte Wesentlichkeit – soll dazu führen, die Klimarisiken zu erkennen und zu minimieren und gleichzeitig die positive Klimawirkung mittels eigener Produkte und Dienstleistungen zu erhöhen. Seit Sommer 2017 hat die vom Finanzstabilitätsrat der G20 einberufene Task Force on Climate Related Financial Disclosure zu dieser Art Berichterstattung aufgerufen. Nun wird sie regulatorisch verbindlich.

Und die freiwilligen Massnahmen?

Die beeindrucken mich am meisten, denn sie bedeuten, dass ein Unternehmen seine gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt und sich aktiv dazu bekennt, seine unternehmerischen Fähigkeiten zukunftsfähig auszurichten – auch wenn der Weg zu Netto-Null 2050 nebst Geschäftsopportunitäten auch Herausforderungen beinhaltet. Je mehr Unternehmen sich freiwillig zu wissenschaftsbasierten Netto-Null-Zielsetzungen bekennen, desto mehr werden die Marktkräfte zukunftsgerichtet für die Transition freigesetzt. Die Anzahl von Unternehmen mit wissenschaftsbasierten Netto-Null-Zielsetzungen gemäss Science Based Target Initiative steigt rasant und umfasst bereits einen Drittel der global Marktkapitalisierung. In der Schweiz sind es bereits über 100 Unternehmen. Dieses ambitionierte Vorgehen bedeutet gleichzeitig, dass auch die Lieferketten betroffen sind. So wird die gesamte Wirtschaft erfasst. Für KMU, die Zulieferer sind, werden Netto-Null-Ziele hochrelevant.

Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Zürich?

Zürich gilt als Wirtschaftsmotor der Schweiz. Unsere Region ist deshalb prädestiniert, eine führende Rolle auf dem Weg zu Netto-Null 2050 zu spielen. Die Stärke des Wirtschaftsstandorts liegt in der einzigartigen Vernetzung von Wissenschaft, Wirtschaft und Finanzplatz – dies ist ideal für diese Transformation, die voller Geschäftsopportunitäten steckt und viele Innovationen hervorbringt. Da viele unserer Unternehmen exportorientiert sind, kommt uns zugute, dass der EU-Raum im Klimathema besonders rasch vorwärtsgeht. Klimafreundliche Produkte, Dienstleistungen und Technologien sind gefragter denn je.

Können Sie die Rolle der Konsumentinnen und Konsumenten noch einmal genauer beschreiben?

Die Transition zu Netto-Null muss von der Bevölkerung getragen werden. Die Bevölkerung des Kantons Zürich hat mehrfach an der Urne gezeigt, wie wichtig ihr das Klimathema ist. Im Mai 2022 wurde mit 67 Prozent Ja-Stimmen die Aufnahme des Klimaschutzartikels in die Kantonsverfassung beschlossen. Und im November 2021 sagten ebenfalls fast zwei Drittel Ja zum neuen kantonalen Energiegesetz und damit zum Ersatz der rund 120’000 Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen und andere klimaneutrale Heizungssysteme.

Welche Aufgabe kommt den Finanzdienstleistern in der Transition zu?

Der Finanzsektor kann eine wichtige Rolle in den Bemühungen um eine weltweit nachhaltige Entwicklung und Transformation hin zur Treibhausgasneutralität 2050 einnehmen. Finanzinstitute beraten, wenn Firmenkunden oder Private wichtige Finanzierungs- und Investitionsentscheide fällen. Die Klimaauswirkungen von Finanzierungs- und Anlageentscheiden müssen transparent sein. Denn Finanzentscheide sind selten neutral. Unsere Finanzierungs- und Investitionsentscheide haben eine positive oder negative Auswirkung auf das Klima. Mit einer Transparenz über die ökologischen, die wirtschaftlichen und die gesellschaftlichen Auswirkungen von Finanzentscheiden können wirklich informierte Entscheidungen gefällt werden. Nur so wird auch die kurzfristig gewinnorientierte Sichtweise überwunden werden.

Welchen Beitrag leistet die Zürcher Kantonalbank?

Die Zürcher Kantonalbank ist sich der wichtigen Rolle bewusst, die der Finanzsektor in den Bemühungen um eine weltweit nachhaltige Entwicklung und Transformation hin zur Treibhausgasneutralität 2050 einnehmen kann. Wir sind die Bank aller Zürcherinnen und Zürcher und verpflichten uns mit dem Leistungsauftrag, in den Dienst der Realwirtschaft und der Kundinnen und Kunden zu treten. Wir gestalten Nachhaltigkeitsthemen aktiv und wollen bei nachhaltigen Angeboten führend sein – und das Wichtigste ist: Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden in eine nachhaltige Zukunft und zu Netto-Null begleiten. Dies ist eine gemeinsame Reise, die wir mit unserem Beitritt zur Net-Zero Banking Alliance (NZBA) unterstreichen. Wir begleiten unsere Privatkunden und Firmenkunden entlang des gesamten Lebenszyklus. Das Klimathema spielt überall mit hinein. Als die nahe Bank wollen wir nah bei unseren Kundinnen und Kunden sein, Schritt für Schritt auf dem Weg zu Netto-Null – im Bankbetrieb und vor allem mit Dienstleistungen und Produkten. Es ist eine ökologisch notwendige, gemeinsame, herausfordernde wie spannende, sinnstiftende und wirtschaftlich lohnenswerte Reise voller technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Innovationen für die Zukunft.

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