Wie Stephan Hänseler Kinderaugen zum Strahlen bringt
Den grössten Teil des Jahres kümmert er sich um den reibungslosen Ablauf der Operations bei der Zürcher Kantonalbank. Doch wenn die Adventszeit aufzieht und es früher eindunkelt, kann man ihn – mit etwas Glück – in roter Robe, mit wallendem weissem Bart, Bischofsstab und Mitra durch die Strassen von Engstringen bis Oetwil a.d.L. ziehen sehen auf der Mission, Kinderaugen zum Strahlen zu bringen: Stephan Hänseler. Wir haben ihn beim Samichlauseinzug in Oberengstringen begleitet.
Text: Othmar Köchle / Bilder: Simon Baumann
Treffpunkt Tennisclub Engstringen; es dunkelt langsam ein, leichter Regen ist vorhergesagt, Temperaturen nahe am Gefrierpunkt. Stephan Hänseler, der Leiter Operations der Zürcher Kantonalbank, begrüsst uns herzlich in der Garderobe. Sauberer Kurzhaarschnitt, wache Augen hinter der Brille, sportliche Freizeitkleidung. So kennen wir ihn.
Doch in den nächsten 45 Minuten wird er sich wie immer zu Beginn der Adventszeit in einen alten weisshaarigen Mann in prächtigem Bischofsgewand verwandeln, kaum wiederzuerkennen. Seit mehr als 20 Jahren besucht Stephan Hänseler als Samichlaus der St. Niklaus-Gesellschaft Rechtes Limmattal die Kinder aus der Region. Wir merken sofort: Er tut es mit Herz und Seele. Mit dabei ist heute zum ersten Mal auch Timo Haldimann, Applikationsentwickler bei der ZKB, der in die Rolle des Schmutzli eingewiesen wird.
Jenseits der Nadelstreifen
Im Kreis der Mitarbeitenden der Zürcher Kantonalbank sind viele aussergewöhnliche Menschen mit besonderen Talenten. Wir wollen sie sichtbar machen und die Möglichkeit bieten, sich mit ihnen zu vernetzen.
Die Verwandlung
Vier Samichläuse und Schmutzlis von den insgesamt zehn Paaren der St. Nikolaus-Gesellschaft machen sich bereit für den jährlichen Einzug der Samichläuse. Sie werden mit den Familien in einem kleinen Umzug durch Oberengstringen zum Schulhaus Sunnerai spazieren, wo dann die üblichen Mandarinli, Nüssli und Schöggeli verteilt werden, eine kleine Festwirtschaft betrieben wird und Attraktionen für die Kinder warten, die der Elternverein von Engstringen vorbereitet hat.
Doch zuerst vollzieht sich die Verwandlung der unauffälligen Engstringer Zivilisten in eindrucksvolle Würdenträger und ihre leicht furchteinflössenden Gehilfen. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen. Jeder hat seine mit Namen angeschriebene Schminkbox, mit der er in die provisorisch eingerichtete Maske geht, wo eine eigens aufgebotene Maskenbildnerin für den authentischen Look sorgt. Dann werden die Schnäuze mit Mastix aufgeklebt. Die Perücken und Bärte aus echtem Büffelhaar, die gut und gerne 1'000 Franken das Stück kosten und jedes Jahr vom Spezialisten die richtige Pflege erfahren, werden sorgsam aufgesetzt, angepasst und gerichtet, bis es stimmig ist. Die Albe, das weisse Untergewand, wird übergestreift, die Schärpe umgelegt, die Kordel umgebunden. Darüber kommt die Kasel, das ärmellose Obergewand; und zum Schluss setzt Stephan Hänseler die eindrucksvolle sogenannte Mitra auf, die traditionelle liturgische Kopfbedeckung der Bischöfe.
Das alles klingt jetzt sehr religiös, ja sogar streng katholisch. Stephan Hänseler legt indessen Wert darauf, dass ihm und der Gesellschaft der Brauch wichtig ist und dabei die Kinder, die Familien oder auch die Menschen in Alters- und Pflegeheimen, die besucht und beschenkt werden, im Zentrum stehen, ganz unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen. Zumal er selber nicht katholisch, sondern reformiert ist.
Die Verwandlung ist perfekt. Aus dem uns wohlbekannten ZKB-Kollegen ist ein respekteinflössender St. Nikolaus in katholischer Tradition geworden.
Die Kinder sollen keine Angst haben
«Die Zeiten, wo Samichlaus und Schmutzli unfolgsamen Kindern das Fürchten lehrten, sind längst vorbei», betont Stephan Hänseler. «Wir flössen zwar Respekt ein, das ist zu spüren. Wir verstehen uns aber als kinderliebendes Duo mit dem Ziel, den Kindern, aber auch der ganzen Familie, ein positives Erlebnis zu bescheren.» Die Fitze, so erzählt er, sei heute nur noch dazu da, die Schuhe vom Schnee zu befreien, das sage der Schmutzli auch den Kindern oder er lasse sie sogar vor der Wohnung liegen.
Stattdessen hat Stephan Hänseler Bilderbücher dabei. Damit erzählt er den Kindern die Geschichte des Samichlaus, kommt mit ihnen ins Gespräch, fragt sie nach den Tieren im Wald. Dabei entspannen sich die Kleinen und freuen sich, wenn er das nächste Jahr wiederkommt.
«Bei unseren Familienbesuchen lese ich zum Schluss nach der Verteilung der Geschenke gern ein besinnliches Gedicht für die ganze Familie vor. Manchmal sind die Familien in einer schwierigen Lebenssituation, und ich habe schon erlebt, dass diese Worte auch die Erwachsenen berühren und sie sehr dankbar sind für dieses Zeichen der Zuwendung. Als Samichlaus komme ich in die Stuben und erinnere daran, wie wichtig und schön es ist, sich umeinander zu kümmern.»
Seit mehr als 30 Jahren im Einsatz
Anfang der 90er Jahre wurde Stephan Hänseler angefragt, ob er im Rahmen eines Festes als Schmutzli auftreten würde. Sein Schwiegervater war damals schon in der St. Nikolaus-Gesellschaft Rechtes Limmattal, die 1960 gegründet wurde, und dieser führte ihn bei der Gelegenheit in die Gruppe ein, wo er einige Jahre als Schmutzli fungierte, bis er vom damaligen Oberchlaus als ständiger Chlausgesellschafter aufgenommen wurde. Selbst als er für einige Jahre mit der Familie beruflich – damals noch für die UBS – nach Singapur übersiedelte, liess ihn der Brauch nicht los. Er kaufte sich ein eigenes Kostüm in der Schweiz und stattete der Schweizer Schule in Singapur im Dezember bei 30 Grad am Schatten Chlausbesuche ab.
Einzug der Samichläuse
Inzwischen ist es dunkel geworden. Um 17.15 Uhr sind alle Chläuse und Schmutzli bereit, besammeln sich vor dem Tennisclub und gehen langsam in Formation hinunter zum Treffpunkt, wo sie von bestimmt 50 oder mehr Kindern und Eltern bereits sehnlichst erwartet und herzlich begrüsst werden. Sofort scharen sich die Kinder gar nicht scheu um die stattlichen Herren in den roten Gewändern. Nach ein paar freundlichen Worten werden ein paar der Kleinen an der Hand genommen und es geht weiter durch die Häuser bis zum Schulhausplatz Sunnerai.
Stephan Hänseler geht in die Knie, spricht mit den Kindern auf Augenhöhe, lässt sie den Bischofsstab halten. Wer ein Sprüchli oder ein Lied vortragen kann, erhält Nüssli und Mandarinli und auch die Eltern werden miteinbezogen. Die Augen strahlen. Stephan Hänseler ist zufrieden.
St. Nikolaus-Gesellschaften
477 St. Nikolaus-Gesellschaften sind in der Deutschschweiz registriert, die jährlich zehntausende, wenn nicht hunderttausende von Besuchen in Familien, aber auch an Schulen, in Kindergärten, in Spitälern und Altersheimen organisieren und durchführen. Auch Umzüge sind in vielen Gemeinden ein langjähriges Brauchtum. Die Tradition hat ihren Ursprung im 4. Jahrhundert. Sie erinnert an den Heiligen Nikolaus von Myra, um den sich zahlreiche Legenden ranken, so zum Beispiel das Kornwunder oder die Legende der drei armen Mädchen. Er war Bischof in Myra, ein kleiner Ort etwa 100 Kilometer südwestlich von Antalya in der heutigen Türkei. Er steht im Ruf, ein barmherziger und selbstloser Mensch, der überall half, gewesen zu sein.
Die St. Nikolaus-Gesellschaft Rechtes Limmatufer umfasst zehn Chlaus/Schmutzli Paarungen, die während vier Tagen vom 4. bis zum 7. Dezember pro Abend drei bis fünf Chlaus-Besuche machen, an Werktagen ab 17.30 Uhr, am Samstag und Sonntag ab 16.30 Uhr. Eine Anmeldung ist online auf samichlaus-limmattal.ch möglich. Ein Besuch kostet 50 Franken pro Familie.
Übersicht über die Chlausgesellschaften in der Schweiz
Infos auf www.chlaus.ch