Tanzen, solange das Öl sprudelt

Der Spagat zwischen Profit und Klimaschutz ist eine grosse Herausforderung. Es ist zwar zu einfach, nur mit dem Finger auf die Ölmultis zu zeigen, dennoch ist die Branche nicht ganz unschuldig an ihrem schlechten Ruf. Lesen Sie mehr dazu im Beitrag von Nachhaltigkeitsökonomin Silke Humbert.

Text: Silke Humbert

Eine Öl Plattform auf dem Meer
«Mittlerweile sind in den USA über 20 Klagen hängig, die sich mit Desinformationskampagnen von Ölmultis befassen», erklärt Silke Humbert. (Bild: Getty Images)

Öl- und Gasunternehmen haben es nicht leicht. Sie gelten als gierig, ohne moralischen Kompass und stehen am Pranger, wenn es um den Klimawandel geht. Doch es ist zu einfach, nur mit dem Finger auf Ölmultis zu zeigen, solange wir gleichzeitig fliegen, Autos mit Verbrennermotor fahren und tagtäglich zehntausendmal Plastik benutzen. Unschuldig an ihrem schlechten Ruf ist die Branche dennoch nicht.

Seit vor einigen Jahren investigative Journalisten an interne Dokumente von Exxon gelangt sind, ist klar, dass deren Wissenschaftler und die Branche insgesamt seit den 1970er-Jahren sehr genau um die Gefahren des Klimawandels und den Beitrag fossiler Energieträger dazu wussten. Interne Memos legen offen, dass sich das Management darüber im Klaren war. Wie hat es darauf reagiert? Es hat nach aussen hin Zweifel am Zusammenhang zwischen fossilen Energieträgern und dem Klimawandel geäussert. Noch 2001 ist in einer Pressemitteilung von ExxonMobil zu lesen: «Es gibt keinen Konsens über langfristige Klimatrends und deren Ursachen […]»1.

Mehr über den hohen Wissensstand innerhalb von Exxon und die gezielte Desinformationskampagne nach aussen kann man in einer für den Pulitzer-Preis nominierten Reportage nachlesen, für die Journalisten acht Monate lang Interviews geführt und Dokumente gesichtet haben. 2 Mittlerweile sind in den USA über 20 Klagen hängig, die sich mit Desinformationskampagnen von Ölmultis befassen. Auch das Europäische Parlament führte 2019 eine Anhörung über die Leugnung des Klimawandels durch und lud dazu Vertreterinnen und Vertreter der Branche ein.

Das Öl soll weiter sprudeln

Aktuell ist ExxonMobil erneut in den Schlagzeilen. Das Unternehmen verklagt «Follow this» und «Arjuna Capital», zwei aktivistische Investorengruppen aus den Niederlanden und den USA, die an der Gene-ralversammlung einen Antrag auf ehrgeizigere Klimaziele eingereicht haben. Der Netto-Null-Plan von ExxonMobil berücksichtigt lediglich die Emissionen bezüglich der operativen Tätigkeiten und der vom Unternehmen selbst verwendeten Energie. Emissionen, die bei der Nutzung ihrer Produkte kundenseitig entstehen, spielen für das Unternehmen keine Rolle – dabei sind das jene Emissionen, die am höchsten sind.

Genau hier setzen die beiden Investorengruppen an: Sie möchten, dass ExxonMobil genau wie Shell und BP, die zwei grossen europäischen Ölmultis, auch die Emissionen seiner Produkte bei der Nutzung reduziert. ExxonMobil sieht sich durch den Antrag in seiner zukünftigen Profitabilität bedroht. Die Abwägung zwischen Profit des Unternehmens und Klimaschutz sollte jedoch die Generalversammlung treffen.

Nicht Öl ist das Problem, sondern Emissionen?

Darren Woods, CEO von ExxonMobil, betont heute, dass nicht Öl das Problem ist, sondern Emissionen. 3 Das klingt erstmal eloquent, ist aber wenig überzeugend. Erstens entstehen drei Viertel der Treib-hausgase durch die Verbrennung fossiler Energieträger. Zweitens ist die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, mit der emissionsfreie Verbrennung theoretisch möglich ist, in etwa vergleichbar mit dem Versuch, Meerwasser mit einem Filter manuell zu entsalzen – in grossem Stil also undenkbar. Das Potenzial wird auf 1 Prozent der heutigen globalen CO2-Emissionen im Jahr 2030 geschätzt. Drittens klingt die Aussage von Woods nicht gerade überzeugend, wenn man bedenkt, dass die Investitionen für emis-sionsarme Technologien der fünf grössten Ölmultis nur 12 Prozent ihrer Ausgaben entsprechen.

Sofortiger Verzicht nicht möglich

Unternehmen müssen profitabel sein und auch wir können nicht per sofort auf Öl und Gas verzichten. Wo ist also die rote Linie? Bei der Party dabei sein zu wollen, solange die Musik läuft bzw. das Öl sprudelt, ist in Ordnung. Die Musikanlage in Beschlag zu nehmen, um ein Ende der Party zu verhindern, ist es hingegen nicht.
 

1 ExxonMobil. (2001). Media Statement. https://perma.cc/72EW-2GC9.
2 N. Banerjee, L. Song, D. Hasemyer, J. H. Cushman Jr. (2015). Exxon: The road not taken. InsideClimate News.
3
A. Williams, J. Smyth. (2023). UN climate talks have focused on renewable energy for too long says Exxon chief. Financial Times.

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