Führungskultur bei KMU: «Wer führen will, muss Menschen mögen»

Die grösste Herausforderung für die Zürcher KMU ist der Fachkräftemangel. Das zeigt die neue Ausgabe der Studie «KMU ZH Monitor» der Zürcher Kantonalbank. Lösungsansätze zeigen sich bei der Attraktivität als Arbeitgeber. Sie spielt für eine erfolgreiche Personalsuche eine entscheidende Rolle. Und sie wird geprägt von der gelebten Führungskultur. Wie man diese verändert und damit die Arbeitgeber­attraktivität erhöht, weiss Prof. Dr. Wolfgang Jenewein.

Text: Andreas Dürrenberger

Der Leadership-Experte: Wolfgang Jenewein trat an der «KMU ZH Night» als inspirierender Keynote-Speaker auf.​ (Bild: Matteo Cogliati​)

Wolfgang Jenewein, was macht für Sie eine gute Führungsperson aus?

Erstmal: Sie oder er mag Menschen, hat ein echtes Interesse an Menschen. Man merkt sofort, ob jemand nur an den Ergebnissen interessiert ist, die die Menschen liefern oder ob sie oder er daran glaubt, dass über das Interesse am Menschen die besten Resultate entstehen. Und das Zweite: Er oder sie will aktivieren, nicht fixieren. Die Führungsperson sollte die Stärken der Mitarbeitenden – ihre Potenziale – nutzen, und nicht einfach nur versuchen, Fehler zu finden und abzustellen.

Wie hat sich das Verständnis dafür, was gute Führung auszeichnet, in den letzten Jahren verändert?

Ich glaube, das Verständnis dafür, was gute Führung ausmacht, ist mittlerweile angekommen. Auch durch den Fachkräftemangel spüren viele Führungskräfte, dass sie etwas machen müssen, dass es so nicht weiter geht. Sie lesen mehr zum Thema und können mitdiskutieren. Allerdings habe ich das Gefühl, viele seien immer noch «confused, but on a higher level» – sie lesen immer mehr und mehr und fragen sich dann: Was soll ich jetzt machen? Ihnen sage ich: Hört mal auf! Besucht ein Seminar, lest ein Buch, einen Artikel und dann macht was. Die meisten wissen, was gute Führung ist, aber sie kommen nicht ins «doing», sie starten keinen Veränderungsprozess. Wir hören heute viel von New Work und agilem Arbeiten, das ist alles toll. Aber es geht in erster Linie um die Haltung. Und die ist noch nicht da.

Wie gelingt eine Veränderung der Führungskultur?

Das hängt an der Geschäftsleitung, sie bestimmt das System. Die Geschäfts­leitungs­mitglieder müssen sich fragen: Sind wir bereit, die Dinge zu hinterfragen, alte Zöpfe abzuschneiden? Sie müssen bereit sein, sich auf einen Prozess einzulassen. Wenn ich eine Innovation ins Unternehmen bringen will, geht das ja auch nicht über Nacht. Es braucht einen Innovationsprozess. Und wenn ich eine Kultur verändern und eine Organisation entwickeln will, braucht es eben auch einen Prozess. Es ist sinnvoll, diesen Prozess mit externer Begleitung durchzuführen. Das dauert je nach Grösse der Firma zwei bis drei Jahre. Natürlich gibt es Leute, die finden, sie haben dafür keine Zeit und wursteln irgendwie weiter. Aber wir können wirklich «places of work» in «places of joy and performance» verwandeln.

Wie können kleinere Unternehmen mit wenig personellen und auch finanziellen Ressourcen solche Veränderungen anpacken?

Natürlich haben kleine Unternehmen keine grossen Beraterbudgets. Aber auch sie können zum Beispiel über einen Workshop, eine Reflexion in der Geschäftsleitung und eine Begleitung etwas bewegen. Die Begleitung muss nicht mal sonderlich intensiv sein bei kleinen Unternehmen. In der Geschäftsleitung sitzen vielleicht drei bis vier Leute. Wichtig ist, dass sie beginnen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, ein gemeinsames Bild von Führung zu haben und dieses auch zusammen umsetzen. Diesen Prozess anzustossen und begleiten zu lassen, muss gar nicht viel kosten.

Eines Ihrer Bücher trägt den Titel «Begeisterte Mitarbeiter: Wie Unternehmer ihre Mitarbeiter zu Fans machen». Wie gelingt das?

Erstens muss man eine Community schaffen. Wir wissen aus der Forschung, dass die Leute sich zugehörig fühlen möchten und nicht ausgeschlossen. Das ist ein riesiges Bedürfnis von uns Menschen. Das fängt schon in der Schule an. Da geht man auch nicht gerne hin, wenn man keine Zugehörigkeit verspürt. Wir vergessen manchmal, dass das auch auf den Arbeitsort zutrifft. Deshalb braucht es ein inklusives Umfeld, wo die Leute sich angenommen fühlen und eine Gemeinschaft erleben können. Zweitens ist der Sinn, der Purpose, wichtig. Die Mitarbeitenden sollen wissen, zu welchem grösseren Ganzen sie mit ihrer Arbeit beitragen. Das muss nicht die Rettung der Welt sein, aber es soll für den Einzelnen Sinn machen. Drittens: Sie müssen wachsen können, besser werden in den eigenen Potentialen. Das richtige Umfeld kann ihnen das ermöglichen.

Welche Rolle spielt die Führungskultur eines Unternehmens bei der Personalsuche?

Eine riesige Rolle. Unternehmen betreiben grossen Aufwand, um ihre Marke nach aussen zu managen. Aber man muss die Marke auch nach innen managen: Wer sind wir, wofür stehen wir? Genauso wie man das nach aussen vermittelt, muss man es auch nach innen leben. Wenn Führungskräfte die Werte der Marke mit Stolz, Leidenschaft und Enthusiasmus vermitteln und die Mitarbeitenden aktivieren, können sie unheimlich viel ausrichten. Dann ensteht ein Sog. Die Leute sagen: Ich weiss, wofür diese Marke steht und dass ihre Werte nach innen gelebt werden – da möchte ich mitmachen. Die Führungskultur ist für mich der grösste Stellhebel bei der Unternehmenskultur. Und diese wiederum ist der grösste Stellhebel für mehr Bewerbungen.

Initiative «KMU ZH»: KMU als attraktive Arbeitgeber stärken

Die fehlenden Arbeitskräfte sind für mehr als die Hälfte der Zürcher KMU die grösste Herausforderung. Das zeigt die aktuelle Studie «KMU ZH Monitor». Im Auftrag der Zürcher Kantonalbank hat die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) des Kantons zum dritten Mal den Puls gefühlt. Die Studie ist Teil der Initiative «KMU ZH», mit der die Bank die KMU weiter stärken möchte.

Die Ergebnisse der Studie wurden anlässlich der «KMU ZH Night» vorgestellt. Die 300 anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmer erfuhren am Anlass im Zürcher Kaufleuten zudem, welches Thema bei «KMU ZH» im kommenden Jahr im Fokus steht. Die Bank wählt aus jenen Themen, die die KMU am meisten beschäftigen, jeweils eines als Schwerpunkt aus.

Der Fokus wird auf der Arbeitgeberattraktivität der KMU liegen. Dabei geht es nicht nur um das Rekrutieren neuer Mitarbeitender, sondern auch um das Halten und Entwickeln der bestehenden Angestellten. Zum Angebot gehören zum Beispiel Workshops, Netzwerkanlässe, Weiterbildungen und eine Informationsplattform. Damit sollen KMU das richtige Wissen und die Werkzeuge erhalten, um mit den Herausforderungen des Personalmangels besser umgehen zu können.

Die ersten Inspirationen lieferte dann gleich die «KMU ZH Night». Prof. Dr. Wolfgang Jenewein erzählte packend und anschaulich, wie eine Veränderung der Führungskultur die Arbeitgeberattraktivität erhöhen kann (siehe Interview). Den Abschluss des Abends bildete eine Gesprächsrunde. Désirée Schiess (Schiess AG Reinigungen) und Christof Hasler (Hasler + Co AG) diskutierten mit Wolfgang Jenewein, Yannick Blätter (Spezialist für Employer Branding, Neoviso AG) und Moderatorin Anna Maier, was bei ihnen zur Arbeitgeberattraktivität beiträgt.

Studiener­gebnisse «KMU ZH Monitor»

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(Video: Flavio Pinton)