Zehn goldene Regeln, um Konflikte zu vermeiden
Glücklich ist, wer seinen Nachkommen ein Erbe hinterlassen kann oder wer ein solches übernehmen darf. Doch leider ist das Konfliktpotenzial bei der Abwicklung von Nachlässen gross, wenn rechtliche und emotionale Komponenten zusammenkommen. Wir zeigen Ihnen in zehn Punkten auf, wie Sie für Entspannung sorgen.
Text: Patrick Steinemann / Bild: Simon Baumann / Illustrationen: Maria Salvatore | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 3/2025

In der Schweiz werden jährlich rund 90 Milliarden Schweizerfranken vererbt und verschenkt, bald dürfte sogar die 100-Milliarden-Grenze geknackt werden. In den letzten 30 Jahren hat sich das Schweizer Erbschaftsvolumen (inklusive Schenkungen) fast verfünffacht. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandprodukt hat sich in dieser Zeit lediglich verdoppelt. Diese Zahlen stammen aus der Erbschaftsstudie, welche die ZHAW School of Management and Law 2022 im Auftrag der Zürcher Kantonalbank zum Thema Erben und Vererben in der Deutschschweiz durchgeführt hat.
Das Vermögen ist dabei nicht gleichmässig verteilt: Viele erben wenig oder gar nichts, wenige erben viel.Unabhängig von der Höhe des Nachlasses ist jedoch die Angst vor Konflikten bei der Erbteilung gross: So hoffen gemäss der Studie zwar 91 Prozent der Erbenden, dass es bei der Erbschaft keine Konflikte gibt. Im Widerspruch dazu schieben aber fast die Hälfte der Befragten die Nachlassplanung vor sich her und sogar nur 25 Prozent haben eine letztwillige Verfügung errichtet.

In einer Nachlassteilung vermischen sich rechtliche, emotionale und familiäre Komponenten. Häufig kommen auch Streitthemen, die aus einer früheren Zeit stammen, bei einer Nachlassteilung wieder auf den Tisch.
Anna Rüedi, Erbschaftsberaterin
Dass das Konfliktpotenzial in der Nachlassteilung tatsächlich hoch ist, weiss Anna Rüedi aus ihrer Tätigkeit als Erbschaftsberaterin bei der Zürcher Kantonalbank: «In einer Nachlassteilung vermischen sich rechtliche, emotionale und familiäre Komponenten. Häufig kommen auch Streitthemen, die aus einer früheren Zeit stammen, bei einer Nachlassteilung wieder auf den Tisch.»
Basierend auf ihren Praxiserfahrungen hat Anna Rüedi zusammen mit Tamara Völk von der BDO AG die nachfolgenden zehn goldenen Regeln der Nachlassplanung entwickelt, die das Konfliktpotenzial beträchtlich reduzieren können.
1. Treffen Sie rechtzeitig Vorkehrungen
1. Treffen Sie rechtzeitig Vorkehrungen
Rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen, heisst handeln, solange Sie leben und verfügungsfähig (also: volljährig und urteilsfähig) sind. Im Hinblick auf einen Erbvertrag bedeutet rechtzeitig, wenn Sie noch Einstimmigkeit bezüglich eines Vertragsinhalts mit allen notwendigen Vertragsparteien herbeiführen können.
2. Delegieren Sie nicht
2. Delegieren Sie nicht
Einen Nachlass vorzubereiten ist eine höchstpersönliche Angelegenheit. Sie sollten also Verantwortung übernehmen und Regeln, Teilungsvorschriften und Anweisungen im Testament genau festhalten. Entscheide können Sie nicht der Willensvollstreckerin oder dem Willensvollstrecker überlassen, denn diese Person ist nicht befugt, die Teilung zu verfügen. Sie hat nur den Auftrag, die Teilung vorzubereiten. Sollten Sie urteilsunfähig werden, kann zwar eine mit einem Vorsorgeauftrag betraute Person zu Lebzeiten Entscheidungen für Sie treffen. Sie kann aber kein Testament in Ihrem Willen schreiben.
3. Vermeiden Sie unklare oder widersprüchliche Formulierungen
3. Vermeiden Sie unklare oder widersprüchliche Formulierungen
Ein Testament dient dazu, Konfliktpotenzial zu reduzieren und nicht zu schüren. Unklare und widersprüchliche Formulierungen führen zu Missverständnissen und unterschiedlichen Auslegungen unter den Erben – sie verhindern damit eine rasche Erbteilung. Gleiches gilt etwa auch dann, wenn mehrere Testamente vorhanden sind und nicht klar ist, welches nun gelten soll. Da Erbengemeinschaften immer einstimmig entscheiden müssen, ist eine Erbteilung blockiert, solange keine Einigung gefunden werden kann. Im Streitfall muss ein Gericht die Erbteilung durchführen.
4. Umgehen Sie Formfehler
4. Umgehen Sie Formfehler
Leidet die letztwillige Verfügung an einem Formmangel, so wird sie auf erhobene Klage für ungültig erklärt. Schade also, wenn ein an sich stimmiger Inhalt nicht umgesetzt werden kann, weil die Formvorschriften nicht eingehalten wurden. Verfassen Sie deshalb Ihr Testament von Anfang bis Ende handschriftlich, inklusive Datum und Unterschrift. Oder lassen Sie Ihr Testament oder einen Erbvertrag bei einem Notar öffentlich beurkunden unter Mitwirkung zweier Zeugen.
5. Drum prüfe, wer sich ewig bindet – der Erbvertrag
5. Drum prüfe, wer sich ewig bindet – der Erbvertrag
Ein Erbvertrag ist ein gestalterisches Instrument, mit dem viel mehr geregelt werden kann als mit einem einseitigen Testament. Ein solcher Vertrag gibt Rechtssicherheit, muss aber wohlüberlegt ausgearbeitet sein. Ein Erbvertrag, dem alle Beteiligten zustimmen müssen, kann aufgesetzt werden, solange Konsens möglich ist. Kommt es jedoch zum Streit, wird er zu einem starren Gefüge, da er einseitig nicht mehr abgeändert oder aufgehoben werden kann. Zu beachten ist auch, dass etwa lebzeitige Zuwendungen an Drittpersonen, die über Gelegenheitsgeschenke hinausgehen, einem Erbvertrag widersprechen können, sofern im Erbvertrag keine entsprechenden Vorbehalte gesetzt sind. Sie wären von den vertragsbeteiligten Nachkommen anfechtbar.
6. Bedenken Sie die Folgen lebzeitiger Zuwendungen
6. Bedenken Sie die Folgen lebzeitiger Zuwendungen
Das Erbrecht sieht bei Nachkommen grundsätzlich Gleichberechtigung vor. Das heisst, lebzeitige Zuwendungen müssen spätestens im Nachlass des zweitversterbenden Elternteils unter den Nachkommen ausgeglichen werden. Ebenfalls beachten sollten Sie, dass lebzeitige Zuwendungen zur Reduktion oder zum Wegfall von Ergänzungsleistungen führen können. Dies ist etwa der Fall, wenn die elterliche Liegenschaft lebzeitig auf die Kinder überschrieben wird. Geht dann den Eltern im Alter das Geld aus – zum Beispiel aufgrund einer Pflegebedürftigkeit –, werden Ergänzungsleistungen möglicherweise verweigert und das Sozialamt prüft die Unterstützungspflicht durch die Verwandten. Sind die Voraussetzungen gegeben, können Nachkommen zu monatlichen Unterstützungsbeiträgen gegenüber ihren Eltern verpflichtet werden.
7. Koordination ist alles
7. Koordination ist alles
Das Erbrecht steht nicht isoliert da. Gleichen Sie deshalb Ihre Nachlassplanung mit Vorsorgeentscheiden für die Pensionskasse oder die 3. Säule ab. Beziehen Sie etwa Vorsorgeguthaben als Kapital, kann dieses Geld auch Teil Ihres Nachlassvermögens werden. Beachten Sie bei Unternehmensanteilen auch gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen: So gehen etwa Aktionärsbindungsverträge einer erbrechtlichen Regelung respektive Vereinbarung vor.
8. Vergessen Sie Ihren digitalen Nachlass nicht
8. Vergessen Sie Ihren digitalen Nachlass nicht
In der heutigen Zeit ist es sinnvoll, wenn Sie auch Ihren digitalen Nachlass regeln. Dazu gehören etwa das eBanking, Online-Konten und die zugehörigen Zugangsdaten, Social-Media-Profile, Cloud-Speicher oder Streaming-Dienste. Falls Sie als Erblasser möchten, dass Ihre Social-Media-Profile nach Ihrem Tod offline genommen werden oder dass Erben Zugriff auf Ihre E-Mail-Accounts haben, dann sollten Sie eine Liste aller Online-Konten und Zugangsdaten erstellen. Hinterlegen Sie diese Liste an einem sicheren Ort und benennen Sie eine Vertrauensperson, die sich um Ihren digitalen Nachlass kümmern soll. Sie können auch im Testament vermerken, was mit den digitalen Konten geschehen soll. Vergessen Sie auch Kryptowährungen nicht – diese gehören ebenfalls zum digitalen Nachlass. Und ohne Passwort (Schlüssel) gibt es keinen Zugriff auf dieses Nachlassvermögen.
9. Unterschätzen Sie die Komplexität der Materie und der menschlichen Emotionen nicht
9. Unterschätzen Sie die Komplexität der Materie und der menschlichen Emotionen nicht
Vielen Menschen widerstrebt ein Gespräch über ihr Ableben und über ihren dannzumaligen Nachlass. Allerdings ist gerade bei selbstbewohntem Wohneigentum wichtig, dass der überlebende Ehegatte weiss, dass sie oder er auf jeden Fall in der ehelichen Liegenschaft bleiben kann. Mit klaren Spielregeln und Anweisungen im Testament erleichtern Sie den Erben die Erbteilung. Empfehlenswert ist zudem die Einsetzung einer Willensvollstreckerin oder eines Willensvollstreckers. Diese Person kann die Erben in der Nachlassteilung führen, Teilungsvorschläge vorbereiten, Behördengänge übernehmen und auch zwischen den Erben vermitteln.
10. Lassen Sie sich professionell beraten
10. Lassen Sie sich professionell beraten
Für die Umsetzung der vorgenannten Punkte respektive zur Vermeidung von Fehlern in der Nachlassplanung ist eine professionelle Beratung zum Thema Nachlassplanung in den allermeisten Fällen sehr empfehlenswert.

Die «3-R-Regel»
Wiederkehrende Gesundheits-Check-ups gehören für viele Menschen zur Routine. Genauso sollten Sie auch für Ihren Nachlass vorsorgen: Gehen Sie das Thema frühzeitig an, setzen Sie die notwendigen Dokumente in der geforderten Form auf und überprüfen Sie Ihre Nachlassregelung regelmässig. Als Quintessenz aus den im Haupttext genannten zehn Regeln können Sie sich auch einfach die drei «R» merken: «Rechtzeitig richtig regeln.»